Im Talk „frank&frei“ des „Kölner Stadt-Anzeiger“ diskutieren Tobias Haberl („Unter Heiden“) und Beatrice von Weizsäcker über ihren Glauben.
frank&frei am 7. AprilKatholisch werden, sein und bleiben – Gespräch mit Beatrice von Weizsäcker

Rosenkränze wurden für Papst Franziskus vor der Poliklinik Agostino Gemelli befestigt.
Copyright: dpa
Frau von Weizsäcker, kommen Sie sich als Neukatholikin in Deutschland mit ständigen sinkenden Christenzahlen auch vor wie Buchautor Tobias Haberl, nämlich „unter Heiden“?
Nein. Ich lebe nicht ja nicht für die Statistiken, sondern allenfalls mit ihnen. Das sind abstrakte Zahlen. Mein Leben ist konkret.
Aber auch im konkreten Leben könnte Ihnen der Schwund begegnen – oder wachsendes Befremden Ihrer Umgebung.
Ich merke schon, dass immer weniger Menschen, denen ich begegne, mit Kirche etwas anfangen können. Nun bin ich aber hier in München gut eingebunden in meiner Pfarrei, singe auch im Chor, und das ist eine wunderbare, sehr stabile Gemeinschaft. Aber es gibt natürlich auch Leute, die fragen: „Wie konnten Sie nur katholisch werden?“

Beatrice von Weizsäcker
Copyright: Margarita Chiari
Eben, wie konnten Sie nur?
Wenn Sie auf Missstände in der katholischen Kirche hinauswollen: Die Kritik verstehe ich nicht nur. Ich teile sie in weiten Teilen. Aber das beschäftigt mehr meinen Kopf und weniger das Herz, wo bei mir mehr der Glaube sitzt.
Alles zum Thema Römisch-katholische Kirche
- Mitglieder-Rückgang Kirchen verlieren mehr als eine Million Mitglieder
- Nach fünf Wochen Papst Franziskus verlässt das Krankenhaus – Erholung wird dauern
- „Das ist eine Prüfung“ Zustand von Papst Franziskus „fragil“ – „Bürgerkrieg“ um Nachfolge tobt
- Bischofskonferenz in Steinfeld Bätzing bezeichnet Verhalten der US-Regierung als Skandal
- Vollversammlung 57 Bischöfe sind zur Konferenz im Kloster Steinfeld eingetroffen
- Karneval in Sankt Augustin 400 Meter war allein der Zug in Hangelar lang
- Lesermeinungen zu Rosenmontag „Gemessen am Leid der Opfer ist der Persiflage-Wagen vergleichsweise harmlos“
Ich verteidige nicht, was ich nicht richtig finde.
Genervt sind Sie nicht von der Fragerei?
Fünf Jahre nach meinem Konfessionswechsel ist das inzwischen durch, scheint mir. Heute betreffen die Fragen meist bestimmte Vorkommnisse: ein neuer Missbrauchsfall, ein anstößiges Dokument aus dem Vatikan, ein Spruch des Papstes. Aber da fühle mich nicht in der Pflicht, das zu erklären. Ich verteidige nicht, was ich nicht richtig finde.
Aber Sie sind sehenden Auges in eine Kirche eingetreten, die Homosexualität verurteilt und Frauen benachteiligt.
Das stimmt – und das hat etwas Widersprüchliches, weil mich beides betrifft. Ich lebe seit mehr als 30 Jahren glücklich mit einer Frau zusammen und kämpfe für Gleichberechtigung, ja. Aber die Priester, mit denen ich zu tun, sind in diesem Kampf und mit ihrem Ringen im Rahmen des kirchlich Möglichen und Unmöglichen an meiner Seite. Ich kann als aktive Katholikin schon heute sehr viel machen, auch im Gottesdienst, und das rührt mich mehr, als wenn alles offiziell erlaubt wäre.
In der evangelischen Kirche fehlt etwas der Stachel im Fleisch.
Der Reiz des Verbotenen?
