Aachen/Dahlem – Der 27-jährige André Vogelsberg aus Dahlem wird am heutigen Samstag im Aachener Dom zum Diakon geweiht. Ein Jahr später soll die Priesterweihe folgen. Wie kommt eine junger Mann dazu, in diesen Zeiten seiner Kirche nicht nur die Treue zu halten, sondern sich ihr sogar zu verpflichten?
In St. Hieronymus herrscht Halbschatten. Die Pfarrkirche von Dahlem ist zwar geöffnet, doch leer, die Beleuchtung aus. Katholische Kirchen können eine eigentümliche Stille ausstrahlen: eine Mischung aus weihevoller Ruhe, aber auch Verlorenheit. „Soll ich Licht machen?“ André Vogelsberg kommt langsam, aber festen Schrittes durch die seitliche Eingangstür. Am Eingang zur Sakristei schaltet er die Innenbeleuchtung ein. Schon wirkt St. Hieronymus einladender, sogar ein wenig festlich.
Als Messdiener assistiert
Vogelsberg kennt sich hier aus, hier hat er als Kind und junger Mann als Messdiener dem damaligen Pfarrer Theo Tümmler assistiert. Ja, er habe damals Volkskirche im besten Sinne erlebt, sagt Vogelsberg, wenn er an diese Zeit zurückdenkt. Dazu kam ein „klassisch katholisches Elternhaus“ – der Vater war im Pfarrgemeinderat und die Mutter Küsterin. Lauter ideale Voraussetzungen für einen, der sich seiner Kirche ganz widmen will. Vor allem das Gefühl der Nahbarkeit der Kirche ist ihm wichtig. Nicht nur ein ambulanter Seelsorger zu sein, der nur zum Gottesdienst anreist und danach weiterfährt zum nächsten Termin. So wie es heute auch im Bistum Aachen traurige Realität ist.
Die etwas mehr als eine Million Gläubigen in 326 Pfarreien der 71 Gemeinschaften der Gemeinden werden noch von 223 Priestern im aktiven Dienst geleitet. „Acht davon sind unter 40“, so Vogelsberg. Mehr muss er nicht sagen. Am kommenden Samstag will er sich zusammen mit einem weiteren Aspiranten vom Niederrhein in diesem Jahr als Einzige im Bistum Aachen zum Diakon weihen lassen. Ein Tropfen auf dem heißen Stein des Mangels an neuem Bodenpersonal für die Kirche. Ein Jahr später soll die Priesterweihe folgen.
„Alle sind von Gott berufen“
Ist es seine Berufung? Vogelsberg winkt ab: „Berufen sind von Gott alle Menschen zu allen möglichen Optionen. Nur so gesehen bin auch ich berufen.“ Aber es habe in seinem Leben eben ab und zu Menschen gegeben, die ihn in seinem erst zögerlich erkannten Weg zum Priestertum unterstützt hätten. Auch Pfarrer Tümmler habe dazu gehört. Und natürlich die Eltern.
Noch nach dem Abitur am Hermann-Josef-Kolleg in Steinfeld war für Vogelsberg das alles nicht klar. Er habe eigentlich Grundschullehrer werden wollen, denn die Arbeit mit Kindern, die habe ihm seit den Messdienerjahren und später auf den Jugendfahrten nach Taizé einfach Spaß gemacht. Vogelsberg absolvierte Praktika an einer Grundschule – und war ernüchtert: „Das Lehrerzimmer ist einfach nicht mein Biotop“, wie er es rückblickend ausdrückt.
„Was hält mich in meinem Leben?“
Zur Überbrückung folgte ein Jahr im Einzelhandel: „Morgens die Brötchen in den Backautomaten packen, so fing der Tag an.“ Es war eine Zeit des Wartens, des Übergangs, der Fragen. „Was hält mich in meinem Leben?“ Das sei so ein Leitthema gewesen, so Vogelsberg. Er fand die Antwort: „Es ist der Glaube, die Frohe Botschaft von Tod und Auferstehung, den beiden Ankern des Glaubens.“
„Komm-und-Sieh-Wochenende“ heißt das kostenlose Angebot für die, die aus dieser Erkenntnis einen Lebensweg formen wollen. Beim Bistum Aachen führen erfahrene Priester mit möglichen Aspiranten fürs Amt Gespräche. Vogelsberg fuhr hin. „Probiere es doch mal aus“, das war der Rat am Ende. Vogelsberg, gerade 23 Jahre alt, meldete sich zum halbjährigen Propädeutikum im bischöflichen Priesterseminar Borromaeum in Münster an.
