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Rap aus Bad MünstereifelNach dem Sommerhit erscheint nun die neue Single von Liaze

Lesezeit 7 Minuten
Liaze steht am Mikro im Studio in Blankenheim, im Hintergrund sitzt MTJ am Keyboard.

Arbeit am neuen Album hat begonnen: Liaze (stehend) und MTJ im Studio in der Gemeinde Blankenheim.

Liaze, der aus Bad Münstereifel stammt, schaffte es im Sommer 2022 bis auf Platz zwei der Charts. Jetzt folgt die nächste Single.

Als Elias Reiswich die ersten Videos erreichen, glaubt er an einen Scherz. „Die haben den Sound doch drübergelegt“, hat er gedacht. Doch es trudeln immer mehr Videos vom Coldplay-Auftritt in Frankfurt am 3. Juli 2022 ein. Und da wird ihm klar: Die britische Band hat tatsächlich seinen Song „Paradise (mit dir)“ als Outro in das Coldplay-Original eingebaut. Die Liaze-Version stand zu dem Zeitpunkt auf Platz zwei der deutschen Charts – das Original hatte es elf Jahre zuvor nur auf Platz zwölf geschafft.

Dabei hatten Liaze, wie sich Reiswich als Rapper nennt, und sein musikalischer Partner Justin Grinberg alias MTJ eigentlich mit einer anderen Reaktion gerechnet. Denn das „Paradise“-Sample hatten sie ohne Genehmigung genutzt. In einer ersten Version war sogar noch der Gesang von Coldplay-Frontmann Chris Martin zu hören, wurde dann aber aus Sorge vor juristischem Ärger neu eingesungen.

Coldplay schickte Glückwünsche an die Plattenfirma

„Als der Song immer höher stieg, hatten wir schon Angst vor dem Anruf von Warner“, gibt MTJ zu. Doch die Coldplay-Plattenfirma meldete sich nicht, stattdessen schickte die Band selbst Glückwünsche zum Erfolg an Liazes Plattenfirma und adelte den Song eben während des Frankfurt-Konzerts.

Stolz zeigen Liaze und MTJ ihre Goldene Schallplatte für „Paradise (mit dir)“

Goldene Schallplatte für 40 Millionen Streams: MTJ (l.) und Liaze freuen sich. Mittlerweile ist auch die Platingrenze geknackt.

Dass der Song ein Hit wird, ahnten Liaze und MTJ schon, als sie ihn aufnahmen. Sie wollten sich auch mal an einem Sample versuchen. Unabhängig voneinander, so erzählen sie, hatten sie beide den Coldplay-Song im Kopf. „Der ist für uns ja schon nostalgisch“, sagt Liaze über den Hit der Briten. Wer sich also erinnert, als das Original 2011 erschien, darf sich jetzt offiziell alt fühlen.

Ich schreibe nur über Sachen, die ich selbst erlebt habe.
Liaze

Liaze ist in Bad Münstereifel aufgewachsen, vor Kurzem aber umgezogen. Seinen Wohnort gibt er wegen seines steigenden Bekanntheitsgrades nur noch mit „Kreis Euskirchen“ an. Erkannt wird er schon – allerdings nicht sehr häufig, wie er sagt.

Liaze hat die typische Aufstiegsgeschichte erlebt. Zwar nicht vom Tellerwäscher zum Millionär, aber vom Baumarktpraktikanten zum Millionenstreamer. Bereits mit sieben Jahren erhält er Klavierunterricht. Einer seiner Klavierlehrer ist MTJs Vater. Man kennt sich aus einer Glaubensgemeinde, die Eltern haben ihre Wurzeln in Kasachstan. „Ich wurde sozialisiert mit Kirchenmusik“, sagt MTJ. Später kam Klassik dazu. Dann Metal und Rock. 2020 haben Liaze und MTJ erstmals einen gemeinsamen Song veröffentlicht, „Rubin“. Mittlerweile ergänzen sie sich. Liaze ist für die Texte verantwortlich. „Ich schreibe nur über Sachen, die ich selbst erlebt habe.“ MTJ hat dafür das Gespür für Melodien.

