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Ruhe, Wärme, HandwerkskunstKuchenheimer Torsten Lennartz bäckt 6000 Neusjahrskränze

Lesezeit 5 Minuten
Lennartz Neujahr

In der Backstube der Bäckerei Lennartz läuft die Neujahrskranz-Produktion auf Hochtouren. Die Kränze werden aus drei Hefe-Strängen geflochten.

Marmagen/Kuchenheim – 2000 gefüllte, 4000 ungefüllte Neujahrskränze – mit Hagelzucker, Pistazien und Mandeln oder ohne Schnickschnack. In der Backstube von Torsten Lennartz ist Neujahr – am 28. Dezember. „Wir arbeiten gefühlt vier Tage durch“, sagt Bäckermeister Lennartz. 3,5 Tonnen Teig verarbeitet das Lennartz-Team in Kuchenheim rund um den Jahreswechsel. Neben Neujahrskränzen werden auch Neujahrsbrezeln und Glücksschweine gebacken.

Auch in der Backstube der Bäckerei Milz in Marmagen ist es warm. Die vier Öfen strahlen Hitze ab und das frische Backwerk, das auf den Eisenregalen abkühlt, tut sein Übriges. Doch das soll so sein. „Tür zu, Fenster zu, hat der Großvater immer gerufen, auch wenn alle am Schwitzen waren“, erinnert sich Anita Milz. Gelüftet werden kann auch in Zeiten der Corona-Pandemie erst, wenn die Kränze gebacken und verarbeitet sind. Denn Zugluft verträgt der Teig für die Neujahrskränze, die ab Weihnachten in der Bäckerei entstehen, überhaupt nicht.

Chef des Familienunternehmens: Torsten Lennartz.

Die Stränge dürften nicht trocken werden, sonst ließen sie sich nicht mehr verarbeiten, erläutert Bäckermeister Peter Milz: „Am besten ist es, wenn gleichzeitig Brot gebacken wird, weil dann die richtige Feuchtigkeit herrscht.“

Kleine Geheimnisse in einem kleinen Kreis

Es sind die kleinen Geheimnisse, die seit Jahrzehnten im exklusiven Kreis weitergegeben werden. Mit einem Geheimnis geht mehr als 30 Kilometer entfernt Torsten Lennartz ganz offen um: Ruhe. In aller Hektik, in allem Stress, der kurz vor dem Jahreswechsel in der Backstube herrsche – der Teig brauche seine Ruhezeiten. Gleich mehrfach darf die süße Hefemasse auf dem Weg vom Rührgerät zum Backofen eine kleine Pause einlegen. „Diese Ruhezeiten schmeckt man“, versichert Lennartz, der wie das gesamte Team beim Backen Mund-Nasenschutz trägt.

Bei Milz kommen Zuckerguss und Mandeln aufs Gebäck.

„Hier wird ein Zirkus gemacht um Wecken und Kranz“, sagt Anita Milz stolz, denn sie selber liebt das leckere Hefegebäck. „Sie hat mich ja deswegen geheiratet“, verrät ihr Mann lachend. „Er hat so gut geduftet, ich liebe das“, gibt sie zurück. Im 141. Jahr gibt es die Bäckerei Milz, und seit dieser Zeit gehört das Neujahrsgebäck dazu. Traditionell ist der Neujahrskranz ein Patengeschenk, das zum Jahresbeginn verteilt und angeschnitten wird. „Mein Großvater Josef Milz hat 1875 in Köln-Flittard gelernt und das Rezept mit in die Eifel gebracht“, berichtet Peter Milz über die Anfänge.

Vier Stränge aus Hefeteig werden zu einem Zopf verflochten, der schließlich zu einem Kreis zusammengelegt und mit einer aus einem dünnen Teigfaden gelegten kleinen Brezel „verschlossen“ wird. Die große Kunst sei das Zopfflechten mit den vier Teigfäden, erzählt Anita Milz. „Manche lernen es nie“, schmunzelt sie. Die vier Stränge würden die vier Jahreszeiten symbolisieren, die sich immer wiederholen würden. Die kleine Brezel stehe dabei für den immer wiederkehrenden Abschluss und Neuanfang.

Aus vier Hefesträngen flechtet Heinz-Peter Peters den Kranz.

