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Bilder vom GeisterzugZum ersten Mal in 400 Jahren hat Blankenheim eine Frau als Obergeist

Lesezeit 9 Minuten
Als weißer Geist verkleidet und mit Flügeln auf dem Rücken reitet Blankenheims Prinzessin Dilek I. (Schröder-Tas) an der Spitze des Geisterzugs. Ihr Pferd wird von zwei Helferinnen geführt.

In der mehr 400-jährigen Geschichte des Geisterzugs ritt mit Prinzessin Dilek I. (Schröder-Tas) zum ersten Mal eine Frau als Obergeist dem Zug voran.

Juh Jah, Kribbel en dr Botz. In Blankenheim wird die Jahrhunderte alte Tradition des Geisterzugs eindrucksvoll gepflegt.

Wenn Hellmut Müllenmeister aus der Blankenheimer Kaisergarde über den traditionellen Geisterzug in dem Eifelort spricht, dann sagt er auffällig häufig: „Schon immer“. „Schon immer“ habe es diesen Zug gegeben. „Schon immer“ sei der Zug von zwei „Jecken Böhnchen“ eröffnet worden.

„Schon immer“ seien die Menschen mit Bettlaken als Geister verkleidet durch die Gassen der Stadt gesprungen – immer von links nach rechts und von rechts nach links, nie geradeaus. „Schon immer“ habe ein Prinz mit selbst gebastelten Flügeln als Obergeist hoch zu Ross gesessen. Er habe die wild durch das verwinkelte Dörfchen springende Geisterschar angeführt.

Dilek I. ist der erste weibliche Obergeist in mehr als 400 Jahren

„Noch nie“ hingegen seien die in ein Bettlaken gewickelten Gespenster mit den zwei abstehenden Laken-Öhrchen allerdings von einer Frau angeführt worden. Das sei in diesem Jahr das erste Mal. Links neben Müllenmeister steht eine kleine Frau mit Pferdeschwanz. Kerzengrade. Ihr ganzer Körper ist angespannt. Bis in die Fingerspitzen. Sie strahlt. Dilek Schröder-Tas ist der erste weibliche Obergeist in einer mehr als 400 Jahre alten Karnevalstradition.

Auch wenn Schröder-Tas eine Frau ist, nennt man sie Obergeist, nicht etwa Obergeistin. „Trotz Frau an der Spitze wird im Traditionskarneval nicht gegendert“, erklärt Karnevalist Kurt Hüllbüsch und lacht. Prinzessin Dilek lacht auch. Warum es bisher keine Prinzessin gegeben hat, erklären die Männer aus der Garde mit den „alten Statuten“, die jedes kleinste Detail des Geisterzuges reglementieren. Die Schrittfolge, die Kostüme, das Figuren-Ensemble, das Geschlecht des Obergeistes.

Doch weil die Statuten eben alt und nicht mehr zeitgemäß waren, habe man die geändert, sagt Hüllbüsch. In der Niederschrift der Jahreshauptversammlung sei 2018 festgehalten worden, dass auch eine Frau – und zwar eine Frau allein – an der Spitze stehen könne. Seit den Änderungen habe der Verein aber keine Frau gefunden, die sich bereit erklärt hatte. „Aber wir haben tatsächlich auch immer nur nach einem Prinzen gesucht“, gesteht Hüllbüsch.

Als kleines Mädchen hatte die Prinzessin Angst vor den Hexen

Schröder-Tas hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie für die Rolle bereitstehe. Schon als junges Mädchen habe sie gewusst, dass sie einmal Prinzessin werden wolle. „Ich bin ein echtes Blangemer Mädchen“, sagt sie: „Und ich fühle mich auch so.“ Aufgewachsen ist sie in der Ahrstraße, durch die der Zug jedes Jahr um 19.11 Uhr am Karnevalssamstag führt.

