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Anzeige erstattetADHS-Kranker aus Kall wirft Kreis Euskirchen Diskriminierung vor

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Möchte seinen Führerschein behalten und weiter mit seiner Royal Enfield auf Tour gehen: Ralf Meier aus Kall.

Kall-Dottel – Ralf Meier fühlt sich genötigt und diskriminiert. Der Vater zweier Töchter aus Dottel hat eine Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung, kurz ADHS genannt. 2019 hatte der 56-Jährige im benachbarten Rheinland-Pfalz einen Verkehrsunfall. Das Verfahren gegen ihn wurde aber im Januar 2021 eingestellt.

Trotzdem erhielt er nun, mehr als ein Jahr danach, eine Aufforderung vom Kreis Euskirchen, er solle eine psychiatrische verkehrsmedizinische Begutachtung vorlegen und so nachweisen, dass er fahrtauglich sei. Dem will Meier aber nicht nachkommen und hat gegen die Kreisverwaltung Anzeige wegen Diskriminierung und Nötigung erstattet.

Kreis Euskirchen hat Zweifel an Fahreignung des Kallers

Der Dotteler war im August 2019 nach einem Verkehrsunfall vom Amtsgericht in Daun in erster Instanz zu einer Strafe von 1600 Euro und drei Monaten Fahrverbot verurteilt worden. Weil er sich in dem Verfahren aber nicht fair behandelt fühlte, ging er in Berufung. Das Trierer Landgericht stellte das Verfahren dann Anfang Januar 2021 gegen Zahlung von 1200 Euro ein.

ADHS

Eine Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung bezeichnet eine Verhaltensstörung von Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen, die durch Auffälligkeiten in folgenden drei Kernbereichen gekennzeichnet ist: starke Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, starke Impulsivität und ausgeprägte körperliche Unruhe (Hyperaktivität). Bei Jungen tritt ADHS wesentlich häufiger auf als bei Mädchen.

„Weil die Polizei bei dem Unfall eine Anzeige gegen Herrn Meier erstattet hatte, wurde der Kreis Euskirchen als Fahrerlaubnisbehörde über das Verfahren informiert“, erklärt ein Sprecher der Kreisverwaltung. Die zuständigen Mitarbeiter im Kreishaus hätten berechtigte Zweifel daran, dass Meier ein Fahrzeug führen könne. „Aufgrund der uns vorliegenden Unterlagen ist eine Überprüfung der Eignung notwendig“, teilt der Sprecher weiter mit. Ansonsten wolle man sich mit dem Verweis auf ein laufendes Verfahren nicht äußern.

So begründet der Kreis Euskirchen seine Entscheidung

Die Kreisverwaltung hatte den Dotteler Mitte April in einer Anordnung aufgefordert, sich einer psychiatrischen verkehrsmedizinischen Begutachtung zu unterziehen. Aufgrund von Aussagen eines Zeugen und des Notarztes sowie eines Attests, das Meier selbst dem Landgericht vorgelegt habe, gebe es Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. So habe der 56-Jährige nach dem Unfall unter anderem erklärt, er leide an psychischen Vorerkrankungen mit starken Angstzuständen und nehme ein Neuroleptikum ein.

Seine damaligen Aussagen vor Ort begründet der Dotteler so: „Nach dem Unfall stand ich unter Schock, und der Notarzt hatte mir Dormicum gegeben. Deshalb hatte ich keine Kontrolle darüber, was ich gesagt habe.“ Er nehme aber keine Neuroleptika, sondern nur Medikamente, die die Fahrtauglichkeit nicht beeinflussten.

Auf die Einstellung des Verfahrens gegen Auflage habe er sich seinerzeit nur eingelassen, weil ihm aus gesundheitlichen Gründen eine Fortführung des Prozesses nicht möglich gewesen sei. „Das ärztliche Attest war nur für die Gerichtsverhandlung gedacht. Eine Weitergabe habe ich ausdrücklich untersagt“, erklärt Meier dazu.

