Kreis Euskirchen – Ganz verhindern lassen wird sich eine Katastrophe wie die vom 14. Juli womöglich nicht. Jedoch werden nun Systeme entwickelt, möglichst viele Menschenleben zu schützen und die Schäden möglichst gering zu halten. Hochwasserschutz und Bevölkerungswarnung sind da die wohl wichtigsten Komponenten. Und die liegen zuweilen nah beieinander. Was am 14. Juli geschehen ist und welche Projekte in der Mache sind, skizzieren die Experten Richard Gronsfeld (Talsperren) und Dr. Gerd Demny (Gewässerunterhalt) des Wasserverbands Eifel Rur (WVER).
Die Talsperren
Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass das Wasser aus der Oleftalsperre die massiven Überschwemmungen im Schleidener Tal verursacht hat. Dass das Gegenteil der Fall ist, belegt Gronsfeld mit Zahlen: Am 14. Juli sind der Talsperre in der Spitze 35.000 Liter Wasser pro Sekunde zugeflossen – abgegeben wurden 500 Liter pro Sekunde. Als oberste Talsperre im System des WVER hat sie laut Gronsfeld ihre Funktion als erster Rückhalt erfüllt.
Erst unterhalb der Talsperre fließen etwa Platiß- und Reifferscheider Bach in die Olef, so dass die sich in der Flutnacht zu einem reißenden Strom hat entwickeln können. In Gemünd ist zuletzt die von Kall kommende Urft – ebenfalls mit einer Flutwelle – dazugekommen. All dies, plus das von den Hängen strömende Wasser und der Regen, ist schließlich in den Urftsee geschossen. Mehr als 530.000 Liter pro Sekunde sind am Urft-Pegel in Gemünd gemessen worden (bis auch der zerstört war), rund 600.000 Liter sind sekündlich in den See geflossen. Gronsfeld: „Das hatten wir so in der Eifel noch nicht.“
Der Rurtalsperre sind laut Gronsfeld 500.000 Liter in der Sekunde zugeflossen – rund 370.000 aus dem überlaufenden Urftsee über die dafür vorhandene Hochwasserentlastungsanlage und 130.000 aus der Rur. Mit einem kontrollierten Überlauf von rund 100.000 Litern je Sekunde wurde die Rurtalsperre ab dem Abend des 15. Juli entlastet – dadurch konnten große Schäden wie etwa an der Olef verhindert werden.
Die Schäden
Die Talsperren selbst haben keine Schäden davongetragen. Dafür seien sie schließlich ausgelegt, sagt Gronsfeld. Unmengen Treibgut, Müll und ein Van sind jedoch im Urftsee gelandet. „Mein Gott, wie sollen wir das jemals wegkriegen?“, habe er sich gefragt. Den See und das Ufer zu säubern, sei mithilfe von Feuerwehr, THW und Nationalpark gelungen. Anders sehe es auf dem Seegrund aus. Immer noch befinden sich Mülltonnen im See, die sich inzwischen in den Schlamm gegraben haben. Noch sei unklar, wie die geborgen werden – eventuell bei Niedrigwasser mit einem Moorbagger. Entschieden tritt Gronsfeld Gerüchten entgegen, dass Leichen und Giftfässer im See lägen: „Selbst bei Niedrigwasser wurde derartiges nicht gefunden.“
Massive Schäden verzeichnet der WVER an acht Kläranlagen, unter anderem in Schleiden, Gemünd, Urft/Nettersheim und Kall. Teilweise an den maschinellen Anlagen, vor allem aber an der Elektronik summieren sich die Schäden laut Demny auf etwa 30 Millionen Euro – an den Kläranlagen rund 27,5 Millionen, an Pumpstationen und ähnlichen Bauwerken rund zwei zwei Millionen. Alle sind wieder in Betrieb, jedoch nur provisorisch instandgesetzt. Höchste Priorität habe deren Sanierung. „In ein bis zwei Jahren müssen wir damit fertig sein“, so Demny.
Die Verantwortlichen des WVER gehen davon aus, dass die Beseitigung der Schäden – auch an den Uferbefestigungen – nicht durch Umlagen von den Bürgern bezahlt werden muss. Durch Versicherungen und den Wiederaufbaufonds des Landes werde dies gedeckt.
