In der Flut verlorenWie Kater Garfield nach sechs Monaten wieder nach Hause fand
Bad Münstereifel-Arloff/Bonn – Als Kater Garfield zur Welt kam, übernachtete die damals neunjährige Chiara tagelang im Flur auf dem Boden, um ihn nicht aus den Augen zu lassen. Eines der beiden frischgeworfenen, sehr schwachen Kätzchen hatte es nicht geschafft. Das andere kämpfte, wurde von Chiara liebevoll gepäppelt und umsorgt. Aus ihm wurde schließlich ein prächtiger rotfelliger Schmusekater, der den passenden Namen Garfield erhielt.
Heute ist es Chiara, die kämpft. Bei der 18-Jährigen wurde im Frühjahr 2019 eine seltene, lebensbedrohliche Erkrankung diagnostiziert. Seitdem ist für Chiara und ihre Familie nichts mehr, wie es einmal war. Chiara verbrachte die Zeit seither in Krankenhäusern oder isoliert in den eigenen vier Wänden. Die Haustiere, allen voran Kater Garfield, sind für die junge Frau zu einer wichtigen seelischen Stütze geworden. Wer selber welche hat, weiß wie viel Trost die Vierbeiner schenken können. „Chiara und Garfield – wenn sie ins Bett geht, geht er mit“, erzählt Mutter Michaela.
Diagnose „Schwere Aplastische Anämie“
Transplantation
Bis April 2019 führte Chiara Müller ein ganz normales Teenagerleben. Sie besuchte die Realschule in Euskirchen, spielte leidenschaftlich gerne Handball, zuletzt in der Oberliga. Die Diagnose „Schwere Aplastische Anämie“ traf sie und ihre Familie unerwartet: Die seltene Krankheit führt dazu, dass das Knochenmark nicht mehr eigenständig neues Blut produzieren kann.
Die nunmehr 18-Jährige hat seither unzählige Krankenhausaufenthalte hinter sich gebracht, Bluttransfusionen und Knochenmarkpunktionen ausgehalten, ebenso Chemotherapie und Bestrahlungen. Im April letzten Jahres bekam Chiara eine Knochenmarktransplantation, die sie gut verträgt, die jedoch noch nicht den gewünschten Effekt hat.
Freunde rund um die Familie Müller haben ein Fundraising auf die Beine gestellt, um mit den Spenden die 49-Jährige und ihre vier Kinder unterstützen zu können. Michaela Müller, die ihre Arbeit aufgegeben hat, um sich um Chiara kümmern zu können, ist sehr dankbar für diese Ressource, mit der manche zusätzliche Belastung abgefedert werden kann.
Bei der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer verlor Familie Müller dann auch noch fast ihr gesamtes Hab und Gut. Zurzeit leben sie in einer Wohnung in Bonn, freuen sich aber schon sehr auf die Rückkehr in das Haus in Arloff. „Wir sind echte Dorfkinder, keine Stadtmenschen“, sagt Michaela Müller. Auch die beiden Hunde und die zwei Katzen werden dann wieder mehr Natur genießen können. (hn)
Und dann schlägt das Schicksal erneut zu: Als im Sommer die Flut über die Region hereinbricht, trifft es auch Familie Müller hart. Ihr Mietshaus in Arloff, direkt an der Erft gelegen, wird geflutet. „Die ganze Nacht haben wir im ersten Stock ausgeharrt. Zeitweise haben wir gedacht, wir überleben das nicht“, sagt Michaela Müller. Die Bauern seien am nächsten Morgen ihre Rettung gewesen.
Und die Rettungsaktion ist nicht ohne, denn drei Monate zuvor hat Chiara eine Knochenmarkspende erhalten, ihr Immunsystem ist äußerst anfällig. „Keinesfalls durfte sie mit dem schlammigen Wasser in Kontakt geraten“, so die Mutter.
Aus Holz, Schwemmgut, Paletten und Müll bauen die Landwirte schließlich eine Art Rettungsbrücke, hieven Chiara aus dem Fenster und fahren sie mit einem Traktor ins Trockene, wo bereits ein Auto bereitsteht.
