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Simons WM-Tagebuch„Hey, wir sind Vizeweltmeister!“

Lesezeit 20 Minuten
Zwei Trikots mit der Nummer 19 hängen am Kleiderhaken. Sie gehören Simon Schöller.

Er konnte spielen: Simon Schöller trug die Nummer 19 beim Halbfinal-Sieg gegen die Türkei.

Simon Schöller aus Euskirchen-Palmersheim teilt den Lesern exklusive Einblicke von der Handball-WM der Gehörlosen in Kopenhagen mit.

Tag 14: Finalniederlage gegen Kroatien

„Guten Morgen, Finalisten. Es ist der Tag der Entscheidung. Heute geht’s um alles. Wir stehen im Finale und treffen auf Kroatien, die wir direkt am Vormittag im Videostudium unter die Lupe nehmen. Kroatien. Der Champion vom letzten Jahr, gegen den die Jungs im Finale der Deaflympics in Brasilien mit 21:32 unterlegen waren und gegen den wir hier in Kopenhagen in der Vorrunde mit 19:28 den Kürzeren zogen.

Wir wollten es jetzt wissen und wollten die Übermannschaft bezwingen. Daher sind wir recht motiviert in die Halle gefahren und haben mit mannschaftlicher Geschlossenheit in Durchgang eins überzeugt. Die Partie war zu jeder Zeit eng und es stand aussichtsreich 12:14 aus unserer Sicht.

Nach dem Seitenwechsel steckten wir zu keiner Zeit auf, dennoch gelang es Kroatien, sich in eine Fünf-Tore-Führung zu bringen, die sie nicht mehr hergaben. Wir kamen immer wieder mal ran, ließen dann aber unsere Wurfchancen ungenutzt. Am Ende hieß es 22:28. Es war dennoch eines unserer besten Spiele in diesem Turnier, da wir ein ebenbürtiger Endspielgegner waren.

Simon Schöller lächelt und hält die Silbermedaille in die Kamera.

Simon Schöller ist stolz auf die Silbermedaille, die er mit den Deafboys bei der Handball-WM der Gehörlosen errungen hat.

Trotz Niederlagenschmerz und persönlichem Schmerz, denn ich hatte mir ohne Gegnereinwirkung das Knie verdreht und musste Mitte der zweiten Hälfte raus, überwog am Ende die Freude über Silber. Eine Medaille, die uns keiner nehmen kann und über die ich mich persönlich sehr freue. Hey, wir sind Vizeweltmeister. Das erreichen nicht viele.

Die Stimmung im Team war das gesamte Turnier über super und wir können sehr stolz auf diese zwei Wochen sein. Die Kroaten sind einfach bärenstark gewesen. Wir haben mit Kampf und Willen dagegengehalten. Super war, dass die Halle fest in deutscher Hand war. Fast 100 Anhänger haben uns unterstützt. Stark!

Jetzt werden wir alle zusammen mit Fans und Mannschaft im Hotel feiern und ich bin stolz, dieses Silberding mit nach Hause nehmen zu können. Morgen geht’s dann zurück. Wann, kann ich jetzt noch gar nicht sagen. Prosit, Euer Simon.“

Tag 13: Botschaft von Nationalspielern und -trainern

Ja moin! Da wurde ja richtig geschlagen heute! Es wird gerade diskutiert, inwiefern die Türkei vom Turnier ausgeschlossen wird, es gibt dann vielleicht kein Spiel um Platz drei morgen. Da sind wir mal gespannt, aber das war schon frech heute bei unserem knappen 29:27 (14:9)-Sieg im Halbfinale. Da waren die Türken heute schlechte Verlierer, weil sie dann zugeschlagen haben. Echt dumm! Einer hat sogar angedroht, dass im Hotel weitergeschlagen wird. Das war ein ganz wildes Durcheinander. Die haben am Ende noch nicht mal abgeklatscht, einfach unfaire Leute.

Bei mir war heute schnell die Luft raus. Ich habe die letzten zwei Tage auch einfach viel geschlafen und war einfach krank. Dann direkt auf 100 Prozent zu kommen, ist einfach schwierig. Am Anfang habe ich noch ein bisschen geschlafen und schlechte Entscheidungen getroffen. Ich bin dann rausgekommen und ein anderer rein. Hoffentlich klappt es dann morgen deutlich besser.