Der Hochwasserschutz
Ein komplexes Thema ist der Hochwasserschutz. Es sind zahlreiche Akteure zu beteiligen. Der Gewässerunterhalt an Urft und Olef sowie deren ganzen Nebenflüssen und -bächen etwa ist Sache der jeweiligen Kommunen. Und es müssen viele Rädchen ineinandergreifen: Fatal wäre, wenn eine Schutzmaßnahme für Ort A die Lage für Ort B verschärfen würde.
Die sechs Anrainerkommunen, der Kreis und der WVER gehen das Konzept gemeinsam an. In einem ersten Workshop Ende März/Anfang April werden zunächst alle ihre Ideen präsentieren, was technisch und wasserbaulich getan werden könnte. Rückhaltebecken werden genauso betrachtet wie Mauern, Deiche oder Renaturierungen. Jedoch gibt Demny zu bedenken, dass längst nicht überall alles möglich ist. Deiche etwa seien nur außerorts an einigen Bereichen der Urft denkbar. Den Gewässern mehr Platz zu verschaffen, sei in den Orten ebenfalls nicht realisierbar. Ein Ziel des Schutzkonzepts werde daher sein, die Fließgeschwindigkeit eines Hochwassers zu reduzieren. Betrachtet wird in dem Zusammenhang auch die Siedlungsentwicklung an den Gewässern.
Bis das gesamte Konzept steht, werden etwa zwei bis drei Jahre ins Land gehen. Dennoch können, so Demny, bereits vorher sogenannte No-Regret-Maßnahmen umgesetzt werden – Maßnahmen, die hinterher nicht zu bedauern sind. Das können beispielsweise Regenrückhaltebecken sein, die helfen, aber flussabwärts keine negativen Folgen auslösen können oder sich später im Gesamtkonzept als unsinnig herausstellen.
Beim technischen Hochwasserschutz, darauf legt Demny Wert, dürfe man nicht nur die Extreme einer Katastrophe im Blick haben. Wegen des Klimawandels müsse man vor allem normale bis außergewöhnliche Ereignisse betrachten: „Da können die Maßnahmen viel bewirken.“
Die Platiß-Talsperre
Da war doch mal was... Ja, Talsperren an Preth und Platiß sind vor Jahrzehnten bereits ins Auge gefasst worden. Auch wenn sie bislang nicht gebaut wurden, ist eine Talsperre am Zusammenfluss von Platißbach und Prether Bach auch im neuen Regionalplan vorgesehen. Für ein Hochwasserschutzkonzept ist von hoher Bedeutung, ob es mit oder ohne eine weitere Talsperre entworfen wird. Bislang, sagt Demny, sei man mit den bestehenden Talsperren gut hingekommen. Der 14. Juli habe da allerdings einen gewissen Handlungsdruck erzeugt.
Prether-/Platißbachtalsperre
Eine alte Idee
Ein altes Projekt ist seit der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 wieder in den Blickpunkt gerückt: die Prether-/Platißbachtalsperre. Zwar hat die Oleftalsperre während der Flut große Wassermengen zurückhalten können, doch Preth- und Platißbach sorgten wie auch weitere Seitenbäche dafür, dass sich enorme Wassermengen die Olef hinab wälzten. Kein Wunder, dass Schleidens Bürgermeister Ingo Pfennings im Rahmen der künftigen Hochwasserschutzmaßnahmen den Bau der Platißbachtalsperre wieder ins Gespräch brachte. Die beiden Talsperren sind seit Jahrzehnten immer wieder Thema gewesen, so etwa erneut Ende der 1990er Jahre, als es um den Bau der Olefpipeline zur Versorgung der Region Aachen mit Trinkwasser aus der Eifel ging. (ch)
Trinkwasser und Tourismus
Beide Talsperren sind 1985 in den Gebietsentwicklungsplan des Landes aufgenommen worden. Das hatte heftigen Widerstand in der Gemeinde Hellenthal und in der Region hervorgerufen. Für beide Seen war eine jeweilige Mauerhöhe von 50 Metern angedacht. Während der Platiß-See für den Hochwasserschutz und als Trinkwasserreservoir dienen sollte, hatte man bei der Prethbachtalsperre, die sich bis unterhalb des Hollerather Skigebietes erstrecken sollte, vor allem eine touristische Nutzung im Blick. (ch)