Bei der Evakuierung werden auch die beiden Hunde sowie Garfield und seine Mutter aus dem Haus geholt. „Die Katzenkörbe hatten wir nicht mehr, also haben meine Schwester und ich Luftlöcher in Rucksäcke und Taschen geschnitten“, erzählt Chiara. Für Garfield aber ist die Rettung der pure Stress. In Panik nutzt er die Chance, befreit sich aus der Tasche, in der er bereits sitzt, und flüchtet aus der noch offenen Autotür.
„Jeden Tag sind wir zurückgekehrt zum Haus, haben nach Garfield gesucht, ihn gerufen, mit Futter gelockt. Zu jeder Tages- und Nachtzeit haben wir das probiert“, erzählt Michaela Müller. Immer wieder finden sie seine Pfötchen-Abdrücke auf dem matschigen Boden. „Irgendwie haben wir uns immer wieder verpasst. Und dann blieben die Abdrücke irgendwann aus.“
Für Chiara bricht die Welt zusammen. Wie sie sich gefühlt habe ohne Garfield? „Einfach scheiße“, so die 18-Jährige freimütig.
In den chaotischen Wochen nach der Flutkatastrophe suchen viele Haustierhalter in der betroffenen Region ihre verschwundenen Lieblinge. Auf Facebook gründen sich etliche Gruppen, in denen Menschen Steckbriefe ihrer vermissten Tiere posten, andere suchen nach den Haltern von aufgefundenen Katzen, Hunden, Hasen, Meerschweinchen oder Schildkröten. Auch Familie Müller nutzt das Medium und sucht nach Garfield – doch leider vergebens. Immer wieder melden sich Menschen, die eine rote Katze gesichtet haben, aber diese haben nie die charakteristischen weißen Pfötchen Garfields und den einen Punkt darauf.
„Ich hab den Dicken! Ich habe den Dicken!“
Doch Chiara wäre keine Kämpferin, wenn sie so schnell die Hoffnung aufgeben würde. „Ich habe öfter geträumt, dass er zurückgekommen ist“, erzählt sie. Zu Beginn des neuen Jahres beschließt sie also, noch einmal ihren Suchauftrag in die Facebook-Gruppen zu posten, der daraufhin auch vielfach von anderen Usern geteilt wird.
„Der Schrei, der am Freitag vergangener Woche aus Chiaras Zimmer kam, ließ mich erst einmal denken, ihr wäre etwas zugestoßen“, erzählt Mutter Michaela. Sofort sei sie losgerannt, habe ihre Tochter hemmungslos weinend auf dem Bett gefunden, immer wieder schluchzend „Ich hab den Dicken! Ich habe den Dicken!“ Gemeint war Kater Garfield, der sich im Laufe der Jahre mit gesundem Appetit den Spitznamen „Dicker“ verdient hatte.
Garfield taucht in Kirspenich auf
Obwohl es bereits 23 Uhr am Abend ist und alle schon auf dem Weg ins Bett sind, beschließt Familie Müller, sich sofort ins Auto zu setzen, um den Kater zu holen. „Eine Frau hatte ihn in Kirspenich gefunden. Nur einen Ort entfernt von unserem Zuhause“, so die 49-Jährige.
In dem Nachbarort von Arloff kannte man Garfield bereits – maunzend und um Futter bettelnd hatte er sich das vergangene halbe Jahr durch die Nachbarschaft gefressen. „Anfassen jedoch ließ er sich von niemandem“, so Chiara. Und das mag man kaum glauben, erlebt man Garfield nach seiner glücklichen Rückkehr im Kreis seiner Familie. „Seit er wieder bei uns ist, hat er quasi durchgeschnurrt“, sagt Michaela Müller lachend. Man habe den Eindruck, er hole jetzt alle verpassten Schmuseeinheiten nach, weicht vor allem Chiara nicht von der Seite.
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Die Strapazen der letzten Monate merkt man dem neunjährigen Tier kein bisschen an. „Er hatte sich Würmer eingefangen, sonst fehlte ihm nichts“, so die Mutter. Dünner geworden sei er in der Zeit auf der Straße jedenfalls nicht, beteuert Chiara: „Er war und ist ein echter Pummel.“ Ihr Garfield eben.