Wir fanden es natürlich motivierend, dass einige DHB- und U21-Nationalspieler und -trainer uns eine Videobotschaft geschickt hatten. Um ehrlich zu sein: Wir hatten die Nachricht schon gesehen, bevor die Welt da draußen sie gesehen hat. Das hat uns natürlich schon heiß gemacht und wir wollten deshalb ordentlich Gas geben. Am Samstag sogar noch mehr. Gegen die Türkei wollten wir einfach nur ein sauberes Spiel hinlegen. Ich bin zuversichtlich, dass wir morgen für Kroatien ein richtiger Angstgegner sein können.“

Tag 12: Vorbereitung auf die Türkei

Donnerstag. Es ist der Tag vor dem Halbfinale. Die Anspannung im Team steigt. Das hat man heute auch im Training gesehen. Wir haben zusammen mit den Dänen trainiert, die trotz ihres Ausscheidens geschlossen hiergeblieben sind und auch bei der Abschiedsveranstaltung teilnehmen werden.

Mein Gesundheitszustand hat sich eher verschlechtert. Durch die Nase kriege ich immer noch keine Luft und dazu habe ich leichtes Fieber bekommen. Somit war ich heute nur Zuschauer beim Trainingsspiel. Jetzt ist sind die Gelenkschmerzen am Knie weg, dann kommt sowas. Das ist schon recht blöd, spiegelt aber die persönliche Berg- und Talfahrt dieser Weltmeisterschaft für mich bestens wider. Dadurch habe ich den Tag auch viel im Bett verbracht und entweder geschlafen oder TV geschaut.

Es stand noch die Videoanalyse der türkischen Mannschaft an. Unser Trainer Alexander Zimpelmann hat uns deren Schwachstellen dargelegt. Wir haben, wenn wir uns an die Vorgaben des Trainers halten, gute Chancen, das Finale zu erreichen und uns somit mindestens Silber zu sichern. Wir haben uns alle angeschaut, und man sieht bei jedem Einzelnen, dass jetzt die Ernte unserer eineinhalb Wochen hier vor Ort eingefahren werden soll. Ich muss jetzt nur noch fit werden, damit ich meinen Teil auch dazu beitragen kann.

Regen auf einer Fensterscheibe, dahinter ist schemenhaft ein Gebäude zu erkennen.

Trübe Aussichten für Simon Schöller: Er kämpft gegen eine Erkältung.

Tag 11: Ein echter Schmuddeltag

„Ach Leute, was soll ich sagen? Heute war irgendwie der Wurm drin. Den ganzen Tag über hat es geregnet wie aus Eimern. Ein richtiger Schmuddeltag.

Zudem ist über Nacht bei mir eine Erkältung ausgebrochen. Das machte sich in erster Linie mit einem Schnupfen bemerkbar. Die Nase ist völlig zu. Ich habe mich zwar zum Training geschleppt, aber so richtig mitmachen konnte ich nicht. Im Anschluss war dann Bettruhe angesagt.

Meine Teamkollegen haben sich um mich gekümmert und versucht, mich bei Laune zu halten. Jetzt krankheitsbedingt auszufallen, ist überhaupt nicht mein Ding. Ich hoffe, dass es bis Freitag wieder geht.

Jetzt krankheitsbedingt auszufallen, ist überhaupt nicht mein Ding.
Simon Schöller

Am Nachmittag stand dann das Spiel Serbien gegen die Türkei an. Das haben wir uns im Mannschaftskreis angeschaut. Ich habe mich mehr hingeschleppt, aber ich war dabei. Die Türkei hat das Spiel mit der Schlusssirene mit 29:28 gewonnen und gefeiert, als gäbe es keinen Morgen mehr. Durch diesen Erfolg gehen sie im Halbfinale den bislang stark aufspielenden Kroaten aus dem Weg und treffen auf uns.

Ob das für sie einfacher wird? Ich glaube nicht, wenngleich ich mir die Serben lieber gewünscht hätte. Nun ist es so und auf dem Weg ins Finale müssen wir ohnehin gewinnen. Das Spiel gegen die Türkei findet am Freitag um 19 Uhr statt. Vorher um 16 Uhr treffen Kroatien und Serbien aufeinander. Drückt die Daumen, dass ich bis dahin wieder fit bin. Euer Simon.“

Die Aussicht auf Kopenhagen von einem Boot aus.

Die teilnehmenden Mannschaften der Gehörlosen-WM unternahmen eine Bootstour.

