Euskirchen – Als sich die Tür zum klassizistischen Haus öffnet, schaut neben Vater Benjamin Ramirez ein reichlich bunt bemaltes Gesicht durch die Tür. Ein Fotoshooting ist in vollem Gange: Die ältere Tochter Sophie hat sich in stundenlanger Arbeit ein Feengesicht gemalt, ihre Schwester Cosima assistiert ihr als Fotografin. Die Beißzähne dieser nicht ganz ungefährlichen Feenart wollen noch nicht recht halten – aber auch so ist der Anblick beeindruckend.
Sophie Ramirez ist 23 und studiert seit fast fünf Jahren Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf. Ihre Schwester Cosima hat mit 16 Abitur gemacht. Nach zwei „chilligen“ Jahren ist sie nun ebenfalls an dieser renommierten Ausbildungsstätte für den Studiengang Film und Video angenommen worden.
Ganze Reihe von Professoren in der Familie
Es ist nicht ungewöhnlich, dass die beiden Schwestern aus purer Lust ihre kreativen Fähigkeiten spontan zum Einsatz bringen. Die künstlerische Ader durchzieht die ganze Familie, und das durch mehrere Generationen. „Wir haben eine ganze Reihe von Professoren in der Familie,“ erzählt Sophie, ohne angeben zu wollen. Zwei der Künstler sind ihre Eltern.
Die Erforschung anderer Musiker hat Musikwissenschaftler und -pädagoge Benjamin Ramirez bereits im Studium fasziniert. So kam er mit Videoaufnahmen berühmter Geiger zu seinem Lehrer und spielte sie in Zeitlupe ab. „Ich ging der Frage nach: Warum sind berühmte Künstler besser als sehr gute Studenten? Ich war überzeugt, dass sich der Unterschied in der Spieltechnik erkennen lassen muss.“
Das menschliche Auge ist jedoch zu langsam, um die Unterschiede zu erfassen. Also Zeitlupe! Mikrobewegungen und technische Unterschiede wurden sichtbar. Er hat die Erforschung der Spieltechniken zu seiner Leidenschaft gemacht und weltweit Vorträge dazu gehalten. Aus seinen Beobachtungen leitet er Methoden des Unterrichtens ab. „Mit Hilfe der richtigen Technik kann auch ein minderbegabter Geiger ein guter Spieler werden“, ist seine Erkenntnis. (rha)
Ute Hasenauer und Benjamin Ramirez spielen und unterrichten Geige. Seit 2005 leitet Ute Hasenauer das Pre-College Cologne an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln. Dort werden begabte junge Musiker manchmal schon ab acht Jahren an Wochenenden von Hochschullehrern unterrichtet. Die Förderung bereitet sie auf ein Musikstudium vor, erworbene Abschlüsse werden im Studium anerkannt. Ihre Leidenschaft für Geige und für das Unterrichten begann bei Ute Hasenauer in der Kindheit. „Mit 6 ¾ habe ich meinem Vater gesagt: Ich werde Geigerin. Mein Vater hat gefragt: Wieso? Und meine Mutter hat gesagt: Jetzt erst recht!“
Mit zehn Jahren erhielt sie an der Folkwang Universität der Künste in Essen an Wochenenden als jüngste Studentin Unterricht. Aus dieser Erfahrung entstand der Wunsch, junge Talente zu fördern. „In Deutschland gibt es eine sehr gute Breitenförderung, aber wenig weiterführende Einzelförderungsprojekte in die Professionalität. Diese Zielgruppe hat keine Lobby“, sagt sie: „Ausnahme für Infos und Aktivitäten zur Begabten- und Hochbegabtenförderung ist die Arbeitsgemeinschaft rheinland-hochbegabt in Brühl. Das ist eine tolle Anlaufstelle.“ Das Pre-College füllt im Musikbereich eine Lücke in der Ausbildung zum Spitzenmusiker.
Benjamin Ramirez muss sich hinter der Begabung seiner Frau nicht verstecken. Er sitzt im offenen Wohnraum, der vom Musikzimmer ins Wohn- und schließlich ins Esszimmer übergeht. Die Decken sind hoch und mit Stuck versehen. Jugendstil und Art Deco wechseln sich ab. Im Essraum hat Ramirez seiner Frau nach einer Romreise ein Fresko im antiken römischen Stil an die Wand gemalt: „Weil es ihr so gut gefiel.“ Malen kann er – und natürlich Geige spielen. Er unterrichtet ebenfalls, teilweise auch am Pre-College. Er ist gleichzeitig Musikwissenschaftler und Musikpädagoge, der für die weltweite Ausbildung von Geigern eine bedeutende Rolle spielt.
