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Trotz KurzarbeitStocko investiert Millionen in Hellenthal

Lesezeit 7 Minuten
Ein Mann und eine Frau stehen vor einer Produktionsmaschine der Firma Stocko in Hellenthal.

Rund 2,7 Millionen Teile werden im Hellenthaler Stocko-Werk, dessen Geschicke Geschäftsführer Selahattin Servi und die kaufmännische Leiterin Christine Haas verantworten, täglich gefertigt.

Auch wenn in der Produktion derzeit freitags Kurzarbeit ist, investieren die Stocko-Verantwortlichen in Hellenthal Millionen Euro.

Corona, Flut, Krieg, Energiekrise – Zeit zum Durchatmen bleibt auch den Unternehmenslenkern nicht. Doch selbst nach fast drei Jahren im Dauerkrisenmodus ist Stocko-Geschäftsführer Selahattin Servi vergleichsweise entspannt.

Ja, sagt er, in den vergangenen Jahren habe man stets auf Sicht fahren müssen, die bis dahin geltenden wirtschaftlichen Zyklen gebe es nicht mehr. Ja, auch Stocko Contact mit dem größten Werk und 450 Mitarbeitern in Hellenthal habe mit den Krisen und all ihren Begleiterscheinungen zu kämpfen. Aber: Stocko sei ein rundum gesundes Unternehmen, der Standort Hellenthal sicher.

Ein gut sichtbares Indiz: An der Oleftalstraße wird mal wieder kräftig gebaut. Und weitere Millioneninvestitionen sind in Vorbereitung. Dass seit Jahresbeginn in Hellenthal Kurzarbeit angesagt ist, besorgt die Verantwortlichen nicht.

Die Corona-Sonderkonjunktur

Schlagartig kommt mit dem Beginn der Pandemie 2020 zunächst der Abschwung: Stocko-Kunden aus Automobil- und Hausgerätebranche fahren die Produktion herunter, Steckverbindungen und Crimp-Kontakte made in Hellenthal sind ebenfalls nicht mehr so stark nachgefragt. Mit Kurzarbeit, Homeoffice und Hygieneregeln meistert Stocko diese Phase – und steht bereit, als die „Sonderkonjunktur“, wie Servi es bezeichnet, startet.

Vom Cocooning-Effekt, also dass die Menschen sich während der Pandemie gezwungenermaßen stark ins Private zurückziehen, profitiert auch Stocko: Es wird richtig viel in Häuser und Wohnungen investiert, in Hausgeräte und -technik. All die Geräte sind eben vollgestopft mit Elektronik – und dazu werden oft Stocko-Stecker verbaut.

Die Flut

Die Olefstaumauer, an deren Fuß die Werkshallen in Hellenthal liegen, hat auch Stocko geschützt. Doch an Normalbetrieb ist dort in den Wochen nach der Katastrophe im Juli 2021 nicht zu denken. Viele Mitarbeiter sind betroffen und/oder im Hilfseinsatz, sie erhalten die Option, freizunehmen.

Als deutlich gravierender erweist sich jedoch der Ausfall mehrerer wichtiger Zulieferer: In Stolberg zerstören die Wassermassen Unternehmen, die aus Kupfer Bandmaterial herstellen. Ihr Ausfall hat laut Servi weltweit für Wirbel gesorgt. Und in Hellenthal zeitweise für Kurzarbeit: „Wir hatten eine super Auftragslage, aber kamen nicht nach, weil wir kein Material hatten.“

Der Krieg

„Als wir dachten, alles im Griff zu haben, hat der Krieg begonnen“, sagt Servi. Neben all den Auswirkungen auf die komplexen Strukturen globaler Handelsketten ist Stocko auch unmittelbar betroffen: Geschäfte mit größeren Kunden aus der Automobilzulieferindustrie in der Ukraine sind weggebrochen.

