Angst vor gesellschaftlichem Rechtsruck: 150 Teilnehmer folgten in Hellenthal dem Aufruf von Petra Kochs und Christoph Westerburg.
„Gegen rechts, für Menschlichkeit“Hellenthaler zeigen mit Mahnwache an der Olef Flagge
Wenn in großen Städten Tausende oder gar Zehntausende Menschen auf die Straße gehen, um gegen zunehmenden Rechtsextremismus zu protestieren und für die Demokratie einzutreten, stößt das bundesweit auf Beachtung. Wenn sich Menschen in den kleinen Ortschaften versammeln, wirken diese Demonstrationen schon aufgrund der geringeren Einwohnerzahlen nicht so beeindruckend. Und doch ist es etwas Besonderes, werden gerade diese Initiativen doch nicht von großen Verbänden oder Parteien in Gang gesetzt, sondern vielfach von Privatpersonen, die aktiv werden und ihre Stimme erheben wollen.
So am Freitagabend in Hellenthal, als sich rund 150 Menschen am Olefufer zu einer Mahnwache versammelten. „Gegen rechts, für Menschlichkeit“, so lautete das Motto, unter dem zwei Hellenthaler zu dieser Zusammenkunft aufgerufen hatten. Für Petra Kochs und Christoph Westerburg war es ein absolutes Novum, denn bisher war ihnen politisches Engagement eher fremd. Doch nun sei alles anders. „Die Schisserin zeigt Flagge“, sagte Kochs selbstironisch über sich.
Hellenthal: Veranstalter wollen Haltung zeigen
„Ich habe zu dieser Versammlung aufgerufen, um Haltung zu zeigen“, sagte sie. Sichtlich überwältigt und nervös von dem Zulauf zu der von ihr initiierten Mahnwache gab sie Auskunft über ihre Motivation. „Ich will nicht sagen, ich habe das nicht gewusst“, beschrieb sie ihre Empfindungen. Der Rechtsruck in der Gesellschaft in Deutschland sei so groß. Gespräche der Kundschaft, die sie in der Bäckerei, in der sie arbeitet, mitbekomme, seien erschütternd.
„Da heißt es dann, die AfD müsse an die Macht, damit sich was ändere, Asylanten müssten alle raus“, berichtet sie. Auch in ihrem Bekanntenkreis seien immer wieder solche Äußerungen zu hören. Meistens halte sie sich aus solchen Diskussionen heraus, vor allem an ihrem Arbeitsplatz.
Doch mittlerweile gebe sie vor allem privat auch Kontra. „Ich zeige Flagge“, sagte sie. Das Ausmaß, in dem solche fremdenfeindlichen und rechten Äußerungen zu hören seien, habe sie nicht erwartet. Oder sie habe es verdrängt, räumte sie ein. Denn sie sei so erzogen worden, dass man sich aus solchen Sachen heraushalten solle. Nur einmal, als 1992 die Flüchtlingsheime in Deutschland gebrannt hätten, da habe sie sich in Köln in eine Menschenkette eingereiht. „Das hat auch immer gut funktioniert, doch nun ist das vorbei“, sagte sie. Und das schon seit längerem.
Veranstalter erhielten in der Gemeinde viel Unterstützung
Daher habe sie in ihrem Facebook-Status gepostet, sie wolle keine AfD-Leute in ihrer Freundesliste haben. „Daraufhin hat mir ein guter Bekannter geschrieben, dann müsse ich ihn wohl aus der Liste löschen“, so Kochs. Sie sei schockiert gewesen, dass jemand, den sie gemocht habe, sich zu AfD bekenne. „Ich habe dann den Kontakt abgebrochen“, betonte sie.
Negative Reaktionen auf den Aufruf zur Mahnwache habe sie nicht bekommen, obwohl: „Ich hatte Angst davor.“ Doch sie sei eher bestärkt worden. Zum Beispiel hätten sich ihre Kolleginnen aus der Bäckerei freiwillig als Ordner zur Verfügung gestellt. Auch die Gemeindeverwaltung habe sie unterstützt und eine mobile Lautsprecheranlage zur Verfügung gestellt. „Wenn ich das sehe, könnte ich heulen“, sagte sie ergriffen über die Menschenmenge, die zusammengekommen war.
Mit ihrem Mann Christoph Westerburg begrüßte sie die Leute. „Sei ein Mensch“, forderte Westerburg mit den Worten des Sportkommentators Marcel Reif die Menschen auf. Seine Frau und er seien gegen Ausgrenzung, für Menschlichkeit und wollten mit allen in einem freien Land in Frieden zusammenleben.
„Die Braunen hatten wir schon, die brauchen wir nicht mehr“
Aus allen Richtungen kamen die Menschen zu der Mahnwache, manche mit Plakaten, viele ohne, doch die meisten hatten, wie Kochs und Westerburg es sich gewünscht hatten, Taschenlampen und Kerzen dabei.
„Es ist für uns kleine Eifeler Zeit, die Stimme zu erheben“, sagte ein Mann aus Udenbreth. „Demokratie heißt nicht, andere niederzubrüllen“, ergänzte eine Frau aus Hecken. Dass die Rechten so stark geworden seien, sei auch von den Medien mitzuverantworten, die lautstarke Minderheiten zu stark in den Vordergrund gestellt hätten. „Hier geht es nicht um Politik, sondern darum, dass wir keine Nazis wollen“, sagte die Frau. Ihre Schwiegermutter sei 90 Jahre alt und habe gesagt: „Die Braunen hatten wir schon, die brauchen wir nicht mehr“, sagte sie.
Auch Bürgermeister Rudolf Westerburg und Ratsmitglieder vor Ort
Unter die Teilnehmer der Mahnwache hatten sich auch Ratsvertreter aller Fraktionen und Bürgermeister Rudolf Westerburg gemischt. „Das ist eine schöne und wichtige Aktion“, sagte er. In Hellenthal lebten die Menschen in einer Grenzregion und erlebten täglich ein freies und tolerantes Europa. „Was wir hier jeden Tag haben, das wäre vor Jahren undenkbar gewesen, als an der deutsch-belgischen Grenze Kontrollen zum Alltag gehörten.“ Da sei man mindestens zweimal im Monat angehalten worden und habe das Fahrzeug ausräumen müssen, ob auch nicht zu viel Zigaretten beim Grenzübertritt mitgenommen worden seien.
„Und das soll jetzt zurückkommen?“, so Westerburg mit Blick auf die Forderungen aus rechten Kreisen, Deutschland solle aus der Europäischen Union aussteigen. Jeden Tag führen Hellenthaler nach Belgien, um dort zu arbeiten, genauso umgekehrt. „Alleine bei Faymonville in Bütgenbach arbeiten 20 Menschen aus unserer Gemeinde“, sagte er. Wie wichtig Freiheit und Menschenrechte seien, werde auch an dem gerade an diesem Tag gemeldeten Tod des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny deutlich.
Auch aus Blankenheim und Freilingen waren Menschen gekommen, um an der Versammlung teilzunehmen. „Wir sollten in der Eifel Farbe bekennen und Opposition zu den Rechten beziehen“, sagte Markus M. Schmitz. Wenn er die Wahlergebnisse der letzten Zeit sehe, werde es ihm anders.
„Ich dachte, das wäre vorbei“, sagte ein älterer Mann. Schon früher habe es geheißen: „Nie wieder“, wenn es um rechtsextreme Gesinnung gegangen sei. „Das scheint nicht genug gewesen zu sein“, sorgt er sich.