Mit fünf Jahren stand Schröder-Tas am Straßenrand und fürchtete sich vor den Hexen, die mit ihren Besen die Kinder erschreckten, bald sprang sie als Geist selbst mit. Mit sieben Jahren begann sie als Majorette in der Kaisergarde zu tanzen. Der Weg in den traditionsreichen Blankenheimer Karneval war geebnet.

Prinzessin Dilek wird in Blankenheim als Obergeist eingekleidet. Doch die Flügel sind ihr zu groß, bislang haben nur große Männer sie getragen.

Es gibt Probleme mit den Flügeln für Prinzessin Dilek. Die sind viel zu groß. In den Vorjahren saßen sie auf den Schultern von großen Männern.

Prinzessin Dilek öffnet eine schwere Holztür und betritt ein uriges kleines Museum im Georgstor. Auf einem Pult sind Ordner mit vergilbten Dokumenten befestigt, darüber eine Leselupe. „Karneval 1879-1939“ steht da. Weitere Ordner gibt es auf weiteren Pulten. Wer alles Lesen möchte, sollte Sütterlin beherrschen.

In Setzkästen liegen alte Geisterfiguren, menschengroße Puppen sind als Hexen und Teufel verkleidet. Dazwischen stehen Isolde Meyer und Dilek Schröder-Tas. Prinzessin Dilek hält ihre Augen geschlossen, während Meyer das Bettlaken um die Prinzessin wirft. Sie schnürt die Kordeln fest. Eine um den Hals, eine um die Taille, zwei um die Arme.

Die Verkleidung ist für alle Geister in Blankenheim gleich

Nach der Kleidung folgt die Maske. Großzügig, hingebungsvoll und sorgfältig trägt Gina Bruins weiße Farbe auf das Gesicht der Prinzessin auf. Immer dann, wenn Dilek Schröder-Tas sich in die Hände ihres Gefolges begibt, fällt für einen Moment alle Anspannung von der Blankenheimerin ab. Ihre Gesichtszüge entspannen sich. Die kleinen Rituale in den drei kleinen Räumen, die nach vier Jahrhunderte altem Papier riechen, werden für sie zur Wellness-Kur.

Die sind echt schwer. Mindestens fünf Kilo.
Prinzessin Dilek über die Flügel

Jeder Geist, der beim Geisterzug mitspringt, bekommt Öhrchen. Doch nur der Obergeist bekommt Flügel. Die werden gerade hineingetragen. Die Flügel sind aus Gips und beinahe so groß wie Prinzessin Dilek selbst. Drei Männer helfen beim Anpassen der Flügel. „Die sind echt schwer“, sagt Schröder-Tas: „Mindestens fünf Kilo.“

Die Männer, die um die Prinzessin herumstehen, schütteln die Köpfe. Fünf Kilo, das können sie sich nicht vorstellen. Auch das Gestell ist für die Prinzessin zu groß. „Ich habe das Gefühl, das mir das Ganze unter den Achseln wegrutscht.“ Harry Balter, der einst selbst Obergeist war, deutet auf Markus Schröder, Finanzpage und Ehemann der Prinzessin:„Würde der schwere Kerl das tragen, dann wäre das alles kein Problem.“ Dann bietet er an, Kabelbinder zu holen.

Der Prinzessin ist kurz vor dem Start doch ein bisschen mulmig

Mit gesicherten Flügeln rennt die Prinzessin jetzt hin und her. Die Kaisergarde ist losgezogen. Jetzt wird sie auf das Pferd steigen müssen. Wenn sie daran denkt, dort oben auf dem Rücken des Fluchttieres zu sitzen, überall Fackeln und kreischende Geister, wird ihr mulmig. Sie wolle zwar der erste weibliche Obergeist sein, aber nicht der erste weibliche Obergeist, der vom Pferd fällt.

Prinzessin Dilek spricht viel vom Pferd, aber mehr Angst hat sie doch vor dem Urteil der Menschen. Sie weiß, dass heute nicht nur für sie ein besonderer Tag ist. Sie möchte nicht enttäuschen.

