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BesucherbergwerkIn Rescheid gedeihen unter Tage unerforschte Organismen

Lesezeit 4 Minuten
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Durch die Bakterien wachsen die rostroten Sinterterrassen.

  1. Erst vor kurzem wurden im Besucherbergwerk „Grube Wohlfahrt“ neue Lebensformen entdeckt.
  2. Bei Licht verkümmern die Organismen. Lampen gibt es deshalb unter Tage nicht.
  3. Chemische Prozesse führen dazu, dass sich unter der Erde bizzare Formationen und Strukturen in leuchtenden Farben bilden.

Hellenthal-Rescheid – „Die im Dunkeln sieht man nicht“, dies dichtete der Autor Bertolt Brecht einst in seiner Dreigroschenoper. Was einst auf die sozialen Umstände im Berlin der Weimarer Republik gemünzt war, kann mit Fug und Recht auch für die Lebensformen gelten, die in Höhlen und Bergwerken existieren. Unter Lebensbedingungen, die für Mensch, Tier und Pflanzen als feindlich gelten können, gedeihen sie prächtig. Auch das Besucherbergwerk „Grube Wohlfahrt“ in Rescheid macht da keine Ausnahme.

Erst vor wenigen Monaten sei überhaupt bekannt geworden, dass auch im Bergwerk in Rescheid Lebensformen existieren, die einen ganz anderen Stoffwechsel aufweisen als üblich, berichtet Norbert Knauf vom Heimatverein Rescheid, der das Besucherbergwerk betreibt. Denn sie kommen nicht nur prima in der Dunkelheit zurecht, bei Licht verkümmern diese Organismen sogar.

Um Sinterterrassen zu schützen gibt es keine Lampen

Es rauscht und plätschert kräftig in diesen Tagen im Bergwerk. Die Regenfälle haben den Boden soweit durchfeuchtet, dass die lebensspendende Flüssigkeit aus allen Ritzen und Fugen im Bergwerk rauscht. „So war das seit vielen Monaten nicht mehr“, freut sich Knauf. Der Mineraloge weiß: Diese seltsamen Wesen, die sich im Eifelgestein angesiedelt haben, mögen zwar ohne Licht auskommen, ohne Wasser aber nicht.

Deshalb sind die leuchtendroten Sinterterrassen, die ein spektakulärer Höhepunkt jeder Führung im Besucherbergwerk sind, auch mit einer Extra-Bewässerung versehen worden. „In trockenen Sommern müssen wir das bewässern, ansonsten trocknet das aus und bekommt Risse“, erläutert Knauf.

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Grubenführer Norbert Knauf freut sich über die Dusche, die nach vielen trockenen Monaten wieder aus den Schächten der Grube kommt.

Etwa 40 Zentimeter in 25 Jahren sind die Terrassen gewachsen. Deutlich zu sehen sind die Schichten, in denen sich die Ausscheidungen der Bakterien angesammelt haben. Verantwortlich dafür ist der Einzeller „Acidithiobacillus Ferrooxidans“, der im Bergwerk in Rescheid lebt. „Wir haben dort keine Lampen, die dauerhaft eingeschaltet sind, um diese Bereiche zu schützen“, erklärt Knauf.

„Matsch, der an den Wänden wächst“

Ebenfalls im Dunkeln liegen die Sinter, die sich an feuchten Stellen an den Wänden angesiedelt haben. Weich und feucht sei es, erläutert Knauf. „Das ist wie Matsch, der an den Wänden wächst“, erklärt er. Doch angefasst werden will die glibberige Masse aus Bakterienschleim, Wasser und Eisen- oder Manganpartikeln nicht, sonst stirbt sie ab.

Die Prozesse, die den Bazillen ihre Lebensenergie verschaffensind bekannt. Chemisch gesprochen lösen die Einzeller im sauren Umfeld des aufgelassenen Bleibergwerks Eisenionen aus dem Gestein und oxidieren sie. Von der Energie, die bei dieser Reaktion entsteht, leben sie. Was die Organismen nicht verwerten können, wird ausgeschieden. Diese Prozesse sind weitgehend bekannt. Sie werden sogar im Bergbau gezielt eingesetzt, um bestimmte Mineralien aus den Erzen zu gewinnen. „Ich selbst habe das einmal beim Kupferabbau auf Zypern beobachtet“, so Knauf.

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In der Lichtlosigkeit des Bärenwurzgangs am Ausbauende des Besucherbergwerks haben sich die metalliebenden Einzeller angesiedelt.

Was bisher nicht bekannt war, ist die Tatsache, dass diese Lebensformen auch im Rescheider Bergwerk vorkommen. Darauf aufmerksam gemacht hat Dr. Andreas Kronz vom Institut für Geochemie der Uni Göttingen. Er war während des Montanhistorischen Workshops im vergangenen Herbst in der Grube und staunte über das, was er in der hintersten Ecke des Stollens entdecken durfte.

„Das ist der Start eines minimalen Ökosystems“, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung. Es gebe viele Lebensformen, die fernab vom Licht existierten. Als „Poolfingers“ seien Kolonien von speziellen Bakterien, die in Höhlen leben, in der Literatur bezeichnet. Derartige Organismen seien noch in 1000 Meter Tiefe im Gestein überall zu finden. Ähnliches habe er auch in Höhlen in Hessen gesehen. Und so seien ihm die Strukturen in der hintersten Ecke des Rescheider Bergwerkes aufgefallen. „Plötzlich findet man dieselben Organismen wie in Amerika“, sagt Kronz.

Noch viel Bedarf an Forschung

„Was genau das ist, wissen wir nicht“, sagt Norbert Knauf. Er zeigt auf die seltsamen Gebilde im Seitengang, wo keine Besucher mehr hinkommen. Zarte Büschel, lange Fäden oder auch ein paar Spinnenfäden, wo eigentlich keine Spinne dieser Welt mehr leben könnte, sind dort zu sehen. 60 Meter unter der Erdoberfläche erstreckt sich eine Struktur, die wie eine Wurzel aussieht.

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Bisher seien diese Objekte noch nicht untersucht worden, so Knauf. Angesiedelt haben sie sich unter einem Bleierzgang, wo sie sich von dem Schwefel, der im Erz enthalten sei, ernähren könnten. „Vielleicht sind es Pilze oder Bakterien, vielleicht Mischformen wie Flechten, vielleicht auch etwas anderes“, ist auch Knauf verblüfft über die unerwartete Entdeckung in dem Bergwerk, das er doch eigentlich so gut kennt.

„Wir stoßen da in Welten vor, wo es noch viel Bedarf an Forschung gibt“, ist Cronz sicher. An der Universität sei eine ganze Abteilung damit beschäftigt: „Das Potenzial für Neuentdeckungen ist groß.“