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Beratung in EuskirchenFlut-Betroffene sind immer noch stark belastet

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Im vergangenen Jahr wurden 1376 Beratungsstunden vom Team der EFL in Euskirchen geleistet.

Euskirchen – Es war das nunmehr zweite Jahr, das von der Corona-Pandemie geprägt wurde, doch noch viel einschneidender wirkten sich die Ereignisse der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 auf die Arbeit der Katholischen Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen (EFL) in Euskirchen aus.

„Der Anblick unserer Fußgängerzone – in der die Beratungsstelle liegt – war über Monate von den Flutereignissen geprägt“, sagt Beratungsstellenleiter Benedikt Kremp. In ihren Räumen im dritten Obergeschoss war die EFL nach der Flut schnell wieder arbeitsfähig, trotz lang anhaltender Beeinträchtigungen bei Heizung, Telefon, Internetzugang oder dem Aufzug.

Stabilisierenden Beratung bei Traumafolgen

„Da wir seit mehreren Jahren stabilisierende psychologische Beratung für Menschen mit Fluchterfahrung anbieten und uns in der stabilisierenden Beratung bei Traumafolgen fortbilden, konnten wir uns bereits unmittelbar nach der Flut in die Unterstützung von Betroffenen der Flutkatastrophe einbringen“, sagt Kremp in seinem Jahresbericht 2021 und verweist auf die gut funktionierenden lokalen Kooperationen, insbesondere mit dem Caritasverband im Kreis Euskirchen, der Koordinierungsstelle des Kreisgesundheitsamtes, der katholischen Notfallseelsorge sowie dem Seelsorgebereich Zülpich.

Belastungsreaktionen nach der Flutkatastrophe

Benedikt Kremp: „In den ersten Wochen nach dem Flutereignis konnten wir neben der Beratung Betroffener mehrfach psychoedukative Informationsveranstaltungen zu typischen Belastungsreaktionen durchführen.“ Mit wachsendem zeitlichen Abstand zur Flut meldeten sich zunehmend Betroffene in der EFL-Beratungsstelle an. Die stabilisierende Beratung sei nach der Flutkatastrophe zu einem festen Bestandteil der Arbeit geworden.

Bereitschaft, Hilfe anzunehmen, braucht Zeit

Anfang 2022 konnte die EFL mit Mitteln des Erzbistums Köln eine Projektstelle in Teilzeit einrichten, um Hilfe suchende Flutbetroffene ohne lange Wartezeiten versorgen zu können. „Diese berichten in den Erstgesprächen häufig, dass es eine ganze Weile dauert, bis man realisiert, dass es sinnvoll oder notwendig sei, sich Hilfe zu holen“, so Kremp.

Betroffene, die in Partnerschaften leben, berichten nach seinen Angaben häufig, dass die Phase des Wiederaufbaus und die konträren Reaktionen auf das Flutereignis zu heftigen Spannungen in der Paarbeziehung führen, „die manchmal auch zur Zerreißprobe anwachsen können“.

Manches erhöhte den Leidensdruck zusätzlich

Ferner zeichne sich nach den ersten Monaten Beratungserfahrung in diesem Bereich ab, dass auch relativ kurze Beratungsprozesse Betroffenen eine deutliche Erleichterung bringen und Sicherheit im Umgang mit den Belastungsreaktionen vermitteln könnten. „Nicht selten reaktiviert das Flutereignis aber auch biografisch bedingte seelische Belastungen und innere Konflikte, die dann den aktuellen Leidensdruck deutlich erhöhen“, berichtet Kremp aus dem Beratungsalltag.

Nach der Flut mussten viele laufende Beratungsprozesse zunächst ruhen, da die Klientinnen und Klienten mit den unmittelbaren Folgen der Katastrophe zu kämpfen hatten. Im Herbst sei die Zahl der Neuanmeldungen dafür deutlich stärker als in den Vorjahren gestiegen. „Die Zahl der Neuanmeldungen blieb bis zum Ende des Jahres ungewöhnlich hoch“, sagt Benedikt Kremp.

Größere Nachfrage nach Einzelberatungen

Für das EFL-Team eher überraschend sei, dass die Nachfrage nach Einzelberatung gegenüber der Paarberatung merklich gestiegen sei. „Das spricht dafür, dass die Belastungen der Pandemie und der Flut stärker auf der Ebene des Individuums erlebt oder angegangen werden“, sagt Kremp.

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Er findet zum Abschluss des Jahresberichts auch noch deutliche Worte in einer anderen Sache: „Wir wollen nicht unerwähnt lassen, dass die Situation der katholischen Kirche im Jahr 2021 zunehmend zu einer Belastung der Mitarbeitenden (nicht nur) in unserer Beratungsstelle wurde. Zum einen empfinden wir Sorge, ob und wie die katholische Kirche aus den Krisen auf verschiedenen Ebenen hinausfindet. Zum anderen erleben wir eine Diskrepanz zwischen der eigenen Wert- und Glaubenshaltung, die uns zu einer Mitarbeit in der katholischen Kirche motiviert, und unübersehbaren Realitäten, die sich in der Missbrauchs-und Leitungskrise der katholischen Kirche zeigen.“