Sie ist 86 Jahre alt und begeistert Hunderttausende auf Youtube mit ihren Videos: Agnes Lingscheid, genannt Oma Agnes.
Mehr als eine Million Views„Oma Agnes“ wird mit Eifeler Rezepten zum Youtube-Star
Wer erinnert sich nicht gern zurück an die Zeit als Kind, wenn Oma Plätzchen gebacken hat und man den Teig naschen durfte? Wenn man an einem Sonntag die Großeltern besucht hat und es beim Eintreten bereits nach Braten geduftet hat? Diese Nostalgie vermittelte Oma Agnes über Jahre hinweg hunderttausenden Zuschauern auf Youtube.
Mehr als 900.000 Aufrufe hat ihr beliebtestes Video „Backen mit Oma Agnes – Spritzgebäck“. Hunderte Menschen haben Kommentare zu dem Backvideo geschrieben: „Danke für dieses wunderschöne Video. Hat mich an meine Eltern erinnert und mir Tränen in die Augen getrieben“, schreibt eine Nutzerin. „Genau dieses Rezept hat mir auch meine Oma beigebracht. Da werden Erinnerungen wach“, kommentiert die nächste.
Oma Agnes bleibt trotz ihrer Berühmtheit bescheiden
„Die Leute schauen sich das an, weil sie sich in ihre Kindheit zurückversetzt fühlen“, schildert Schwiegersohn Johannes Ahlbach. Er filmte Oma Agnes, mit vollem Namen Agnes Lingscheid, und veröffentlichte die Videos auf seinem Youtube-Kanal. Und Oma Agnes? Sie bleibt bescheiden. „Das freut uns so, dass es den Leuten gefällt“, sagt sie und lächelt: „Ich war erst so überrascht, dass sich das so viele Menschen ansehen.“
Die 86-Jährige sitzt in ihrer kleinen Küche auf einem Stuhl, die schmalen Hände auf dem Schoß gefaltet. Wie in ihren Videos trägt sie eine Schürze, die Haare werden ordentlich von einer Spange gehalten. Auf der Bank sitzt Opa Ferdi (Ferdinand Lingscheid), den Gehstock ans Bein gelehnt. In den meisten Videos kommt auch er vor. Viel zu sagen hat er aber nicht in der Küche. „Ja ja, es gibt da ein paar Szenen“, erinnert sich Oma Agnes und lacht: „Da sage ich ihm, was er machen soll. Zum Beispiel den Fleischwolf nicht so schnell drehen, als wir Spritzgebäck gemacht haben.“
Die Gilsdorferin hat seit ihrer Jugend Eifeler Rezepte gesammelt
Die Leidenschaft für das Backen habe ihr die Mutter vermittelt: „Wir haben früher alles selbst gemacht und ich habe früh mit angepackt.“ Ihre zwei Kinder und vier Enkel lieben ihr zufolge ihre Plätzchen, Kuchen und Hausmannskost. Mit den Videos wolle sie diese Freude auch an andere Menschen weitergeben.
Die Rezepte sammelt Oma Agnes seit ihrer Jugend. Auf vergilbten Seiten stehen in Sütterlin Back- und Kochanleitungen in ihrem Rezeptbuch. Eine Auswahl daraus ist auch erhältlich über die Papeterie Stichgrün, die einer Freundin der Familie gehört. „Wir haben zusammen mit einer Freundin ein Backheft gemacht, das man über ihre Webseite runterladen kann“, sagt Ahlbach. Eine liebevolle Illustration von Agnes Lingscheid mit einem Smartphone in der Hand ziert die Titelseite des Hefts „Backen mit Oma Agnes“.
