Ex-Schüler über „Collegium Josephinum“„Die Gewalt war willkürlich und sadistisch“
- Gisbert Schneider war von 1959 bis 1966 als Schüler im „Collegium Josephinum“.
- Der spätere Schulpsychologe wirkte als Mitglied des Lenkungsausschusses an der Aufarbeitung des Skandals mit.
Herr Schneider, welche Art von Gewalt ist Ihnen als Schüler im Collegium Josephinum widerfahren?
Ich habe – wie fast alle meiner Klassenkameraden im Kleinen Haus des Josephinum – körperliche und psychische Gewalt erlebt. Das waren zum Beispiel Ohrfeigen rechts und links, die sich gewaschen hatten. Wir wurden für die geringsten Vergehen hart bestraft. Die Gewalt war willkürlich und sadistisch. Wer mittags seine Suppe nicht wollte, musste so lange sitzen bleiben, bis der Teller leer gelöffelt war. Oft kassierten wir die Prügel auch gemeinsam. Wir mussten dann in Reih und Glied antreten, und bevor unser Erzieher zuschlug, zog er noch sorgfältig den Ehering vom Finger, damit es keine sichtbaren Verletzungen gab.
Es wird häufig gesagt, die „Tracht Prügel“ habe damals nun einmal zum üblichen erzieherischen Repertoire gehört. Wie sehen Sie das?
Wenn ich höre, „das war der Zeitgeist“, sage ich: stimmt! Wenn jemand meint, „ein Klaps hat noch niemandem geschadet“, sage ich: stimmt nicht! Mir hat der „Zeitgeist“ damals herzlich wenig geholfen. Jede einzelne Züchtigung, jede dieser völlig überzogenen Strafen war demütigend und erniedrigend. Ich sage aber auch: Trotz aller Gewalt bin ich gut durch die Schule gekommen, dank einer guten Klassengemeinschaft, die übrigens bis heute besteht.
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Haben Sie auch sexuelle Übergriffe auf andere Schüler mitbekommen?
Nein. Aber das wäre für mich niemals ein Grund, zu behaupten, dass es sie nicht gegeben hätte und dass sich die Betroffenen das alles ausgedacht hätten, wie manche jetzt behaupten.
Warum haben Sie sich an dem Forschungsprojekt beteiligt?
Als der ehemalige Schüler Werner Becker im „Kölner Stadt-Anzeiger“ von einem „System des Machtmissbrauchs, des Wegsehens und der Begünstigung“ sprach, war mein erster Gedanke: Das ist mir zu einseitig, das darf so nicht stehen bleiben. Mir lag an einer differenzierten Darstellung. Jeder Ehemalige sollte seine persönlichen Erfahrungen – positive und negative – beisteuern können, übrigens auch unterschieden nach den Schüler-Generationen. Denn wie wir im Projekt festgestellt haben, hat die Gewaltanwendung im Lauf der Jahrzehnte ja signifikant abgenommen.
Welchen Lerneffekt wünschen Sie sich für die Kirche?
Nach der abwiegelnden Reaktion Kardinal Gerhard Müllers, des früheren Regensburger Bischofs, auf den Ermittlungsbericht zum Missbrauch bei den Regensburger Domspatzen zweifle ich sehr an der Lernfähigkeit der Institution Kirche. Andernfalls müsste sie sich längst offensiv damit befassen, ob und wie ihre Sexualmoral oder der priesterliche Zölibat sexuellen Missbrauch begünstigen. Uneingeschränkt positiv finde ich, dass die Betroffenen erstens die Chance bekommen haben, über ihre Missbrauchserfahrungen zu sprechen und sich so ein Stück weit zu entlasten – wenn sie das wollten. Und zweitens, dass ihnen die Kirche auch nach so langer Zeit auf Wunsch therapeutische Begleitung angeboten hat.