Tag 10: Intensives Training

Guten Abend, mein Tagebuch. Es ist Dienstagabend, 20.16 Uhr, und ich lasse mal meinen Tag Revue passieren. Nach dem morgendlichen Aufstehen ging es um 8.30 Uhr in die Teambullis und damit rüber zur Trainingshalle. Nach einer Viertelstunde Aufwärmen haben wir uns eingeworfen und anschließend die Torhüter auf Betriebstemperatur gebracht.

Danach ging es an zwei vom Trainerteam ausgefeilte Offensivaufgaben mit aufeinander aufbauenden Elementen, wo Passspiel, Schnelligkeit und Wurfaktion im Mittelpunkt standen. Hier waren wir mal die angreifenden Spieler oder die Spieler in der Deckung. Wichtig war den Trainern dabei, dass wir unser Spiel verfestigen und weniger Fehler machen. Nach 90 Minuten war die Einheit dann vorbei und der Rest des Tages stand im Zeichen der Regeneration.

Der Landesverband Nordrhein-Westfalen zählt zwar mit zu den größten, aber in keinem Verein wird die Sparte Handball angeboten.
Simon Schöller

Wusstet Ihr eigentlich, dass es in Deutschland derzeit 121 Vereine und Sportklubs gibt, die im Deutschen Gehörlosen-Sportverband organisiert sind? Den Verband gibt es bereits seit 1910 und aktuell gibt es 15 Sparten in ihm.

Der Landesverband Nordrhein-Westfalen zählt zwar mit zu den größten, aber in keinem Verein wird die Sparte Handball angeboten. Ich bin daher auf Empfehlung der Kollegen Mitglied beim Gehörlosensportclub Frankenthal (Rheinland-Pfalz, nordwestlich von Ludwigshafen) geworden. Hier bekomme ich auch einen Teil meiner Auslagen der für den Handballsport benötigten Ausrüstungsgegenstände erstattet. Der Verein hat eine gute Struktur und kämpft für die Belange der Gehörlosen bzw. höreingeschränkten Menschen.

Die WM-Teilnehmer stehen um einen Streetfood-Truck herum und warten auf Hotdogs.

Danish Dynamite oder einfach nur Hotdogs? Der Veranstalter stellte einen Streetfood-Truck bereit.

Tag 9: Bootstour und Streetfoodtruck

„Ach wie herrlich! Das ist wie Urlaub. Nach dem Sonntagsspiel steht eine recht entspannte Eingangsphase in Woche zwei an. So richtig gefordert werden wir erst wieder am Freitag im Halbfinale sein. Das heißt jetzt nicht, dass wir nur die Füße hochlegen werden. Schließlich haben wir alle gemeinsam ein Ziel. Dafür werden wir weiter fleißig trainieren.

Dennoch war der Montag eher ein Erholungstag. Wir haben den ganzen Tag gechillt. Nach dem Frühstück ging es für mich zum Friseur, bevor wir zusammen mit allen anderen Mannschaften eine kleine Rundreise mit einem Boot gemacht und Kopenhagen von der Wasserseite aus begutachtet haben. Die Stadt hat schon ein paar schöne Flecken und kann sich echt sehen lassen. Das Ganze hat der Veranstalter des Turniers bezahlt. Im Anschluss ging es, auf dessen Kosten, noch an einen Hotdog-Stand, wo wir uns reichlich bedienen konnten. Der Veranstalter hatte einen Street-Food-Anhänger in den Innenhof gestellt.

Ich bin echt gespannt, was da zum Ende hin rauskommt und wer ganz weit vorne liegt.
Simon Schöller über den Strafenkatalog

Unser Mannschaftsgefüge ähnelt dem einer klassischen Handballmannschaft. Auch wir haben einen Strafenkatalog, wo es beispielsweise fürs Zu-spät-kommen Strafen gibt. Dazu zählen auch das Tragen falscher Teamklamotten oder wenn man wegen Meckerns im Spiel bestraft wird. Ich bin echt gespannt, was da zum Ende hin rauskommt und wer ganz weit vorne liegt.

Wir haben mit Lukas Kaut dann auch einen Kabinen-DJ. Mein Zimmerkollege Vincent Uben findet dessen Musikwahl aber nicht so gut, denn er spielt in seinen Augen nur „alte Musik“. Ich muss ihm da beipflichten, das ist echt teilweise ganz schlimm, was er uns da vorspielt.