Die Energie

Vom Gas ist die Produktion bei Stocko nicht abhängig, dort wird mit dem Rohstoff „nur“ geheizt. Was allerdings nicht heißt, dass das Thema Servi und sein Team nicht umtreibt: Lieferanten wie Metallverarbeiter und Kunststoffhersteller sind deutlich stärker vom Gas abhängig – und geben ihre Mehrkosten in Form deutlicher Preisaufschläge weiter, die von 20 Prozent bis zur Verdopplung reichen. Diese will Stocko an die Kunden weitergeben – eins zu eins funktioniert das laut Servi jedoch nicht: „Im internationalen Wettbewerb müssen wir schauen, wie weit wir gehen können.“

Von dreistelligen Millionenbeträgen spricht Servi beim jährlichen Materialeinkauf, rund 5,5 Tonnen Rohmaterial benötigt das Unternehmen jeden Tag. Um das zu verarbeiten, ist viel Strom erforderlich. Als siebenstellig bezeichnet er den dafür ohnehin zu kalkulierenden Betrag. Und Strom wird immer teurer. Also will Stocko seinen eigenen produzieren. Eine Fotovoltaikanlage größeren Stils wird entworfen: Dachflächen könnten genutzt werden, die Fläche über dem Parkplatz. Drehbare Kollektoren sind denkbar. Für 2024 peilt Servi das Projekt an, um künftig rund 25 Prozent des eigenen Strombedarfs zu decken.

Der Weltmarkt

Die Abrisse in den internationalen Lieferketten, für die es längst nicht immer einen spektakulären Grund gibt wie ein quer im Suezkanal liegendes Schiff, bekommt ein global operierendes Unternehmen wie Stocko in diesen Zeiten mit unschöner Regelmäßigkeit zu spüren. Mal fehlen ganz triviale Dinge wie Polyethylenbeutel, Klebeband und Paletten, mal Klassiker wie Chips, über deren Mangel ohnehin alle Welt spricht.

Mehr als 80 Prozent seiner Produkte exportiert Stocko in alle Welt. Die größten Absatzmärkte sind, neben Deutschland, China und die Türkei. Die Debatten über eine mögliche Abhängigkeit von China taugt laut Servi eher für Talkshows und geht für ihn genauso an der Realität der globalen Märkte vorbei wie die über den Umgang mit anderen Staaten – Katar beispielsweise: „Diese Probleme werden die kleinen mittelständischen Unternehmen nicht lösen.“

Die Kurzarbeit

Nach der Corona-Sonderkonjunktur bekommt Stocko nun auch die allgemeine Konsumzurückhaltung zu spüren. Wie die kaufmännische Leiterin Christine Haas berichtet, sind vor allem aus der Hausgeräte-Branche Aufträge storniert oder verschoben worden. Daher ist seit Jahresbeginn in der Produktion Kurzarbeit angesagt. Dies jedoch nicht in großem Umfang, sondern nur freitags – der Tag, der laut Haas ohnehin kurzer Arbeitstag mit weniger Stunden ist. Als „kleine Delle“ bezeichnet sie die Lage.

Dass man in der Chefetage nicht massiv besorgt ist, unterstreicht sie mit zwei Punkten: Zum einen werden die millionenschweren Bauprojekte wie geplant weitergeführt. Und zum anderen halte man das Stammpersonal inklusive der Leiharbeiter, befristete Verträge habe man gerade erst verlängert. Laut Haas rechnet man bei Stocko damit, dass sich die Lage rasch, etwa Anfang des zweiten Quartals, wieder bessert.

Die Fachkräfte

Das Personal ist für Unternehmen wir Stocko das wertvollste und auch teuerste Kapital. Selbst wenn die Kosten in Deutschland hoch sind und der aktuelle Metall-Tarifabschluss mit einem Lohn-Plus von 8,5 Prozent und 3000 Euro Einmalzahlungen  das Unternehmen belastet, sagt Servi: „Das müssen wir durch Umsatz kompensieren.“ Denn: Personalabbau ist in Hellenthal kein Thema, noch Drastischeres erst recht nicht. „Wir können hier nicht einfach abbauen und weiterziehen.“

Ein Mitarbeiter steht an einer Produktionsmaschine von Stocko in Hellenthal.