In dem Teil des Wohnraums, der als Musikzimmer dient, steht neben einem Flügel ein Aluminiumgestell mit Geige. Mit Hilfe dieses Gestells können Schüler an der Bogenführung feilen. „Je optimierter die Technik ist, desto schneller ergeben sich Fortschritte“, so Ramirez. Gerade hat er seine Dissertation fertiggestellt, die sich mit der Umsetzung seiner Erkenntnisse in der Pädagogik beschäftigt.
Ehepaar arbeitet auch mit der Musikschule Euskirchen
Seine Fähigkeiten und Kenntnisse lässt das Ehepaar auch der Musikschule Euskirchen zugute kommen. Sie probieren dort neue pädagogische Konzepte aus. „Wir überlegen immer, wie man den Kindern den Spaß und die Begeisterung am Spiel erhalten kann. Die Eltern werden ebenfalls mit Angeboten unterstützt. Sie erhalten Tipps, wie sie ihre Kinder motivieren können“, erklärt Benjamin Ramirez. Sie greifen dazu auf viele Erkenntnisse aus anderen Wissenschaftsgebieten zurück und arbeiten beispielsweise mit Spitzensport-Ausbildungsstätten zusammen. „Uns ist es völlig egal, wer zu uns kommt, ob begabt oder weniger talentiert. Uns ist jeder willkommen“, sagt Benjamin Ramirez. Und Ute Hasenauer ergänzt: „Jeder, der sagt: Ich möchte gerne Geige lernen.“
Als das Fotoshooting zu Ende geht, setzen sich Sophie und Cosima Ramirez in die Runde. Cosima Ramirez bemerkt, wie unterschiedlich sie und ihre Schwester sind, und ergänzt sehr zufrieden: „Ich kenne kein Geschwisterpaar, das sich so gut versteht wie wir.“ In der Familie scheint vor allem wichtig zu sein, dass jeder Freiheiten hat, sich auszuprobieren. „Hier wirst du nicht kritisiert und abgewertet, weil du anders aussiehst oder anders denkst. Wir sind authentisch“, bemerkt Sophie Ramirez.
Cosima Ramirez hat sich für eine ganz eigene künstlerische Laufbahn entschieden. „Ich will Popstar werden. Der Rest sind Notpläne oder was fürs spätere Leben.“ Seit einigen Jahren schreibt sie eigene Songs und will jetzt ein ganzes Album herausbringen. Eine Kostprobe zeigt, wie kompliziert und gleichzeitig sphärisch vereinnahmend ihre Musik ist. Sie hat bereits bei „Jugend musiziert“ erfolgreich mitgemacht. Ihr Vater bemerkt: „Cosima hat noch nie ein Problem gehabt, sich vor fremde Menschen zu stellen und zu singen.“ An der Kunstakademie will sie ihr Talent weiter ausbauen. Für ihre Schwester Sophie ist sie außerdem immer wieder die Fotografin mit einem Blick für die richtige Einstellung.
Sophie Ramirez scheint keine Grenzen zu akzeptieren. „Ich wollte unbedingt ein Bild mit einer Schlange machen. Aber ich habe eine Schlangenphobie. Also habe ich Cosima gebeten: Du musst mir meine Angst vor Schlangen nehmen.“ Es hat geklappt. In Berlin, wo sie sich einen 15 Kilo schweren Python leihen konnten, entsteht im Wald ein Bild von Sophie Ramirez mit Schlange. Sie setzt gerne ihren Körper ein, den ihre Schwester zuvor farbig bemalt.
Doch Sophie Ramirez will noch höher hinaus. „Ich habe mich bei Elon Musk angemeldet für eine Fahrt zum Mond. Ich würde fünf Jahre meines Lebens investieren, um zum Mond zu kommen. Ich möchte es physisch erleben, was es heißt, so weit weg von der Erde zu sein.“ Bei dieser Idee und in ihrer Kunst geht es ihr nicht um Anerkennung und Berühmtheit: „Es nervt, auf ein besonderes Podest gehoben zu werden. Es sollte selbstverständlich sein, das zu tun, was man möchte.“ Wenn sie über ihre Einstellungen nachdenkt, ist sie überzeugt: „Ich bin nicht die Neuzeit, ich bin die Zukunft.“