Apropos Musik: Während wir uns in Palmersheim in der Kabine mit Musik heißmachen, ist das vor den Spielen der Gehörlosennationalmannschaft anders. Der Veranstalter spielt in der Halle zwar seine Musik, aber wir nehmen nur die Vibration der Bässe wahr, weil wir ja keine Hörhilfen mehr tragen.“

Frühstück: Auf einem Teller stehen eine gefüllte Müsli-Schale und Rührei, dahinter stehen ein Caffe Latte und ein Glas Apfelsaft. Im Hintergrund ein Teller mit einem Brötchen.

Rührei und Müsli, Kaffee und Saft: Das gemeinsame Frühstück gehört fürs Nationalteam dazu.

Tag 8: Deutschland steht im Halbfinale

„Wir stehen als Gruppenzweiter im Halbfinale. Das Spiel gegen die Türkei haben wir hinten raus klar mit 31:23 (13:9) gewonnen. Im ersten Durchgang hatten wir Probleme mit der recht intensiven Spielweise der Türken und es kam nur selten richtig Spielfluss auf. Dazu haben wir in der Offensive viel zu viele technische Fehler gemacht und klare Wurfaktionen ausgelassen. Hinten war Silas Schumacher der Garant zum Erfolg. Die ersten zehn Minuten der zweiten Halbzeit waren dann entscheidend. Hier trafen wir, wie auch kurz vor dem Ende, was das Zeug hielt und setzten uns in Richtung Sieg ab.

Ich habe die ersten 20 Minuten und dann kurz vor dem Ende gespielt. Das Knie hat gehalten und ich muss hierfür mal unsere Physiotherapeuten loben, die einen klasse Job machen. Trotz meiner kleinen Verletzung lief es dieses Mal besser, da ich mehr vom Spiel hatte.

Die Stimmung im Team ist ausgelassen und gut.
Simon Schöller

Mit dem dritten Sieg im vierten Spiel beenden wir die Vorrunde und warten nun auf unseren Gegner im Halbfinale. Die Stimmung im Team ist ausgelassen und gut. Und auch in der Halle waren heute einige deutsche Fans mehr als sonst. Einige Spieler haben Unterstützung ihrer Familien erhalten und wir hoffen, dass es am kommenden Freitag ähnlich gut wird.

Neben dem Handball stand heute nicht viel an. Wir haben zwar für die Spielkleidung einen Wäscheservice, aber was wir zum Training und so tragen, müssen wir dann auch schon mal selbst im Waschbecken durchdrücken und im Zimmer zum Trocknen aufhängen. Das sieht zwar alles andere als schick aus, aber was will man machen.

In unserer Außendarstellung dürfen wir zudem keinen Alkohol konsumieren, wenn wir den Bundesadler tragen. Aber auf den Bierpreis geschaut, vergeht einem die Lust darauf ohnehin sofort. Ein halber Liter Bier kostet umgerechnet zirka neun Euro. Das ist schon ein stolzer Preis.“

Dieses Selfie zeigt die Handball-Nationalspieler Dominik Götz und Simon Schöller, die auf der Treppe zur Erlöserkirche stehen, im Hintergrund der Ausblick über Kopenhagen.

Simon Schöller (r-) und Teamkollege Dominik Götz stiegen die Stufen zur Erlöserkirche hoch und genossen die Aussicht über Kopenhagen.

Tag 7: Nur fünf statt acht Mannschaften sind erschienen

Da bin ich wieder. Der Samstagmorgen beginnt zwar entspannt mit dem Frühstück, doch schon kurz danach, um 9.30 Uhr, sind wir in der Sporthalle gefordert. Es ist eine Trainingseinheit angesetzt.

Die Hallenzeiten sind hier schwer durchgetaktet, denn alle fünf teilnehmenden Mannschaften teilen sich die Halle. Fünf? Ja genau. Da bin ich euch noch eine Antwort schuldig. Eigentlich sollte die WM mit acht Mannschaften ausgetragen werden. War die Absage der USA schon frühzeitig bekannt, so munkelte man, dass auch Kamerun nicht antreten wird. Hier gab es wohl Probleme mit den Visa einiger Spieler, sodass der Verband seine Mannschaft ebenfalls zurückzog.