In der evangelischen Kirche, aus der ich komme, ist immer fast alles möglich. Das ist einerseits großartig. Andererseits macht es weniger widerständiger. Da fehlt sozusagen etwas der Stachel im Fleisch.
Daraus entnehme ich, dass Sie es nicht bereut haben, katholisch zu sein?
Auf keinen Fall, keinen Tag, keine Minute.
Hat man mal versucht, Sie zurückzugewinnen?
Überhaupt nicht, zumindest nicht im Ernst. Neulich war ich Teil einer Diskussionsrunde mit dem bayerischen Landesbischof Christian Kopp. Hinterher sagte er zu mir: Also, die katholischen Reformanliegen, Frau von Weizsäcker – könnten Sie bei uns alles haben! Ich sagte: Ich weiß. Und dann haben wir beide geschmunzelt.
Ich schaue mir biblische Texte an, als gläubiger Mensch.
Sie schreiben als Nicht-Theologin religiöse Bücher. Ist das Ihre Art der Selbstermächtigung als katholische Laiin?
Was ich mache: Ich schaue mir biblische Texte an, als gläubiger Mensch. In meinem ersten Buch ging es um das Vaterunser, jetzt um die Seligpreisungen aus der Bergpredigt. Das sind ja schon Herausforderungen: Selig die Sanftmütigen. Selig, die Frieden stiften. Selig, die reinen Herzens sind. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden. Das sind Sätze fürs Leben, die lassen sich leicht sagen, an denen lässt sich aber noch leichter scheitern. Darüber denke ich nach – und darüber, wie ich dann vielleicht doch damit zurechtkomme.
Warum lassen Sie andere an diesem Nachdenken teilhaben – auch und gerade als erklärte Nicht-Expertin für theologische Fragen?
Natürlich sind es zuerst einmal meine Antworten für mich. Aber ich habe es öfter erlebt, dass Leute mir gesagt haben: Nach solchen Antworten habe ich immer gesucht. Das habe ich als Einladung verstanden, mich mitzuteilen – in aller Diskretion. Ich gehe nicht auf dem Boulevard damit hausieren.
Beatrice von Weizsäcker bei „frank&frei“
Beatrice von Weizsäcker, geb. 1958, ist Publizistin und promovierte Juristin. Seit 2003 lebt sie als freie Autorin in München. Weizsäcker gehörte zwölf Jahre dem Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags und des Ökumenischen Kirchentags an. 2020 trat Beatrice von Weizsäcker zur römisch-katholischen Kirche über. Zuletzt erschien von ihr: Wer’s glaubt… Meine Seligpreisungen, Verlag Herder, Freiburg, 192 Seiten 20 Euro. (jf)
frank & frei: Katholisch werden, sein und bleiben?
Glaubensbekenntnisse haben Seltenheitswert bekommen, sagt Tobias Haberl. Als Katholik, der in die Kirche geht und zu seiner Kirche hält, kommt sich der Journalist bei der „Süddeutschen Zeitung“ und Bestseller-Autor inzwischen vor wie „unter Heiden“. Sein SZ-Essay gleichen Titels und ein daraus entstandenes Buch sind Plädoyer für ein selbstbewusstes Katholisch sein. Beatrice von Weizsäcker, ebenfalls Journalistin und Publizistin, musste erst einmal katholisch werden.
Bei „frank&frei“ geht es um Unkenntnis, Herablassung und Arroganz einer vermeintlich aufgeklärten, postreligiösen Gesellschaft gläubigen Menschen gegenüber und darum, wie diese dem begegnen (können). Es geht um Jesus als „Freund, Weggefährte und Gesprächspartner“. Und es geht um die Frage, wie sich das Katholisch werden, sein und bleiben mit Kirchenkritik, Missbrauchsskandal und anderen Krisenphänomenen verträgt.
Montag, 7. April, um 19 Uhr in der Karl-Rahner-Akademie, Jabachstr. 4-8, 50676 Köln. Eintritt mit KStA-ABOCARD 9 Euro. Normalpreis: 12 Euro (ermäßigt 6 Euro). Anmeldung per Telefon 0221/8010780, per Mail an info@karl-rahner-akademie.de oder online.