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„Die Botschaft antwortet nicht“So erlebt Manfred Görgens die Quarantäne in Peru

Lesezeit 5 Minuten

Bei Familie Delgado, die er seit vielen Jahren kennt, verbringt Manfred Görgens seine Quarantäne-Zeit in Lima. Die Uedelhovener Osterkerze aus dem vergangenen Jahr hat er als Geschenk mit nach Peru nehmen dürfen.

  1. Der Uedelhovener Peru-Hilfe-Initiator Manfred Görgens sitzt derzeit in Lima fest.
  2. Kurz nach seiner Ankunft überschlagen sich die Ereignisse in dem südamerikanischen Land.
  3. Das ganze Land wird unter Quarantäne gestellt und Polizei und Militär patrouillieren in den Straßen.
  4. Im Gespräch erzählt der 71-Jährige, wie es ihm in Peru geht und wann er endlich zurück kann.

Uedelhoven/Lima – Seit 32 Jahren ist Manfred Görgens unermüdlicher Kopf und Motor der Peru-Hilfe Uedelhoven. Genauso oft ist er inzwischen in den Andenstaat gereist. Entsprechend freundlich ist am Abend des 8. März die Begrüßung am Flughafen in Lima, als der Beamte seine zahlreichen Einreisestempel sieht: Wie schön es doch sei, dass er Peru so oft besuche. Einschränkungen und Verbote haben sich nicht abgezeichnet, als er das Flugzeug betreten habe, sagt Görgens: „Sonst wäre ich doch gar nicht geflogen.“

Doch dass diese Reise, bei der der 71 Jahre alte Görgens zahlreiche von den Eifelern unterstützte und finanzierte Projekte hat besuchen wollen, ganz anders verlaufen wird, ahnt er, als er bei seinen Gastgebern eintrifft. Er möge doch bitte zunächst mal bei ihnen bleiben, der Präsident habe Quarantäne-Maßnahmen angekündigt. Das eröffnet ihm Familie Delgado, deren Tür dem Eifeler immer offensteht, wenn er in Lima ist. Dr. Melva Delgado ist Koordinatorin vor Ort. Für ihre 30-jährige ehrenamtliche Tätigkeit für die Peru-Hilfe und ihr Land wurde ihr durch den deutschen Botschafter das Bundesverdienstkreuz überreicht.

„Doch danach hat es nur noch geknallt“

Etwas Erholung nach dem lagen Flug tue gut, habe er gedacht, so Görgens im Gespräch mit dieser Zeitung: „Doch danach hat es nur noch geknallt.“ Die Ereignisse und Anordnungen überschlagen sich. Der Dienst, der einen Corona-Test bei ihm durchführen könnte, wird zwar bestellt, doch: „Der ist bis heute nicht da gewesen.“

Inzwischen steht das ganze Land unter Quarantäne. Die Regierung hat seit Dienstag für 15 Tage den nationalen Notstand erklärt und eine „obligatorische soziale Isolierung“ verhängt. Darüber hinaus sind Flüge aus und nach Europa und Asien für 30 Tage ausgesetzt. Aktuell sitzt Görgens „auf dem Trocknen“, wie er es beschreibt. Polizei und Militär kontrollieren in den Straßen, dass die Quarantäne eingehalten wird und sich etwa Menschen, die zur Arbeit müssen, nicht so dicht in die Busse zwängen, wie das sonst üblich ist.

Coronavirus: So steht es um Peru

Mit Blick auf das peruanische Gesundheitssystem bringt Görgens ein gewisses Verständnis dafür auf. Es sei ein wenig vergleichbar mit dem in den USA – wenn auch „etwas sozialer“: Wer die Behandlung bezahlen kann, erhält gute Hilfe. Doch die kleinen, staatlichen Krankenhäuser seien restlos überfordert. Werde das Land, in dem es nach der Karte der Johns-Hopkins-Universität am Mittwochnachmittag 117 bestätigte Corona-Fälle gibt, von der Pandemie hart getroffen, treffe es vor allem die Armen, die sich die Behandlungen eben nicht leisten können.