Wir haben bis zum 14. Juli spielfrei.
Simon Schöller

Warum Kenia jetzt nicht dabei ist, kann ich gar nicht sagen. Das bedeutet also für uns, dass das Spiel gegen die Türkei (Sonntag, 16 Uhr) den Abschluss der Vorrunde darstellt und wir dann bis zum 14. Juli spielfrei haben.

Zurück zum Training. Ich habe nicht mit dem Team trainiert, sondern bin locker Rad gefahren und habe danach ein paar Stabilisierungsübungen gemacht. Die Jungs kamen gut ins Schwitzen, wenngleich in Kopenhagen gute Bedingungen bei knapp 25 Grad herrschen.

Die Küche hier ist recht ausgewogen und wirklich jeder findet etwas nach seinem Geschmack.
Simon Schöller

Nach der Dusche ging es zurück ins Hotel, wo es Mittagessen gab. Die Küche hier ist recht ausgewogen und wirklich jeder findet etwas nach seinem Geschmack. Der Nachmittag stand dann ganz im Zeichen der Videoanalyse. Dieses Mal ging es aber in Kleingruppen in die Zimmer, und wir haben die bisherigen Auftritte der Türkei und deren Spielweise unter die Lupe genommen. Unsere Eindrücke sollten wir dann nach dem Abendessen in der großen Gruppe darlegen und ich hoffe, dass wir jetzt gut vorbereitet auf das Spiel sind.

Am späten Nachmittag waren wir dann noch Kleinigkeiten einkaufen und haben uns beim Spielen an der Konsole die Zeit vertrieben. Dabei hat mein Zimmerkollege Vincent Uben beim Fußball eine gehörige Klatsche kassiert, was meiner Meinung nach auch in die Zeitung gehört. Bis denne, Antenne!

Anmerkung Vincent Uben: „Das stimmt so nicht, denn ich habe Simon mit 7:0 geschlagen und bin ohnehin der beste Spieler im Team.“

Anmerkung der Redaktion: Wer nun von den beiden recht hat, werden wir wohl nie erfahren, denn was im Teamhotel passiert, bleibt im Teamhotel.

Tag 6: Erlöserkirche und Bluterguss im Knie

„Hallo, verehrte Mitleserschaft. Jetzt bin ich schon den sechsten Tag in Dänemark, und nachdem ich gestern aufgrund meiner Leistung etwas niedergeschlagen war, so sieht es an diesem Freitagmorgen schon wieder etwas rosiger aus. Wir hatten keine Aktivierung, sondern sind mit einem ausgiebigen Frühstück in den Tag gestartet.

Danach sind wir in die City rein. Dort haben mein Mannschaftskollege Dominik Götz und ich den Aufstieg zur For Felsers Kirke (Erlöserkirche) über eine außenliegende, spiralförmige Wendeltreppe vorgenommen. Oben angekommen, konnten wir weit über die rund 600.000-Einwohner-Stadt gewinnen. Kopenhagen hat viel Charme und einiges zu bieten. Danach sind wir weitergezogen und haben weitere Mitspieler unterwegs getroffen, mit denen wir etwas gegessen und getrunken haben.

Dann musste ich zurück ins Hotel, da ich einen Physiotermin hatte. Im rechten Knie hat sich ein Bluterguss im Gelenk gebildet, daher musste ich behandelt werden. Das bedeutete für mich nicht nur das Tragen eines Verbandes, sondern auch Schonung für den restlichen Tag. Abends beim Training habe ich versucht das Knie zu belasten, aber leider musste ich nach der Hälfte abbrechen. Ich hoffe jetzt, dass das Ganze bis zum Sonntagsspiel auskuriert ist, und wenn nicht, dann setze ich gegen die Türkei aus.

Der ist so groß, dass er mit ausgestrecktem Arm auf eine Länge von 3,20 Meter kommt.
Simon Schöller über Mitspieler Vincent Uben

An so einem spielfreien Tag kommt man auch etwas mehr mit den anderen Jungs ins Gespräch. Die Truppe ist ja kunterbunt und hat schon alleine von ihrer Altersstruktur her eine gute Mischung. Vincent Uben ist mit seinen 16 Jahren der Jüngste im Team. Gleichzeitig ist er aber auch der größte Spieler in der Mannschaft. Der ist so groß, dass er mit ausgestrecktem Arm auf eine Länge von 3,20 Meter kommt. Vincent hält viel Kontakt nach Hause und schreibt und telefoniert in jeder freien Minute.