Teufel, Hexen und die Jecken Böhnchen gehören zur Tradition

Am Sankt Georgstor warten die Geister. Die Kaisergarde zieht vorbei und Dilek I. reitet los. Hinter ihr die Jecken Böhnchen (zwei tanzende junge Männer), Hexen (kehren den Geistern den Weg frei), der Teufel (beschützt die Prinzessin), und eine kleine Traube von Geistern. Am Straßenrand stehen die Zuschauer ganz still. Es ist dunkel.

Ganz vorne laufen Sarah und Axel Steinmann mit ihren Söhnen Felix und Ben. Felix trägt eine Fackel und kann es nicht erwarten, sie anzuzünden. Das gehe aber erst, nachdem sie „unten an der Ahrstraße“ auf die Kaisergarde getroffen seien, erklärt seine Mutter Sarah Steinmann. Dann zieht er an der Hand seiner Mutter. Er findet, dass die Geister zu langsam gehen.

Der Zug der Geister zieht kreischend durch die Straßen von Blankenheim. In dem Traditionszug sind die Teilnehmer mit weißen Bettlaken verkleidet. Viele haben Pechfackeln in der Hand.

Der Zug der Geister zieht kreischend durch die Straßen von Blankenheim.

Dort, wo Kaisergarde und Geister aufeinander treffen, leuchtet es. Es ist das gelb-orange Licht von Feuer und Fackeln. Und es ist das weiß-blaue Licht von Handy Taschenlampen. „Wenn wir mehr auf Feuer und weniger auf Handys setzen würden, wär das hier alles noch viel schöner“, ruft jemand vom Bordstein.

Juh-Jah, Kribbel en dr Botz! Das wird in Blankenheim immer weiter gesungen

Der Geisterzug setzt sich in Bewegung. Prinzessin Dilek sitzt konzentriert auf ihrem Pferd. Irgendwo kreischt eine Frau. Der Geisterzug ist eröffnet. „Juh-Jah“, rufen die Zuschauer vom Bordstein. Das ist das Blankenheimer „Alaaf“. „Juh-Jah“, antworten die Geister. Dann stimmen sie ihr Lied an: „Juh-Jah, Kribbel en dr Botz! Wer dat net hät, dä es nix notz!“ Axel Steinmann erklärt seinen Söhnen, was „Kribbel en dr Botz“ bedeutet. Es bedeutet: „Bock haben, dass es kribbelt in der Hose, dass man richtig Spaß an der ganzen Sache hat.“

Aaach, der ist nachgemacht.
Kurt Hüllbüsch über den Geisterzug in Köln

Sein Sohn Felix braucht diese Erklärung nicht. Gemeinsam mit seiner Mutter springt er in großen Schritten von links nach rechts und schwenkt seine Fackel. Doch immer wieder läuft er anderen Geistern auf. „Ich glaube, das groovt sich noch ein“, sagt seine Mutter Sarah Steinmann. Die Blankenheimerin springt in diesem Jahr zum zweiten Mal im Geisterzug mit. Ursprünglich kommt sie aus Frechen. Aus ihrer alten Heimat kennt sie diesen Brauch nicht.

Überhaupt sei der bundesweit einmalig. Da sind sich alle Blankenheimer einig. Markus Schröder sagt: „In Köln gibt es zwar auch einen...“ Weiter kommt er nicht. Von Raunen wird er unterbrochen. „Aaach, der ist nachgemacht“, sagt Hüllbüsch. Irgendwann sei einmal angezweifelt worden, dass der Karnevalszug, der seit 411 Jahren immer den gleichen Regeln folgt, wirklich so alt ist. „Aber Dokumente aus der Zeit können das beweisen.“

Der Ritt durchs rot erleuchtete Georgstor ist einfach das Größte

„Jahauu“ brüllt eine Frau aus voller Kehle, während Prinzessin Dilek I. auf ihrem Pferd unter dem St. Georgstor durchreitet. Sie sitzt jetzt gerade, wirft ihre Arme in die Luft und brüllt „Juh-Jah“. Ein bengalisches Feuer brennt und hüllt das alte Tor in rotes Licht. Aus dem Turm winkt Bürgermeisterin Jennifer Meuren der Prinzessin zu. Es riecht nach Rauch. Später wird Dilek Schröder-Tas verraten: Das war ihr Lieblingsmoment.