Die ersten Texte schreibt Liaze im Religionsunterricht am St.-Angela-Gymnasium

Liaze besuchte zunächst das St.-Angela-Gymnasium in Bad Münstereifel. Doch Schule ist nichts für ihn, bis auf Deutsch. Den Religionsunterricht nutzt er, um seine ersten Raptexte zu schreiben. Damit battlet er sich hinter der Turnhalle. Rückblickend sagte er: „Die anderen Schüler fanden mich komisch.“

Nach der neunten Klasse wechselt er auf die Hauptschule, wo er seinen Realschulabschluss macht. Das Fachabitur am Berufskolleg Eifel in Kall packt er nicht. 2022 ist Schluss mit Schule. Einen Job als Immobilienkaufmann kann er ohne Fachabi vergessen. Also beginnt er ein Praktikum in einem Baumarkt in Köln. „Ich wollte eigentlich eine Ausbildung anfangen, aber dann wäre Schluss gewesen mit der Musik“, sagt er.

In Bad Münstereifel drehte Liaze sein erstes Musikvideo

Die entwickelte sich immer besser. Erste Handyvideos hatte er schon früher aufgenommen und an Freunde geschickt. 2019 lud er die erste Single auf Streamingdienste hoch: „Viel zu viel“. Das Musikvideo drehte er in Bad Münstereifel auf dem Friedhofsparkplatz am Viadukt und auf der Stadtmauer. Nach zwei bis drei weiteren Songs weiß er: „Ich will das machen.“

„Ich war schon immer ein Träumer, habe weitergedacht“, sagt er. Er wünschte sich die Karriere als Rapper. Auch MTJ, der jüngst einen Plattenvertrag unterschrieben hat, denkt so: „Ich bin mit einem ‚Stell-dir-vor‘ eingeschlafen.“ Und dann müssen sich die beiden Jungs nichts mehr vorstellen, der Traum wird wahr. Plattenfirmen melden sich und wollen Liaze unter Vertrag nehmen. Zur Ausbildung im Baumarkt kommt es nicht, auch Grinberg schmeißt alles hin. Volle Konzentration auf die Musik ist angesagt. „Wenn ich was gemacht habe, dann bin ich immer all-in gegangen“, sagt Liaze.

„Paradise (mit dir)“ knackt die 80 Millionen Streams bei Spotify

So auch diesmal. Und es lohnt sich. In den Charts steigt „Paradise (mit dir)“ immer höher bis auf Platz zwei. Ist 33 Wochen in der Hitparade. Sprengt die Schallmauer von 40 Millionen Streams, was eine Goldene Schallplatte bedeutet. Kurz nach Ostern wird der nächste Meilenstein geknackt: 80 Millionen Streams, Platin. Das Video, gedreht in Sizilien, ändert auch im Privaten etwas für Liaze: Mit der Darstellerin ist er liiert.

Liaze und MTJ zeigen ihre Arme, auf die sie den Namen des Labels Still Alive und das Logo, eine Rose, die aus Betonbauten wächst, tätowiert haben.

Still Alive: Den Namen und das Logo ihres Studios haben Liaze und MTJ auf ihre Arme tätowiert. Eine Rose entsteht aus Betonbauten.

Im Fahrwasser des Hits werden auch Liazes alte Songs zu Millionenstreams. „Ticket to Ketama“ und „Warum du schreibst“ steigen in die Top 100 ein. Liaze ist für eine 1Live-Krone nominiert. Bei der Preisverleihung sind die beiden Jungs ihren Idolen wie Marteria und Casper ganz nah. Doch die Newcomer werden ignoriert. Das erdet.

Label von Eugen Kazakov unterstützt Liaze

Im Herbst 2022 folgt die erste Tournee. Clubs in Hamburg, Berlin, München und Köln vor jeweils 300 Besuchern. Den üblichen Sprung, zunächst bei etablierten Künstlern als Vorband aufzutreten, überspringt Liaze. „Wir waren direkt Headliner“, sagt er. Stattdessen geben sie befreundeten Künstlern die Gelegenheit, die Shows zu eröffnen.

Wie schnell alles geht, realisieren Liaze und MTJ immer wieder. Sie geben zu, dass sie Fehler gemacht haben. Aber sie machen eben auch viel alleine, probieren viel aus. Dass sie nur in kleinen Klubs auftreten, kommentiert MTJ mit dem Satz: „Wir hatten doch keine Ahnung, wie Promo geht.“ Mittlerweile haben die beiden Unterstützung: vom Label von Eugen Kazakov, Ehemann der YouTuberin Dagi Bee, und Universal Music.