Unser Team-Opi ist Sven Lauckner. Der ist 48 Jahre alt, und auch er nutzt die freie Zeit, um daheim bei Frau und Kind nachzuhören. Nicht nur die beiden, sondern eigentlich allen ist es wichtig, dass sie auch von zu Hause aus den nötigen Background erfahren und den Kontakt in die Heimat pflegen. Das gibt Kraft für uns und die bald beginnende zweite Woche.“

Dieses Selfie von Simon Schöller zeigt eine gut gelaunte Handball-Nationalmannschaft der Gehörlosen, die um einen Tisch versammelt sitzt.

Simon Schöller (l.) und seine Nationalmannschaftskollegen sind vor dem Spiel gegen Dänemark bestens gelaunt, wie dieses Selfie zeigt..

Tag 5: Streifzug durch die Hauptstadt und Selbstkritik

„Es ist Donnerstagmorgen. Ich habe nach unserem ersten Sieg gut geschlafen. Für heute steht eigentlich nicht viel auf dem Programm. Routinemäßig beginnt der Tag mit der Aktivierungseinheit, bevor sich alle über das Frühstück hermachen.

Nach einem kleinen Zwischenstopp im Zimmer geht es an die Videoanalyse. Unser Trainer Alexander Zimpelmann und sein Team haben bestimmt die ganze Nacht durchgemacht. Anders ist diese Detailgenauigkeit nicht zu erklären. Alle Spieler sind voll bei der Sache, doch auch hier gibt es immer wieder Situationen, die aufheitern.

Danach bin ich mit ein paar Jungs durch die Straßen geschlendert und habe hier und dort mal reingeschaut. Dänemark ist kein günstiges Land, sodass ich erstmal neues Geld ziehen musste. Der Nachmittag stand dann ganz im Zeichen der Erholung. Die meisten Jungs waren auf ihren Zimmern und haben geschlafen, gelesen oder gezockt.

Aktuell würde ich sagen, dass das Turnier etwas an mir vorbeiläuft.
Simon Schöller

Am Abend stand dann die Partie gegen den Gastgeber an. Wir wussten, dass wir favorisiert in das Spiel gingen, dennoch hatten wir nach einem guten Start doch wieder die gleichen Probleme wie in den Spielen davor. Wir haben die Dänen bis kurz vor der Pause im Spiel gelassen, sind dann aber auf 15:10 weggezogen.

Nach der Pause wurde die Sache dann schnell eindeutig und wir haben letztlich klar mit 34:21 gewonnen. Ich habe dieses Mal auf der Außenposition begonnen und recht viel Spielanteile gehabt, dennoch bin ich mit mir nicht zufrieden. Bis auf einen Siebenmeter, den ich rausgeholt habe, ist mir offensiv nicht viel gelungen.

Aktuell würde ich sagen, dass das Turnier etwas an mir vorbeiläuft. Am Ende des Tages zählt aber der Mannschaftserfolg und den haben wir erreicht und einen großen Schritt in Richtung Halbfinale getan. Jetzt gilt es, die zwei spielfreien Tage sinnvoll zu nutzen, und dann werden wir am Sonntag gegen die Türkei wieder auf Sieg gehen. Hoffentlich dann auch mit einem besser agierenden Simon Schöller.“

Tag 4: Endlich im Turnier angekommen

„Sieg! Wir haben soeben unseren ersten Sieg in der WM geholt. Gegen Serbien haben wir trotz einiger technischer Fehler im Angriff letztlich verdient mit 28:23 (13:10) gewonnen. Jetzt sind wir im Turnier angekommen. Den ganzen Tag über haben wir auf das Spiel hingefiebert und letztlich mit einer geschlossen starken Mannschaftsleistung und einem überragenden Silas Schumacher im Tor die Punkte eingefahren. In der Vorbereitung zum Spiel haben wir uns viel Videomaterial angeschaut und den Gegner gut studiert.

Ein Handballspiel bei den Gehörlosen ist anders als bei meinem Heimatverein TV Palmersheim. Während ich beim TVP meine Hörgeräte tragen darf, ist dies bei dem Turnier in Dänemark strikt verboten. Jeder, der auf dem Spielfeld steht, darf keine Hörhilfen tragen. Das gilt auch für die Offiziellen am Seitenrand. Alles läuft über Dolmetscher.