Görgens ist bei seinen Freunden gut aufgehoben und versorgt: „Doch ich erlebe die Fastenzeit als Zeit des Verzichts auf eine ganz andere Art und Weise.“ Die Projekte der Peru-Hilfe zu besuchen ist ausgeschlossen. In Sachen Geduld haben die Peruaner ihm, das bekennt Görgens freimütig, einiges voraus. Doch das Familienleben, das sonst von großer Herzlichkeit geprägt ist, ist kräftig durcheinandergewirbelt. „Die in Peru übliche, herzliche Begrüßungszeremonie fällt aus. Man begrüßt den anderen mit einigem Abstand und nicht mit Kuss auf die Wange bei Frauen, den sie erwarten, wenn man sich gut kennt“, sagt Görgens.

Manfred Görgens weiß noch nicht, wie es weiter geht

Der knapp 90-jährige Pedro, den Görgens im Haus der Delgados als guten Unterhalter bei Tisch kennt und mit dem er so gerne über Fußball plaudert, bleibe in seinem Zimmer – aus Angst vor einer Ansteckung. Die Angst teile Juan, Mitte 50 und zuckerkrank. Seine Familie samt Ehefrau Lili und Sohn Ignacio chauffieren die Eifeler sonst gerne zu Projekten der Peru-Hilfe. Görgens versteht die Sorge: „Wir sind gute Freunde seit über 30 Jahren. Aber ich bin diesmal vorrangig Europäer, der Virusträger sein könnte.“ Das hält er inzwischen für nicht sehr wahrscheinlich: „Gesundheitlich geht es mir gut, ich habe keine Symptome – aber man weiß ja nie.“

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Auch wie es nun weitergeht, weiß Görgens nicht. Ob er wie geplant am 5. April die Heimreise antreten oder möglicherweise vorher ausreisen kann, ist noch völlig unklar. „Jetzt bin ich auch etwas auf das Krisenmanagement der Bundesrepublik angewiesen.“ Doch das funktioniert bislang alles andere als reibungslos. Görgens berichtet, dass es ihm noch nicht gelungen sei, Kontakt zur deutschen Botschaft aufzunehmen: „Sie antworten einfach nicht.“ Auch sei es nicht gelungen, sich in die Krisenvorsorgeliste einzutragen: „Die Seite geht einfach nicht auf.“ Und von der Fluggesellschaft sei auch nichts zu erfahren. Zudem seien alle Flüge gestrichen.

Abwarten ist also angesagt – und Pragmatismus. „Die schmackhaften Mahlzeiten und die sonnengereiften, exotischen Früchte trösten ein wenig über die etwas triste Situation hinweg. Und um bei Laune zu bleiben, trinken wir abends ein Corona-Bier aus Mexiko mehr gegen das Coronavirus und für einen beruhigenden Schlaf“, so Görgens.

Infobox: Die Arbeit der Peru-Hilfe

In Dutzenden Übersee-Containern hat die 1988 gegründete Peru-Hilfe Uedelhoven tonnenweise Hilfsgüter in den Andenstaat gebracht. Aufgrund der Entwicklung der Kosten und Einfuhrbestimmungen – inklusive unerlässlichem Schmiergeld – haben die Helfer um Manfred Görgens von dieser Art Hilfe vor einigen Jahren Abstand genommen.

Finanziert werden nun vor allem Kindergärten, Schulen und Selbsthilfe-Projekte. Zwischen 25 und 30 Millionen Euro, so Görgens Schätzung, sind durch die Peru-Hilfe vor Ort seit 1988 investiert worden.

Die Projekte hat Görgens auch bei dieser Reise besuchen wollen. Doch von einem Abstecher ins Amazonas-Gebiet hatte er bereits im Vorfeld Abstand genommen. 15 Rucksäcke zur Wasserfilterung hat die Peru-Hilfe für eine Schule der Franziskaner Anfang des Jahres auf den Weg gebracht. Angekommen sind sie noch nicht, da in der Region neben mehr als 30 Grad auch sintflutartiger Regen herrscht. Zusätzlich breiten sich in der Region Dengue-Fieber, Gelbfieber und Malaria aus. „Dort hat man wohl eher mit dem Klimawandel als mit Corona zu tun – und das ist genauso gefährlich“, sagt Görgens.

Sorgen hat er grundsätzlich wegen der Zukunft derartiger Hilfsprojekte – auch im Nachgang der Corona-Krise. Er befürchtet, dass es in vielen Projekten einen gewissen Investitionsstau geben dürfte und zudem durch finanzielle Krisen weniger Geld gespendet werden oder durch Sponsoren zur Verfügung stehen könnte. Manfred Görgens: „Das wiederum bedeutet für die Benachteiligten und Ärmsten dieser Welt weiteren Verzicht.“ (rha)