Die 450 Mitarbeiter sind wichtiges Kapital des Unternehmens.

Stattdessen wird Personal aufgebaut und vor allem ausgebildet. Einen Grund dafür nennt   Haas: „In den nächsten acht bis zehn Jahren gehen 20 bis 25 Prozent der Belegschaft in Rente, darunter auch viele Leistungsträger.“ Mit einer Ausbildungsquote von etwa zehn Prozent soll dem entgegengewirkt werden.

Doch trotz der ausgezeichneten Reputation, die Stocko genießt, ist Haas klar, dass es nicht so leicht ist, qualifizierte Bewerber aus dem kleiner werdenden Pool zu angeln: „Wir werben um die jungen Leute.“ Indem wieder Praktika, Schnuppertage und Kooperationen mit den Schulen aktiviert werden – all das hat in der Corona-Zeit brachgelegen –, soll das gelingen. Förderungen, ein attraktiver und sicherer Arbeitsplatz sowie eine gute Entlohnung sind Faktoren. Doch Dinge wie die Work-Life-Balance spielen bei den Generationen X, Y oder Z eine große Rolle. „Dafür müssen wir Verständnis haben und entsprechende Strukturen erstellen“, sagt Haas – ohne aus dem Blick zu verlieren, dass das Arbeitsleben nicht immer ein Wunschkonzert ist.

Die Investitionen

Gerade einmal vier Jahre steht die 2000 Quadratmeter große Montage-Erweiterung. Danach ist der 6000 Quadratmeter große Logistikbereich samt automatisierter Lagertechnik entstanden, der nun um eine dritte Straße erweitert wird.

Ein Blick in das automatisierte Lager von Stocko in Hellenthal.

Das automatisierte Lager, vor wenigen Jahren neu gebaut, wird nun um eine dritte Straße erweitert.

100 Millionen Euro plant die gesamte Gruppe in den kommenden fünf Jahren zu investieren. Wie viel davon auf den Standort Hellenthal entfallen, lässt Servi sich nicht entlocken. Nur, dass es sich um einen „sehr anständigen Betrag“ handele. Außerdem könne man ja ein bisschen selbst rechnen, wenn man rund 2000 Euro Baukosten je Quadratmeter veranschlage – plus die Kosten für Maschinen, Einrichtung und Co.

Aktuell wird in Hellenthal eine 1000 Quadratmeter große Halle gebaut. Als nächstes steht die Erweiterung der Produktionsflächen an,   3000 bis 5000 Quadratmeter sind dafür vorgesehen. Ein 11000 Quadratmeter großes Grundstück – der Bereich der einstigen Tennisplätze – hat die Firma   gerade gekauft, das langfristig bebaut werden soll. Um Flächen zu sparen, spielt auch ein Parkdeck in den Überlegungen eine Rolle.

Die Prognose

Ausblicke sind schwierig in diesen Zeiten – wer weiß, was noch passiert. „2023 wird kein Jahr mit Rekorden“, sagt Servi. Aber er blickt nicht mit Sorgenfalten in die Zukunft und ist überzeugt: „Wir werden wachsen.“


Das Unternehmen

1901 wurde in Wuppertal die Stock & Co. Knopffabrik gegründet. 1911 startete die Produktion in Hellenthal. Seit 1998 gehört das Unternehmen zur Wieland-Gruppe aus Bamberg. 45 verschiedene Kunststoffe werden für die Stocko-Produkte benötigt.

Die Kleinstteile, einige von ihnen sind nur 0,1 Gramm schwer, sind vor allem in Haushaltsgeräten und in Autos zu finden. Einige Maschinen, Werkzeuge und Laborverfahren für die weitgehend automatisierten Produktionsverfahren werden in Hellenthal von den Stocko-Mitarbeitern selbst entwickelt und gebaut. (rha)