Wir sind alle gleich, und das merkt man an jeder Ecke und Kante.
Simon Schöller

Das Interessante dabei ist für mich, dass wir neben den nationalen auch die internationalen Gebärden lernen. Wie in der Sprache auch sind da klare Unterschiede bei der Mimik und Gestik zu sehen. Hier muss ich mal die ganzen Übersetzer loben, die einen großartigen Job machen. Auch die Leute, die sich um die Social-Media-Kanäle kümmern, sind gehörlos, und so wird ein Interview mit einem Spieler von mindestens zwei Dolmetschern begleitet. Alles ist perfekt auf uns ausgerichtet, und die normalen Barrieren des Alltags kann man hier vergessen. Wir sind alle gleich, und das merkt man an jeder Ecke und Kante.

Meine Leistung im Spiel fand ich etwas chaotisch. Ich hatte dieses Mal irgendwie keinen ordentlichen Spielfluss drin. Das hätte insgesamt etwas besser sein dürfen, aber dafür haben andere im Team überzeugt und letztlich haben wir einen verdienten Sieg eingefahren. Die Stimmung nach dem Sieg ist natürlich gut, und so habe ich auch gleich mal meine Teamkollegen Lukas Keßler beim Abendessen interviewt und hier kommt dann auch sein Statement: ‚Es war im Großen und Ganzen ein sehr gutes Spiel, wenngleich unsere Trefferausbeute nicht so gut war. Dafür haben wir in der Abwehr recht gut agiert.‘ Danke, Lukas!

Tag 3: Alles ist durchorganisiert

„Tag 3 der WM ist Geschichte. So langsam kann man sagen, dass sich die Abläufe vor Ort eingespielt haben. Unser Trainer Alexander Zimpelmann versorgt uns tagtäglich mit einem fest durchorganisierten Ablaufplan, sodass wir frühzeitig wissen, was auf dem Programm steht und somit auf uns zukommt.

Der Dienstagmorgen begann wieder mit einer Aktivierungseinheit im Fitnessraum. Gruppe 1 traf sich um 8.30 Uhr und Gruppe 2 zwanzig Minuten später. Das ist zwar recht ungewohnt für viele von uns, aber letztlich hilft es, gut in den Tag zu kommen.

Nach dem Frühstück haben wir den spielfreien Tag für eine Teambuildingmaßnahme im Schwimmbad genutzt. Wir waren im Wasser, ein bisschen planschen. Hier stand vor allem der Spaß im Vordergrund. Das Mittagessen ist hier weniger klassisch als vermutet, denn jeder kann selbst entscheiden, ob er daran teilnimmt.

Kurzum, das Essen ist toll, die Leute sind toll und auch das Wetter ist toll.
Simon Schöller

Am frühen Nachmittag hatten wir bei unseren Physiotherapeuten Julia Heilmann und Simon Habel die Möglichkeit, uns richtig durchkneten zu lassen. Das Ganze ist kein Wunschkonzert und schon gar nicht freiwillig, schließlich sollen wir die freie Zeit nutzen, um zu regenerieren, und da gehören ein wenig Massage und Muskellockerung mit dazu. Ein paar Übungen für die Füße standen an, damit diese etwas stabiler werden.

Am Abend ging es dann mit den Teambullis zur Sporthalle, wo wir uns gemeinsam als Team unsere nächsten Gegner Serbien und Dänemark im direkten Duell angeschaut haben. Serbien hat klar gewonnen, und somit haben wir heute um 19 Uhr direkt den nächsten dicken Brocken vor der Brust. Nach dem Abendessen ging es dann auch schon auf die Zimmer, wo wir den insgesamt recht lockeren Tag ausklingen ließen. Kurzum, das Essen ist toll, die Leute sind toll und auch das Wetter ist toll.“

Das Hotel Scandic Sydhavnen in der Außenansicht.

Im Hotel Scandic Sydhavnen in Kopenhagen sind die Nationalmannschaften untergebracht.

Teil 2: Der Morgen nach der Auftaktniederlage

„Es ist Dienstagmorgen, 8.17 Uhr. Der Morgen nach dem ersten Spiel. Und ich muss sagen, dass es kein guter Morgen ist. Wir haben das Auftaktspiel gegen Kroatien so richtig vermasselt. Mit 19:28 haben wir eine hohe Klatsche bekommen. Das müssen wir jetzt analysieren und dann schnell aus den Köpfen bekommen. Ich habe verständlicherweise am Anfang nicht gespielt, da ich ja nachgereist bin. Ich habe dann aber Spielanteile bekommen und auch meine ersten beiden Tore geworfen. Dennoch war die Abendstimmung eines insgesamt recht schönen Tages getrübt.

