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BranchenkriseHandwerk schließt Pleitewelle im Kreis Euskirchen nicht mehr aus

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Das Handwerk in der Krise: Vom Dachdecker über den Installateur bis hin zum Bauunternehmer sind alle betroffen (Symbolbild).

Kreis Euskirchen – So schlimm wie zurzeit war es in den vergangenen Jahrzehnten nicht, sagen die Interessensvertrterer des Handwerks im Kreis Euskirchen. Die Krise wirke sich unterschiedlich auf die Branchen aus - doch betroffen seien alle.

Da waren der Ölpreisschock, die hohe Arbeitslosigkeit, eine Pleitewelle in der Bauwirtschaft, die Finanzkrise und die ein oder andere Rohstoffpreis-Explosion. Uwe Günther, seit 1976 bei der Kreishandwerkerschaft und seit 1985 als deren Geschäftsführer im Dienste des Handwerks vor Ort, hat sie alle miterlebt. Viele Firmen haben das gemeistert, einige mussten aufgeben.

Die schlimmste Krise fürs Handwerk seit Jahrzehnten

„Doch was wir jetzt erleben, ist die schlimmste Situation, die ich bei meiner Tätigkeit erlebt habe“, sagt Günther. Früher kamen die Krisen eher hintereinander, heute, gefühlt, alle zusammen: Corona, Flut, Lieferengpässe, Energiepreis-Explosionen, Lieferengpässe.

Und der seit Jahren grassierende Fachkräftemangel mischt sich verschärfend in dieses Krisengebräu. Dabei lief es doch gut. 2019, das Vor-Corona-Jahr, war das „beste Jahr ever“, so Günther, der vor wenigen Tagen in den Ruhestand ging.

2020 litten dann schon viele Branchen unter dem Lockdown, andere hingegen hatten gut zu tun. Statt für Urlaub, gaben viele Menschen das Geld für einen neuen Wintergarten oder ähnliches aus.

Uwe Günther: „Die Situation ist für viele sehr unsicher“

Doch unter den horrenden Energiepreisen litten aktuell alle. Ohne nennenswerte Hilfen für die Betriebe werde es nicht gehen, stellt Günther klar. In der Vergangenheit hätten Privathaushalte und Industrie im Fokus der Hilfsprogramme gestanden. Ihnen zu helfen, sei sicher richtig. Doch auch das Handwerk und der Mittelstand bedürften der Hilfe, betont der langjährige Geschäftsführer: „Die Situation ist für viele sehr unsicher.“

Man sei ja fast schon froh, wenn sich die Ausgaben für die Firmen „nur“ verdoppelten, so Günther: „Das ist doch Wahnsinn.“ Marco Herwartz, Präsident der Handwerkskammer Aachen, die auch für den Kreis Euskirchen zuständig ist, schlägt ebenfalls Alarm. „Die steigenden Preise für Energie und Material setzen die Handwerksbetriebe auch in unserer Region unter Druck“, so Herwartz in einer Pressemitteilung Ende September.

Kammer-Präsident: Ohne Hilfe droht eine Pleitewelle

Ohne HilferSie seien eine existenzielle Gefahr für viele kleine und mittlere Betriebe. Wenn die Regierung betroffenen Handwerksbetrieben nicht unter die Arme greife, drohe eine Pleitewelle. „Insbesondere in den energieintensiven Gewerken wie Bäckereien und Textilreiniger können die enorm gestiegenen Energierechnungen häufig nicht mehr bezahlt werden.“

Die Branchen sind unterschiedlich betroffen. Zwar haben alle mit den Energiepreis-Explosionen zu kämpfen, doch jeweils unter anderen Voraussetzungen. „Zum Beispiel wird in der Keramik zur Zeit auf Vorrat produziert, bevor die Energiepreise weiter steigen“, berichtet Günther. Wenn die Lager dann voll seien, dürfte Kurzarbeit wieder ein Thema werden.

Bäcker und Fleischer, die energieintensiv heizen und kühlen müssten, könnten nicht auf Vorrat produzieren. Die Mehrkosten für Rohstoffe und Energie eins zu eins auf die Kunden zu übertragen, sei weder durchsetzbar noch sozialverträglich, erklärt Günther. Auch Friseure könnten gestiegene Strompreise nicht einfach weitergeben: „Wenn der Haarschnitt zu teuer wird, überlegen sich die Kunden das.“

Bauzinsen und Rohstoffpreise trüben Aussicht beim Bau

Und der Bau? „Die Auftragsbücher sind voll“, sagt Günther. Und das bleibe mittelfristig auch so. Nach der Flut sei die Arbeit allerorten sichtbar. Allerdings werde Bauen jetzt schon teurer, seit 2019 um plus 30 Prozent, weil auch hier die Rohstoffpreise steigen, zum Teil, bei Holz und Stahl, um über 50 Prozent, wie Günther sagt. Irgendwann würden die Aufträge abgearbeitet sein.

Steigende Bauzinsen sowie -preise „werden viele Bauwillige dann nicht stemmen können“. Die Bau- und Ausbaubranche leide zudem besonders unter den Lieferengpässen, so Marco Herwartz.

Da warte der Elektriker auf Zählerschränke, der Installateur auf Wärmepumpen, der Solarteur auf PV-Anlagen oder der Dachdecker auf Dämmmaterial. Aufmerksam beobachten die Handwerker die Diskussionen über staatliche Hilfen. Herwartz begrüßte es vor einigen Tagen in einem Interview, dass die Gaspreisbremse die Verbraucher entlaste.

Firmen warten auf Entlastungspaket

Er wies aber darauf hin, dass sie nicht für Firmen gelte: „Dafür ist dann das Entlastungspaket da. Das muss jetzt aber schnell beschlossen werden. Es zählt jeder Tag.“ Die derzeit diskutierte Inflationsprämie in Höhe von 3000 Euro, die die Betriebe einmalig an die Mitarbeiter zahlen sollen, während der Staat auf die Steuern darauf verzichtet, sieht Günther skeptisch: „Viele Betriebe können sich das nicht leisten.“

Dann ist da noch der Klimawandel.Er verändert die Arbeitszeiten. Längere Mittagspausen im Sommer, um Bauarbeiter oder Dachdecker nicht der Hitze und den Sonnenstrahlen auszusetzen, führten immer mehr Betriebe ein, berichtet Uwe Günther.

Klimawandel sorgt für Veränderung in Betrieben

Er nennt aber auch die Chancen: klimafreundliche Heizungen, Solardächer, Windkraft, Dämmungen und Material, das klimaneutral die Innenräume kühle – da gebe es viel Arbeit.

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Immerhin: Die Ausbildungszahlen seien zuletzt wieder gestiegen, erklärt Herwartz. Der Stellenwert der beruflichen Ausbildung habe wieder zugenommen, sagt auch Günther. Doch der Fachkräftemangel werde weiter ein Thema bleiben.