„Ich halte die Aufforderung des Kreises für eine extreme Diskriminierung“

Doch auf das Attest bezieht sich jetzt auch die Kreisverwaltung. „Die Defizite einer ADHS bestehen grundsätzlich in Stimmungsschwankungen, erhöhter Kränk- und Reizbarkeit, Unruhe und Anspannung sowie Impulsivität und Ungeduld. Die Konzentration und Merkfähigkeit sind eingeschränkt, außerdem fallen planvolles und strukturiertes Handeln schwer“, zitiert der Kreis aus dem Dokument. Diese Ausführungen würden sich zum Teil auch in den Schilderungen zum Unfallhergang widerspiegeln. „Das sind aber nur allgemeine Beschreibungen der ADHS-Symptome. Die Ausprägungen sind aber sehr unterschiedlich“, sagt Meier.

„Ich halte die Aufforderung des Kreises, das Gutachten beizubringen, für eine extreme Diskriminierung und für eine Nötigung“, betont der 56-Jährige. Menschen mit ADHS seien seines Wissens nach überdurchschnittlich oft im Rettungsdienst und bei Feuerwehren tätig: „Wenn man denen alle den Führerschein abnehmen will, dann hat die Gesellschaft ein schweres Problem.“ Meier war nach eigenen Angaben früher Schichtleiter in einer Raffinerie und hat dort später im IT-Bereich gearbeitet. Vor drei Jahren sei er ausgeschieden.

Verfahren eingestellt

In seinem Schreiben verweist der Kreis ferner darauf, dass Meier rechtskräftig verurteilt worden sei. Das wiederum weist Rechtsanwältin Steffi Hübner aus Kall, die Meier in dem Verfahren vertreten hatte, zurück: „Es gibt keine Verurteilung. Das Strafverfahren wurde wegen Geringfügigkeit gegen eine Zahlung von 1200 Euro eingestellt.“ Menschen mit ADHS hätten ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Deshalb sei Meier umso mehr verärgert, wenn in dem Schreiben von einer Verurteilung die Rede sei.

„Nach meinem Kenntnisstand ist Meier im Straßenverkehr bislang nicht auffällig geworden. Deshalb müsste ein Führerscheinentzug schon gut begründet werden“, so Hübner. Wenn man alle Punkte in dem Fall berücksichtige, könne man auf die geforderte Untersuchung verzichten.

„Es geht um Barrierefreiheit"

Hübner sieht darüber hinaus ein grundsätzliches Problem: „Auf Menschen mit psychologischen Erkrankungen sind Behörden meist nicht gut eingestellt. Sie werden nach meinen bisherigen Erfahrungen schnell abgestempelt.“ Dabei gehe es auch in solchen Fällen um Barrierefreiheit: „Verwaltungsmitarbeiter müssen für diese Fälle mehr sensibilisiert und geschult werden, denn die Zahl der Menschen mit psychischen Erkrankungen steigt.“ Es gehe nicht nur um einen Bescheid, sondern auch um den Menschen dahinter.

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Meier ist nach eigenen Angaben mehrfach beim Kreis vorstellig geworden und hat ein Gespräch angeboten. Das sei aber abgelehnt worden. Die Behindertenbeauftragte des Kreises, Monika Etzkorn, hatte vergeblich versucht zu vermitteln. „Solche Gespräche sind im Einzelfall anstrengend, aber notwendig, denn Behörden sind ja auch Dienstleister“, sagt Hübner.

Meier betont, dass er seit seinem 18. Lebensjahr den Führerschein habe und ein defensiver Fahrer sei. „Ich habe auch keinen Punkt in Flensburg.“ Dabei ist er nicht nur mit seinem Wagen unterwegs, sondern macht auch gerne Touren mit seinem Motorrad, einer Royal Enfield. Meier sagt, er wisse übrigens selbst erst seit einigen Jahren, dass er ADHS habe.