Wir sind Montagmorgen mit einer Aktivierungseinheit aus Yoga und Stabilisierungsübungen gestartet, bevor es zum Frühstück ging. Das war recht reichhaltig und ausgeprägt. Es bestand sogar die Möglichkeit, sich selbst Waffeln zu backen oder früh morgens Würstchen zu essen. Im Hotel ist alles super.

Mittlerweile haben wir schon drei Plastikflaschen, die wir dazwischen geklemmt haben, nach unten verloren.
Simon Schöller

Kurios ist aber, dass die Fenster der Zimmer allesamt nach außen aufgehen. Wenn dann noch der Wind weht, dann schlägt es immer wieder zu. Mittlerweile haben wir schon drei Plastikflaschen, die wir dazwischen geklemmt haben, nach unten verloren, weil alle naselang die Dinger zufliegen. Das Zimmer teile ich mir übrigens mit meinem Linkshänderkollegen Vincent Uben, und das klappt mit uns recht super. Wir verstehen uns gut.

Am Vormittag stand dann noch die Taktikbesprechung an, zu der wir in einen technisch gut ausgestatteten Konferenzraum des Hotels gegangen sind. Dann folgte mittags die Eröffnungsveranstaltung, die recht trashig war. Wir sind nacheinander reinspaziert und wurden gefilmt. Dann sollten wir uns hinsetzen und den Reden zuhören, die leider fast nur auf Dänisch und auch in dänischer Gebärdensprache waren und wir kaum etwas verstanden haben. Danach wurde von jedem Team ein Mannschaftsfoto gemacht und schon war das Ganze vorbei.

Vor dem Spiel gegen die Kroaten bin ich flott ein paar Kleinigkeiten einkaufen gegangen und dann ging auch schon die Vorbereitung auf das Spiel los. Dieses war früh bei 1:9 aus unserer Sicht verloren, dennoch haben wir Moral gezeigt und uns ins Spiel gebissen. Mit meiner Leistung bin ich ganz zufrieden. Als Team werden wir jetzt zeigen müssen, dass dies ein Ausrutscher war.“

Gehörlosen-Handball-Nationalspieler Simon Schöller blickt auf sein Handy.

Simon Schöller versorgt die Leser dieser Zeitung aus Kopenhagen mit News von der Handball-WM der Gehörlosen.


Teil 1: Die Ankunft

„Ja moin. Ich bin Simon und darf euch zur Handballweltmeisterschaft der Gehörlosen in Dänemark mitnehmen. In losen Abständen werde ich euch über das Sportliche, aber auch das gesamte Drumherum berichten. Und ich lege sofort mit der Abfahrt vom wunderschönsten Dorf Euskirchens, Palmersheim, los.

Mein Vater war so nett und hat mich mit dem Auto zum Flughafen nach Weeze gebracht, von wo aus ich den Flieger nach Kopenhagen genommen habe. Dass ich irgendwann einmal im Flugzeug zu einem Handballspiel fliegen werde, hätte ich nie gedacht. Ein verdammt gutes Gefühl. In Kopenhagen angekommen, wurde ich auch gleich vom Teambetreuer abgeholt und zum Hotel gebracht. Das Ganze hat völlig reibungslos geklappt. Im Hotel machte ich mich erst einmal auf die Suche nach meinem Team. Die Freude über das Wiedersehen und die Vorfreude auf das, was noch kommt, ist bei allen Jungs spürbar groß. Die Stimmung ist wirklich gut.

Das Hotel ist fest in der Hand der Gehörlosen, denn alle teilnehmenden Mannschaften sind hier untergekommen. Das macht schon Bock auf das Ganze hier, weil alle total nett zueinander sind. Lustig fand ich dann am Abend eine Aktion, wo wir alle nacheinander unseren Gebärdennamen (Anm.: eine Art Spitzname, der mit Mimik und Gestik ist einer freien Form der Darstellung gezeigt wird) bei laufender Kamera kreieren sollten. Da waren schon ein paar witzige Aktionen bei. Danach ging es auf die Zimmer, wo wir das erste Mal die Spielkonsole bei Fifa zum Glühen brachten.“