In Kuchenheim sind es drei Stränge, die zum Neujahrskranz geflochten werden. Zuvor sind sie auf eine Länge und Dicke gebracht worden. „Das ist ähnlich wie beim Friseur. Da wundert man sich auch, wie immer wieder die selbe Länge gegriffen wird, um die Haare zu schneiden“, erklärt Lennartz. Das sei beim Teig nichts anderes: Erfahrung, Routine, Gefühl. Drei Komponenten, die jedes Rezept noch was geheimnisvoller machen, da diese Zutaten nicht einfach übertragen werden können.

Ursprünglich ein Patengeschenk

Ursprünglich sei es Tradition gewesen, einen Kranz zu Neujahr als Patengeschenks zu geben, erzählt Anita Milz. „Da haben viele zehn oder zwölf Kränze bestellt“, sagt sie. Eine Zeit lang habe das nachgelassen, doch mittlerweile sei es wieder im Kommen. Dabei habe sich die runde Kranzform erst später entwickelt. Die traditionelle Form sei eigentlich eine Brezel, die Josef Milz aus Köln in die Eifel gebracht habe. Heute noch werden auch Neujahrsbrezeln in der Marmagener Backstube gebacken.

Hagelzucker und Mandeln gehören zum Kranz dazu.

Auch in Kuchenheim werden Brezel gebacken. „Das ist sehr arbeitsintensiv. Das machen wir nur noch auf Bestellung. Dann aber mit ganz viel Liebe“, so Backexperte Lennartz.

Zwischen 4000 und 5000 Kränze entstehen in Marmagen in den Tagen rund um den Jahreswechsel. Nach Weihnachten beginnt es mit 250 Kränzen am Tag. Kurz vor Silvester geht die Produktion in die heiße Phase. Rund 1800 Kränze, so schätzt Peter Milz, werden am letzten Tag des Jahres über die Ladentheken der sechs Verkaufsstellen und des Stammhauses gehen. In diesem Jahr sei die Nachfrage höher: „Jetzt, wegen Corona, essen die Leute wieder mehr Süßes.“

15 Gesellen stehen die ganze Nacht an den vier Öfen der Marmagener Bäckerei, denn auch Brote, Brötchen und Kuchen müssen produziert und ausgeliefert werden. „Das sind die schwierigsten Tage“, erzählt Milz. Und doch sei es früher noch extremer gewesen, als die Arbeit noch mit einem einzelnen Ofen erledigt wurde. „Da habe ich an Silvester manchmal bis abends um elf in der Backstube gestanden“, erzählt er.

In Marmagen werden bis zu 5000 Kränze gebacken. Die Nachfrage nach Süßem sei in der Corona-Pandemie größer geworden.

Acht verschiedene Formen sind mittlerweile im Angebot: Als Brezel oder Kranz, mit Zuckerguss oder Hagelzucker, mit Mandeln und auch mit einem eingeflochtenen Strang Marzipan. Dabei seien deutliche lokale Unterschiede festzustellen: Heimbacher und Mechernicher wollen mehr Hagelzucker und Schleidener eher Zuckerguss. Und Kaller mögen es süß, hier wird vor allem die Variante mit Marzipan nachgefragt.

16 Filialen im Kreis und Umgebung

16 Filialen betreibt das Familienunternehmen aus Kuchenheim, die meisten in Euskirchen und Umgebung. „Das hat für uns den Vorteil, dass wir sie zwei Mal am Tag mit frischer Ware beliefern können“, erklärt Torsten Lennartz. Das Unternehmen wurde am 1. Januar 1850 in Flamersheim von Lennartz' Ururgroßvater gegründet.

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Nur eine Generation führte den Betrieb nicht selbst: Der Großvater sei Architekt gewesen. Da habe der Bäcker in der Familie gefehlt, erklärt der Chef. Seit 20 Jahren wird in Kuchenheim gebacken. Früher sei alles in der Backstube der Filiale Flamersheim hergestellt worden. „Noch vor einigen Jahren haben wir die Franchipancreme händig in den Teig gefüllt“, erinnert sich Klaus Lennartz, der im Familienunternehmen nicht nur vor Silvester aushilft.

Gekauft und bestellt werden können Neujahrskränze in Kuchenheim bis Ende Januar. In der Backstube geht es zuweilen zu wie in einer Autolackiererei. Die Neujahrskränze werden nämlich mit einer Airbrush-Pistole mit Zuckerglasur besprüht. Das Gerät heißt in Kuchenheim liebevoll „Glasierboy“. „Ein Pinsel wäre bei der Menge, die zu bestreichen ist, zu wenig. Und auch zu unhygienisch. Ständig würden Borsten abgehen und am Kranz kleben“, erklärt Bäckermeister Lennartz.