Im Inneren finden sich einfache, traditionelle Backrezepte mit kleinen Texten der Seniorin. Neben Empfehlungen zur Zubereitung sollen die Passagen auch zum Schmunzeln anregen. So amüsiert sich Oma Agnes in einem Text über Krabbele darüber, dass die Quark-Mutzen im Schwäbischen Nonnenfürze heißen. Oder, dass ein Rezept von ihrer „Lieblingsschwiegertochter“ stamme – wo sie aber nur eine Schwiegertochter hat. Ahlbach verrät: „Die Texte habe ich geschrieben. Sie hat die gesehen und fand sie in Ordnung.“
Flutkatastrophe trifft Gilsdorfer Ehepaar schmerzlich
Seit 63 Jahren ist das Ehepaar Lingscheid verheiratet. Wenn Oma Agnes erzählt, spricht sie meistens von „Wir“. Opa Ferdi, 88 Jahre alt, ist immer mitgemeint. Dass sie einander unterstützen, sei selbstverständlich – gerade dann, wenn es nicht rund laufe. „Diamant-Hochzeit haben wir leider nicht gefeiert wegen Corona“, bedauert die Seniorin.
Auch die Flutkatastrophe traf die Eheleute schmerzlich. Das gesamte Erdgeschoss ihres historischen Hofs, der einst das Standes- und Postamt des Dorfs beherbergte, stand unter Wasser. „Wir haben so vieles verloren, auch hier in der Küche. Den alten Ofen zum Beispiel. An die neue Küche musste ich mich erst gewöhnen, mit den ganzen neuen Einstellungen und Knöpfen“, sagt Agnes Lingscheid.
„Youtube-Freunde“ helfen nach der Flut beim Wiederaufbau
Doch auch nach der Flut haben die Menschen im Internet sie unterstützt. „Wir haben einen Spendenaufruf gestartet, um das Haus wieder aufzubauen“, erklärt Ahlbach. In einem weiteren Youtube-Video zeigt Oma Agnes, wie der Hof durch die Flut zerstört wurde. „Die Leute haben mehrere Tausend Euro gespendet. Das war überwältigend für uns“, so Ahlbach. Das jüngste Video des Kanals zeigt Oma Agnes, die sich bei ihren „Youtube-Freunden“ für die Spenden bedankt. Opa Ferdi sitzt neben ihr, wie in den Videos üblich schweigend, doch zu Tränen gerührt.
Oma Agnes berichtet: „Wir durften fünf Monate in einer freien Wohnung von der sehr lieben Familie Nießen in Holzheim leben.“ Dort habe ihr etwas besonders gefallen: „Wir haben dort eine Heiratsurkunde gefunden von Menschen, die in dem Standesamt in unserem Haus geheiratet haben.“ Opa Ferdi wirft ein: „Nein, ich glaube, das war eine Geburtsurkunde.“ Später stellt sich raus: Opa Ferdi hat recht. So oder so sagt Oma Agnes, wolle sie gerne eine Kopie davon haben. Was sie auch noch erwähnen will: Wie sehr ihre Familie, neben ihrer Tochter Irmgard Lingscheid-Ahlbach und deren Mann auch ihr Sohn Hans-Georg Lingscheid und seine Frau Anette Krapp, sie beim Wiederaufbau unterstützt haben.
Die Flut habe jedoch dafür gesorgt, dass sich ihr Gesundheitszustand verschlechterte. „Der ganze Stress hat mir nicht gutgetan“, sagt die Seniorin. Ihr Rücken mache schon länger Probleme, doch jetzt sei es ihr kaum noch möglich, länger zu stehen. „Das ist auch der Grund, warum ich mit den Videos aufhören musste“, erklärt sie. Was bereits auf dem Kanal ihres Schwiegersohns zu sehen sei, bleibe aber online. Wer also etwa Mutzen oder Spekulatius wie von den Großeltern nachbacken möchte, kann sich weiter von Oma Agnes anleiten lassen.
Opa Ferdi blickt ebenfalls auf eine bewegte Vergangenheit zurück
In den Backvideos seiner Frau schweigt Opa Ferdi höflich und zurückhaltend. Doch auch er blickt auf ein bewegtes Leben zurück und kann viel erzählen: „Ich habe lange im Freilichtmuseum gearbeitet. Dort war ich dafür zuständig, die Wildkräuter nachzuzüchten. Ich habe auch traditionelle Kinderspielzeuge hergestellt und dem Publikum vorgeführt.“