Ein Teufel und mehrere Hexen zählen zu den Traditionselementen des Geisterzugs in Blankenheim.

Dem Geisterzug voran springen ein Teufel und die Hexen.

Die brüllende Frau ist Anja Bertram. Die Geisterzüge habe die 53-Jährige mit der Muttermilch aufgesogen, erzählt sie. Sie meint es wortwörtlich: „Zwischen den Zügen wurde ich am Bordstein von meiner Mutter gestillt. Bertram und ihre Begleiterin Angelika Schlemmer springen gemeinsam in jeden Winkel. Das sei wichtig, um die Winterdämonen zu vertreiben, erklärt Bertram. Die versteckten sich nämlich in jeder Ritze. Früher sei es für die Leute, die von der Landwirtschaft lebten, von immenser Bedeutung gewesen, den Winter aus dem Dorf zu vertreiben. „Und auch heute noch sind wir froh, wenn es nicht mehr so kalt ist“, sagt sie.

Dann rennt sie auf einen Zuschauer zu und brüllt ihm ins Gesicht. „Ein Bekannter“, erklärt sie. Bertram hat viele Bekannte auf dem Zug. Eine Hexe ist ihre Schwägerin. Der rot geschminkte Teufel Frank Bertram ist ihr Ehemann.

Nachwuchs und Regeln bewahren die Tradition in Blankenheim

An einer Straßenecke ruht der sich gerade aus. Er sieht aus, als wäre sein Gesicht auch ohne Schminke tiefrot. Seit 23 Jahren spielt er den Teufel im Blankenheimer Karneval. Und in all den Jahren, so sagt er, habe sich eigentlich nur eins geändert: Sein Knie wolle nicht mehr ganz so, wie er will. Anja Bertram verrät, dass ihr Mann schon auf der Suche nach einem Nachfolger sei. Nachwuchs sei ohnehin das Wichtigste beim Blankenheimer Karneval, erklärt sie.

Nachwuchs und Regeln. Nur so sei es möglich, dass der Karneval sich in einem kleinen Eifeldörfchen über so lange Zeit konserviere. Dass er heute noch genauso sei wie vor 400 Jahren. Und nur, wenn die nächste Generation die Tradition weitertrage, könne der Karneval auch noch die nächsten 400 Jahre so bleiben, wie er „schon immer war“. Bertram brüllt einem Zuschauer ins Gesicht. Diesmal war es kein Bekannter. Ob bekannt oder fremd, das macht in dieser Nacht in Blankenheim ohnehin keinen Unterschied.

In den meisten Fenstern der ersten Etage stehen Menschen mit Smartphones, die den wilden Trubel auf der Straße filmen. Aber auf den Pflastersteinen des kleinen Dorfes mit mittelalterlichen Flair, bekommt man davon wenig mit. Vor der Weyerhalle des Dorfes, in dem die Geister eine Party feiern werden, steigt Prinzessin Dilek vom Pferd. Die weiße Schminke ist verschmiert. Sie springt herum und schlägt ihrer Herzpagin Eva Walber mehrfach ihre sperrigen Flügel ins Gesicht.

„Es war geil“, „Mega geil“, und „Entschuldige bitte“, sagt sie abwechselnd. Sie sagt, sie fühle sich nun – wortwörtlich – als Vorreiterin für alle kleinen Mädchen, die einmal Prinzessin werden wollen. „Das sollen sie, das müssen sie“, sagt sie. Dafür werde sie nun Werbung machen. Damit der Blankenheimer Geisterzug so wie er ist und so wie er immer war erhalten bleiben könne – auch mit einer Frau an der Spitze.