Der Widerstand
Nicht nur die Bewohner von Unter- und Oberpreth kritisierten wegen der dann nötigen Umsiedlung die Überlegungen. Auch aus der Landwirtschaft und bei Naturschützern gab es erheblichen Widerstand. (ch)
Der Landesentwicklungsplan
Im Landesentwicklungsplan NRW sind die Prether-/Platißtalsperren nach wie vor als geplante Talsperren aufgeführt, um die Flächen für den Schutz des Wassers zu sichern und so zu verhindern, dass die Realisierung der Talsperren, die – wenn überhaupt – erst nach 2025 erfolgen könnte, durch andere Nutzungen unmöglich gemacht würde. 2015 führte die Bezirksregierung Köln in ihren Regionalen Perspektiven für die Planungsregion Köln die Prether-/Platißbachtalsperre für potenziell langfristige Talsperrenplanungen auf. (ch)
Alleine am Platißbach sieht Demny Potenzial für ein Stauvolumen von 4,8 Millionen Kubikmetern. Und die Idee will man beim WVER nun weiterverfolgen. Ob tatsächlich eine Talsperre gebaut wird, steht jedoch noch in den Sternen. Los geht’s mit einer Machbarkeitsstudie, mit der in Kürze begonnen wird. Darin ist etwa zu klären, wo der Damm aufgeschüttet werden könnte und wie hoch er werden müsste. Konflikte mit Natur und Landnutzung werden betrachtet und Auswirkungen auf die Umgebung, etwa auf Hellenthal. Eine ganz wesentliche Frage wird die nach den Kosten sein – und ob die im Verhältnis zum Nutzen stehen. Ein bis zwei Jahre wird es laut Demny alleine dauern, bis die Studie fertig ist.
Die Warnsysteme
„Bei einem Extremsthochwasser wie im Juli ist der technische Hochwasserschutz zu Ende“, sagt Demny klipp und klar. Bauliche Maßnahmen können dann nur helfen, Verzögerungen herbeizuführen. Auch bezweifelt er, dass für die kleinen Bäche jemals eine präzise Vorhersage für mehrere Tage möglich sein wird. Aufgebaut wird derzeit ein No-Casting-System für Jetzt-Prognosen (im Vergleich zu Forecasting = Vorhersagen), das Einsatzkräften Zeit verschaffen soll, etwa Evakuierungen durchzuführen. Ein bis zwei Stunden können da Gold wert sein.
Dieses Monitoring wird laut Demny aus drei Hauptquellen gespeist. Erstens ist es der Niederschlag: Die aktuell fallende Menge und die kurzfristigen Prognosen des Wetterdienstes werden eingerechnet. Zweitens werden Bodenfeuchtedaten benötigt, um kalkulieren zu können, wie viel Wasser der Boden aufnehmen kann – ein solches Projekt hat das Forschungszentrum in Jülich in Arbeit. Drittens sind die Wasserstandsdaten erforderlich, und zwar deutlich mehr als von den derzeit drei Pegeln an Urft und Olef.
Laut Demny werden die Forscher auch Künstliche Intelligenz einsetzen, um aus all den Werten die Warnmodelle zusammenzustellen. Viel Rechnerleistung, die jederzeit zur Verfügung steht, ist ebenfalls unabdingbar. Warn- und Handlungswege werden festzulegen und zu trainieren sein: Bei den Gewässerexperten müssen die Abläufe genauso sitzen wie bei Krisenstäben, Einsatzkräften – und bei der Bevölkerung. Wichtig wird dann auch sein, dass es nicht zu oft Fehlalarme gibt, damit kein Abstumpfungseffekt eintritt.
Ein derart komplexes System ist nicht von heute auf morgen zu installieren. In zwei bis drei Jahren soll das Pilotprojekt an Inde und Vicht an den Start gehen können. Danach rechnet Demny mit einem weiteren Jahr der Erprobung und Optimierung, bevor es flächendeckend – und damit auch an Urft und Olef – eingesetzt werden kann.