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Nach Euskirchener SkandalspielNimmt der Flaschenwurf-Prozess eine überraschende Wende?

Lesezeit 3 Minuten
Zahlreiche Polizeifahrzeuge stehen vor dem Erftstadion in Euskirchen. Die Beamten waren nach Ausschreitungen bei einem Fußballspiel alarmiert worden.

Am 18. Mai 2022 war das Kreispokalspiel zwischen Türk Gencligi und dem TuS Zülpich abgebrochen worden. Zahlreiche Polizisten eilten zum Erftstadion.

Im Berufungsprozess vor dem Bonner Landgericht präsentierte der Verteidiger nun ein Rache-Szenario.

War die ganze Geschichte ein Racheakt? Hat ein Linienrichter den ehemaligen Vorsitzenden des Euskirchener Fußballclubs Türk Gencligi (TG) vor dem Amtsgericht falsch belastet, weil der ihn nicht in eine Disco lassen wollte? Diese Geschichte jedenfalls erzählte Rechtsanwalt Christian Franz am Ende des ersten Verhandlungstags eines Berufungsprozesses, um seinen Mandanten, den früheren Fußballfunktionär, zu entlasten.

Der 44-Jährige war, wie berichtet, am 3. Juli 2023 vom Amtsgericht Euskirchen wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er soll nach dem Abbruch des Kreispokalspiels von TG gegen den TuS Zülpich am 18. Mai 2022 eine halbvolle 0,5-Liter-Wasserflasche auf den Schiedsrichter geworfen und ihn damit am Kopf getroffen haben. Der Unparteiische ging am Zaun des Erftstadions zu Boden und erlitt eine Gehirnerschütterung.

Der Schiedsrichter-Assistent wiederholt seine Aussage

Gegen dieses Urteil sind beide Parteien in Berufung gegangen: der Angeklagte, weil er sich unschuldig wähnt, und der Staatsanwalt, weil er eine höhere Strafe will. Die 17. Kleine Strafkammer des Bonner Landgerichts verhandelt daher den Fall jetzt neu.

Die Vorkommnisse im Erftstadion haben auch das Sportgericht des Fußballverbands Mittelrhein beschäftigt. Es schloss den Euskirchener Club für ein Jahr vom Spielbetrieb aus. Die aktiven Fußballer, eine Elf plus Ersatzspieler, wanderten ab. Der Vorsitzende war bereits ein paar Tage nach dem Spiel zurückgetreten.

Beim Spiel von Türk Gencligi gegen den TuS Zülpich kam es zum Eklat

Was war passiert? Kurz vor Ende des Pokalspiels erzielte TG ein Tor, das der Schiedsrichter nach Rücksprache mit seinem Assistenten aber wegen eines Handspiels nicht gab. Keine Minute später schoss Zülpich das 1:0 – und die Randale ging los. Der Torwart der Euskirchener rannte zum Mittelkreis und beschwerte sich beim Schiedsrichter, den er auch beleidigt haben soll. Aufgebrachte TG-Fans stürmten auf den Rasen, der Unparteiische brach das Spiel in der 92. Minute ab und flüchtete, verfolgt von Zuschauern, in Richtung des Zauns.

Während Spieler der Gastmannschaft mit besonnenen Kollegen von Türk Gencligi das Schiedsrichtergespann abschirmten, flogen zuerst ein Ball, dann die Flasche in Richtung der Männer in blauen Trikots. Den Werfer hatten weder das Opfer noch der zweite Assistent gesehen. Auch Mitglieder des TuS Zülpich, von der Kammer als Zeugen befragt, konnten den Täter nicht identifizieren. Einzig der erste Assistent wiederholte in Bonn seine belastende Aussage, die er auch vor der Amtsrichterin gemacht hatte: Es sei der Angeklagte gewesen, in dessen „Blick war Hass, das bleibt bei einem“, sagte er.

Der Verteidiger fordert ein anthropologisches Gutachten

Der nächste Zeuge, der ehemalige TG-Torwart, dessen Verfahren wegen Beleidigung des Schiedsrichters vom Amtsgericht eingestellt wurde, hatte den Vorfall anders gesehen. Der Mann war noch immer aufgebracht: „Der Schiedsrichter hat scheiße gepfiffen. Das weiß doch jeder!“, tobte er und knallte seine Baseballkappe auf den Holztisch vor sich. Der Angeklagte habe die Flasche nicht geworfen. Das habe auch keiner sehen können, weil ja jede Menge Leute rumgestanden hätten.

Bei diesem Verfahrensstand beantragte Verteidiger Franz ein anthropologisches Gutachten, mit dem bestimmt werden soll, ob der Angeklagte der Täter gewesen sei. Auf den Handyvideos, die von der Randale aufgenommen und von der Polizei gesichert worden sind, sei er nicht als Werfer auszumachen.

Und dann berichtete der Anwalt das, was ihm sein Mandant kurz zuvor in einer Verhandlungspause erzählt hatte: Er sei zeitweise als Türsteher in einer Euskirchener Disco beschäftigt gewesen und habe dort wiederholt einen Mann abgewiesen, weil er zu schmuddelig gekleidet gewesen sei. Wer das gewesen sei? Der erste Schiedsrichterassistent und Hauptbelastungszeuge.

Das Gericht nahm diese Äußerung zur Kenntnis und vertagte sich auf den 12. April. Bis dahin will es klären, ob das Gutachten bestellt wird.