Neue Single „So wie du“ von Liaze und MTJ erscheint am 16. Juni

Aktuell arbeitet Liaze an Songs für sein fünftes Album (die ersten beiden hat er von den Streamingplattformen entfernt, weil er sich nicht mehr damit identifiziert: „Ich war 15 bei der ersten Single“, sagt er). Die Single „So wie du“ erscheint am 16. Juni.

Die Schlagzahl ist hoch. Das Internet hat viel verändert. Die Alben gibt es ausschließlich als Stream, nicht physisch. Doch abgeneigt ist Liaze nicht. „So eine Box wäre cool, und dann liegt in jeder eine Halskette.“ Nur um ein Sample herum einen Song bauen, das wollen sie nicht mehr. Denn nicht jedes Mal dürfte die Geschichte so gut ausgehen wie mit Coldplay.


LSD aus Schwerfen: Meilenstein mit „Watch Out for the Third Rail“

Die Wiege des deutschen Raps liegt in Schwerfen – zumindest lernte die hiesige Musikrichtung dort krabbeln, wenn nicht gar laufen. Verantwortlich dafür waren die Brüder Michael (Future Rock) und Detlef Rick (Rick Ski), die sich unter dem Namen LSD einen Namen in der Szene machten.

Mit „Watch Out for the Third Rail“ kreierten sie 1991 sogar einen Meilenstein, der unter anderem Martin Vandreier alias Doktor Renz von Fettes Brot auf die Deutsch-Rap-Schiene brachte. „Damals lief alles über Radio, Diskotheken und ältere Brüder, die irgendwoher irgendwelche Tapes hatten“, sagt Detlef Rick. Für ihn liefert der Auftritt von Grandmaster Flash im Film „Wild Style!“ den Zündfunken. Von da an ist Selbermachen angesagt.

Der erste Sampler war ein Bausatz für den C64

Mit einem Kassettenrekorder und dem Material aus dem elterlichen Plattenschrank werden erste Tape-Loops zusammengeschustert. „Unser erster Sampler war ein Bausatz für einen C64. Per Post kamen die Platine und einzelne Bauteile, die wir zu einem Steckmodul mit Audio-Ein- und Ausgang zusammengelötet haben. Der Sound war natürlich grausig, aber es funktionierte“, erinnert sich Detlef Rick im Buch „Könnt ihr uns hören?“ von Jan Wehn und Davide Bortot.

Doch die Rick-Brüder waren nicht die einzigen Pioniere aus der Eifel. Patrick Steffen alias Ko Lute und Phillip Wohlleben alias Defcon waren in Bad Münstereifel aktiv. „Die Rick-Brüder sind uns unangenehm aufgefallen, weil die immer mit ihrem Golf auf dem Parkplatz vor so einer Schweinerock-Disco herumstanden und brüllend laut Rapmusik gehört haben“, blickt Ko Lute zurück. Ganz so furchtbar missfallen kann ihm dies aber nicht haben: Mit DJ Defcon und den Rick-Brüdern machte er nämlich bald gemeinsame Sache.

‚Competent‘ war wichtig für die Entwicklung der Szene.
Detlef Rick

Der Track „Competent“ des Quartetts fand schließlich auf dem Hip-Hop-Sampler „New School“ seinen Platz. „Ich behaupte nicht, dass wir mit ‚Competent‘ die erste Rap-Platte der Szene veröffentlicht haben. Aber dass die Platte wichtig für die Entwicklung der Szene war – daran besteht meiner Meinung nach kein Zweifel“, sagt Detlef Rick.

Schließlich passiert das, was immer wieder passiert, Teil des Geschäfts ist: Es gibt Meinungsverschiedenheiten, unüberbrückbare Differenzen, man trennt sich. Im Fall der vier Eifeler geschieht das nicht ohne Nebengeräusche. Es entbrennt ein Streit um den Bandnamen „LSD“. Ko Lute, in dessen Erinnerung es sein Vorschlag war, und Defcon veröffentlichen auf einem Sampler den Track „Zeile für Zeile“ – als LSD. Daraufhin reißt den Schwerfenern die Hutschnur: Das Lied „Ohne Warnung“ in Richtung der Ex-Kollegen ist vermutlich der erste Diss-Track der deutschen Rap-Geschichte.