EuskirchenTäuschend echte Katastrophenschutzübung mit Mimen und 200 Einsatzkräften
Euskirchen – Das Szenario in der Fabrikhalle wirkt verstörend: Hilferufe und Schmerzensschreie kommen aus allen Richtungen. Zwischen den Produktionsanlagen und auf den Treppen der Euskirchener Zuckerfabrik liegen nach einer Verpuffung Bewusstlose und Verletzte, die teilweise aus mehreren Wunden bluten. Die Einsatzkräfte, die als Erste die Halle betreten, um die Lage zu sondieren, werden von verzweifelten Opfern bedrängt. „Warum hilft denn keiner – bitte helft mir“, rufen sie. Panikstimmung breitet sich aus.
Immer mehr Feuerwehrleute, kommen vorsichtig in die Halle und versuchen, einen Überblick zu gewinnen. Schwierig in dem Chaos. Überall liegen Opfer. Wem zuerst helfen? Was muss getan werden? Wohin mit den Menschen, woher kommen genug Ärzte und Rettungssanitäter, um die Lage in den Griff zu bekommen? Und: Wie behalte ich meine Nerven im Griff?
Dies sind die Fragen, die in solch einer Situation in kürzester Zeit beantwortet werden müssen, damit Menschenleben gerettet werden können. Und genau deshalb werden regelmäßig Übungen abgehalten. Doch nur selten in so großem Stil wie am Samstagmittag, als rund 200 Personen in der Zuckerfabrik an einer Katastrophenschutzübung teilnahmen.„Das ist das erste Mal seit Ausbruch der Corona-Pandemie, dass wir eine derart große Übung durchführen“, sagte Rainer Brück, Koordinierender Leiter Rettungsdienst im Kreis. Normalerweise würden sie zweimal im Jahr stattfinden, doch aufgrund der Infektionsgefahr sei davon abgesehen worden. „Das Ziel ist, die Zusammenarbeit zwischen Rettungsdienst, THW, Feuerwehr und Notärzten zu stärken“, erläuterte er.
„Solche Lagen sind nicht das tägliche Brot“, erklärte er. Die Problematik beginne schon mit der Aufstellung der Fahrzeuge und der Frage, wie in der ersten Phase die Opfer versorgt werden können, wenn noch nicht genug Material und Personal vor Ort sei.
Mit dem Bildungszentrum Euregio der Malteser in Aachen war noch ein weiterer Partner vor Ort. Seit Dienstag finde dort ein Kurs für leitende Notärzte aus dem ganzen Bundesgebiet statt, informierte Brück. Einige der Teilnehmer beteiligten sich aktiv an der Übung, während die Kollegen sie mit fachlich geschultem Blick beobachteten.
Seit zehn Jahren sorgen die Ehrenamtler von der Opferdarstellung des Jugendrotkreuzes des DRK-Kreisverbandes Euskirchen für ein möglichst realistisches Bild. Dazu gehören nicht nur Verletzungen, die auch einem Filmset zur Ehre gereichen würden, sondern auch Darstellung der menschlichen Reaktionen in einer Extremsituation wie Schock, Panik, Verzweiflung oder Angst.
Rund 25 Mimen dabei
Gespannt beobachtete Sabine Eschweiler vom JRK, wie die Feuerwehrleute durch die Halle gingen und versuchten, einen Überblick über die Lage zu gewinnen, während die Opferdarsteller sich verzweifelt schreiend an sie klammerten. „Das ist schwer auszuhalten, wenn die Einsatzkräfte am Anfang den Eindruck erwecken, sie würden sich nicht kümmern. Ich finde, das machen die Darsteller richtig gut“, sagte sie.
Rund 25 Mimen waren über zwei Stockwerke verteilt. Während die 13 Darsteller im Untergeschoss schnell geortet waren, war auf der Metalltreppe und im Obergeschoss mehr Geduld notwendig. „Das dauert aber, bis die heute aus dem Quark kommen“, sagte Burghard Kühn, der versteckt in einer Ecke lag, als die Retter nach 20 Minuten noch nicht auf der Treppe zu hören waren. Doch es sei immer Geduld gefragt, bis die Retter schließlich bei einem seien. Aus seinem Rücken ragte ein Rohrende, das eine Lungenverletzung andeutete.
Seit zehn Jahren, seit es die Übungen gebe, sei er als Opferdarsteller dabei, und er habe in all den Jahren nur einmal „überlebt“, berichtete Kühn. Auch seine Frau Jessica Kühn, ebenfalls seit zehn Jahren dabei, wartete hinter einer Maschine auf die Retter. „Verletzte darstellen macht Spaß, denn dann kann man die Kollegen beobachten, wie sie unter Druck in Spezialsituation arbeiten“, erzählte sie. „Eine Übung läuft nie ganz perfekt“, sagte Aileen Jungmann, die mit schweren Gesichtsverletzungen an einer Maschine lehnte. Es gehe dabei immer um einen Lerneffekt für alle Teilnehmer.
Dramatische Schreie im Obergeschoss
Als die Feuerwehrmänner sich ihren Weg durch das verrauchte Obergeschoss gebahnt hatten, kam der dramatische Auftritt von Kühn. Laut schreiend reagierte er, als die Feuerwehrleute ihn umdrehten und das Rohr in seinem Rücken entdeckten. Diese Aktion stellte er nur kurz ein, als der Feuerwehrmann ihn informierte, er müsse selbst nach draußen gehen, da die Übungsleitung beschlossen habe, die Verletzten nicht mit einer Trage über die enge und gefährliche Treppe zu transportieren. Auf dem Hof der Zuckerfabrik wurden die Verletzten im Schatten der Silos gelagert und von Sanitätern und Notärzten versorgt, gespannt von allen Seiten beobachtet.
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„Wir machen auch öfter kleine Übungen hier“, informierte Martin Fehrmann, Leiter der Abteilung Gefahrenabwehr beim Kreis Euskirchen. Für die Einsatzübungen würden immer solche Orte gesucht, sagte er. „Wir waren schon an mehreren Orten, auch schon in einer Kläranlage“, informierte er. Dankbar sei er über die gute Zusammenarbeit mit Pfeifer & Langen, dem Betreiber der Zuckerfabrik.
„So eine Übung ist in unserem Sinne, die könnten auch öfter sein“, bestätigte Guido Degen von Pfeifer & Langen. Menschenrettung zu üben, sei auch für den wichtig, der auf das Retten angewiesen sei.
Burkhard Kühn hat übrigens auch diese Übung nicht überlebt. „Das ging schon bei der Lagerung auf dem Verbandsplatz schief“, erzählte er, während er nach Übungsende entspannt eine Zigarette rauchte. Er sei so gelegt worden, dass die Lungenverletzung oben gewesen sei. „Dann wäre aber das Blut in die gesunde Hälfte der Lunge gelaufen“, erläuterte er. Bei der richtigen Lagerung hätte er zwar auf seine Schulterverletzung gelegt werden müssen, doch das wäre egal gewesen, da er sowieso bewusstlos gewesen sei. „Darüber wird bei der Nachbesprechung geredet“, sagte er.