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Nach der FluchtGesamtschule Eifel integriert junge Ukrainer in den Schulalltag

Lesezeit 4 Minuten
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Das Lernen macht den beiden vor wenigen Wochen aus der Ukraine geflüchteten Zwölfjährigen Lisa (l.) und Marta Spaß.

Blankenheim – Sie haben den Krieg erlebt, sind teilweise Waisen: Ukrainische Kinder, aus ihrer Heimat geflüchtet, leben mittlerweile auch in den Gemeinden Blankenheim und Nettersheim. Sie erhalten an der Gesamtschule Eifel einen eigenen Förderunterricht.

„Du fährt.“ Ivan, zwölf Jahre alt aus Kirovograd mitten in der Ukraine, tut sich beim Konjugieren des Verbs „fahren“ noch schwer. Im Deutschen die Verbform dem richtigen Personalpronomen zuzuordnen, ist nicht so einfach. Das lernt der Junge, der wie sein vier Jahre älterer Freund Vitalik seit drei Monaten in Blankenheimerdorf bei einer Familie untergekommen ist, derzeit.

Individuelle Stundenpläne für Blankenheimer Schüler

Die Brüder haben ihre Eltern im Krieg verloren. In der Gesamtschule sind sie derzeit zwei von sechs Geflüchteten aus der Ukraine. Sie zählen zu den 24 12- bis 17-Jährigen, die in den Kursunterricht ihrer Jahrgangsstufen integriert sind und zudem gezielten Sprachförderunterricht erhalten.

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Eine optimistische Grundhaltung eint die Sprachfördergruppe.

„Jedes der Kinder hat einen individuellen Stundenplan“, erläutert Lehrerin Birgit Lorenzen. Sie ist eigentlich schon pensioniert, hilft aber jetzt im Sprachförderunterricht für Kinder mit Migrationshintergrund aus – „weil eben der Bedarf besteht“.

Bombardements in der Heimat erlebt

Zur Gruppe gehören auch Lisa und Marta, zwei Zwölfjährige aus Lviv und Kiew. Beide sind erst seit 14 Tagen in Deutschland. Lisa lebt mit ihrer kleinen Schwester und ihrer Mutter bei einer Gastfamilie in Baasem, Marta mit den Eltern bei einer Familie in Rohr.

Die Mädchen haben in der Ukraine, so Lehrerin Lorenzen, „die Bombardierung eines Flughafens und einer Fabrik erlebt“. Dennoch: „Ein Kriegstrauma haben sie Gott sei Dank genauso wenig wie die anderen Flüchtlingskinder aus der Ukraine, die wir bisher in der Schule haben“, so Smeczana Werner, Lehrerin für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache.

Lehrerinnen sind auch Dolmetscherinnen

Die beiden Lehrerinnen werden mittwochs von Tanja Yaroshenko aus Tscherkassy in der südöstlichen Ukraine und freitags von der russischstämmigen Daria Piehler unterstützt.

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Um den Sprachförderunterricht an der Gesamtschule Eifel kümmern sich unter anderem Birgit Lorenzen (v.l.), Tanja Yaroshenko und Smeczana Werner.

Yaroshenko und Piehler sind auch Dolmetscherinnen, so erfahren sie ansatzweise, was etwa Lisa, Marta oder auch die Schwestern Violetta und Usemia im Krieg in ihrer Heimat erlebt haben. „Die Kinder zucken zusammen, wenn Luftwaffenflugzeuge der Bundeswehr oder der USA bei ihren Übungsflüge über Blankenheim zu hören sind“, so Yaroshenko.

Schule profitiert von den Erfahrungen aus 2015/16

Lisa und Marta lernen nun die ersten Worte Deutsch, bei anderen Kindern ist das Niveau das der Alphabetisierung: Sie können nicht schreiben und nicht lesen. Die beiden finden die Betreuung durch die Lehrer und die Hilfe der Mitschüler toll, meint Marta, die gerne tanzt, schwimmt und malt. Später will sie einmal Polizistin werden. Ihre Sitznachbarin Lisa kann sich fürs Lernen überhaupt begeistern, sie finde es leicht und ist, so Lehrerin Werner, eine ausgemachte Leseratte.

Lesen lernen, Grundzüge der Fremdsprache Deutsch, was zuerst über die Alltags-, dann über die Bildungssprache funktioniert – was können die Lehrerinnen von den Kindern und Jugendlichen erwarten? Am Ende den Realschulabschluss? An der Gesamtschule ist man grundsätzlich optimistisch: Das habe man durchaus schon mit Flüchtlingskindern – etwa aus Syrien – geschafft. Erfahrungen aus 2015/16 kommen dem Unterricht jetzt zugute.

Schüler mit unterschiedlichem Bildungsniveau

Das kann von Vorteil sein, denn Lisa, Marta, Violetta, Usemia, Ivan und Vitalik haben je nach ihrem derzeitigen kognitiven Wissensstand, oder weil sie bislang nur das kyrillische Alphabet kennen, ein grundsätzliches Problem: „Eigentlich müssten einige der Kinder in die Grundschule, was aufgrund ihres Alters aber nicht geht“, so Lehrerin Werner. Also fängt auch sie „praktisch bei Null an“.

Das Spektrum in der 24er-Gruppe ist groß: Manche sind aus griechischen Flüchtlingslagern und hatten noch nie Schulunterricht, andere können weder schreiben noch lesen. Und es gibt Kinder, „die über das komplette Wissen verfügen, es fehlt ihnen aber die deutsche Sprache“, so Werner.

Die Logistik ist ein kleines Meisterwerk

Viel komplexer und heterogener kann eine Klasse kaum sein, deren Betreuung nebenbei ein kleines logistisches Meisterwerk ist, wenn man 24 individuelle Lernpläne zusammenführen will. Oberstes Prinzip des Sprachförderunterrichts für die Gruppe ist, dass sie so weit wie möglich am Regelunterricht teilnehmen können, in dem es nicht so sehr auf die Sprachkenntnisse ankommt, also etwa Mathematik, Sport und Kunst. Wo Verständnisdefizite offenkundig werden, kommt dann die individuelle Betreuung dazu.

Violetta, Usemia, Lisa, Marta, Vitalik und Ivan wissen nicht, wie lange sie von dieser Ausbildung profitieren, ob sie für immer in Deutschland bleiben, oder, falls sie noch Eltern oder wenigstens nahe Verwandtschaft haben, die sie aufnehmen können, eines Tages in die Ukraine zurückkehren.

Der Zwiespalt von Heimweh und Glück

Im Unterricht sprechen die Lehrerinnen dieses Thema und die Fluchtgeschichten erst dann an, wenn die Kinder es auch kommunizieren können. „Die Mädchen wollen lieber zurück, die Jungs eher hierbleiben“, so Tanja Yaroshenkos Eindruck.

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Allen Kindern gemeinsam ist in unterschiedlicher Ausprägung allerdings ein Gefühl, so Smeczana Werner: „Es ist eine Mischung aus Heimweh und Glück. Sie spüren, dass sie hier in Sicherheit sind.“