Studium der katholischen Theologie
Den Testmonaten folgte das Studium der katholischen Theologie an der Westfälischen Wilhelms Universität in Münster. „Das war eine solide Ausbildung“, meint Vogelsberg. Er hatte seinen Weg gefunden. Nicht in einen Elfenbeinturm. Zur Ausbildung gehörte der Besuch eines vom Missbrauch durch einen Geistlichen Betroffenen. Der Mann habe den Studenten offen von seinem Schicksal erzählt, so Vogelsberg. Er musste sich fragen: Ist das die Kirche, der ich dienen will?
Eine weitere Prüfung kam dann noch auf ihn zu: das verpflichtende Auslandsjahr. Der Eifeler wählte Paris. Ohne auch nur ein Wort Französisch zu können, wurde er am Institut Catholique de Paris eingeschrieben und bezog eine neun Quadratmeter kleine Mietwohnung im siebten Stock eines Innenstadt-Arrondissements. „Es war schon ein richtiger Sprung ins kalte Wasser. Man lernte, auf sich selbst gestellt zu sein“, berichtet Vogelsberg. Als er im Anschluss wieder an die Uni in Münster zurückkehrte, tat er sich zuerst schwer und lebte für ein Jahr in einer Wohngemeinschaft.
Vorletzte Station der Ausbildung
Im August des vergangenen Jahres begann für Vogelsberg die vorletzte Station der Ausbildung zum Diakon mit einem Pastoralpraktikum in Eschweiler. Dort ist er Teil eines rund 20-köpfigen Pastoralteams. Er lernt, wie man Sonntagsgottesdienste vorbereitet, er kann schon Trauergespräche führen, bei Taufen assistieren, an Pfarrgemeinderatssitzungen nimmt er teil. Gerade bekam er mit angehenden Diakonen aus anderen deutschen Bistümern in einem siebenwöchigen Intensivkurs in Hamburg den letzten Schliff mit wertvollen Praxistipps für einen Seelsorger.
Vogelsberg sitzt in einer der wegen der Corona-Kontaktbeschränkungen nur eingeschränkt nutzbaren Bänke seiner Heimatpfarrkirche St. Hieronymus. Dass nach wie vor der weitgehende Verzicht auf direkten Kontakt zu den Gläubigen vermutlich auch sein Alltag als neuer Diakon sein wird, dass er zudem nicht in Dahlem, sondern andernorts im Bistum das kommende Dienstjahr bis zur angestrebten Priesterweihe 2022 verbringen wird, das ist ihm alles klar. Es schreckt ihn nicht.
Umgang mit der Kirche
Doch wie geht er mit seiner Kirche um, die zwar im Heimatbistum eine fundierte Missbrauchsstudie vorgelegt hat, aber nebenan das Erzbistum Köln mit der Aufarbeitung dieser Thematik große Probleme hat. Und wie ist es mit den in ganz Deutschland anhaltend hohen Kirchenaustrittszahlen?
Das seien „Beschwernisse“, gibt André Vogelsberg offen zu: „Und für die Menschen, die in den Herzkammern der Pfarreien arbeiten, ist es eine echte Not.“ Er hat aus all dem für sein Verständnis von seelsorgerischer Arbeit einen Schluss gezogen: „Wir begleiten die Menschen als Kirche. Wir halten sie nicht fest. Wir können auch loslassen.“ Und dass es für ihn „treue Katholiken und Menschen, die Angebote der Kirche wahrnehmen“ gibt. Aber deshalb keine Katholiken erster und zweiter Klasse. „Geweiht ist man erst dann, wenn der Bischof einem die Hände auflegt“, weiß der angehende Diakon.
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Er habe in den vergangenen Jahren natürlich auch gezweifelt. „Es ist nicht einfach, wenn man alleine ist.“ Der 27-Jährige will das ab dem Moment, in dem er seine Hände in die des Weihbischofs legt und so seiner Kirche zu dienen verspricht, in Kauf nehmen.