Kompositions-ExperimenteWie in Scheven ein Pingpong-Spiel zu elektronischer Musik wird

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Eine Gruppe Menschen steht um einen Tisch, auf dem elektronische Geräte aufgebaut sind. Ein Mann bedient einen Regler.

Wie aus Tönen zeitgenössische elektronische Musik entsteht, fanden die Besucher im Schevener Bahnhof heraus. Sorgfältig wurden sie von den Musikern Florian Zwissler (l.) und Markus Aust (am Regler) in die Technik eingewiesen.

Pingpong, Wind und Züge: Rochus Aust verschaffte den Besuchern im Schevener Bahnhof einen innovativen Zugang zu elektronischer Musik.

Leuchtende Augen, lachende Gesichter – wenn die Besucher eines Konzerts auf einmal zu Komponisten werden und das Heft des Musikmachens in die Hand nehmen, dann ist eigentlich alles möglich, vor allem aber viel Spaß.

Mehr als 40 Besucher ließen sich im Bahnhof Scheven auf das Experiment ein: Nach professioneller Einweisung von Rochus Aust und den Musikern seines Ersten Deutschen Stromorchesters in die Handhabung der verschiedenen Musikmaschinen kreierten sie elektronische Musik. Und für die dabei entstandenen Kompositionen wurden sie bezahlt: 50 Euro gab es in bar für die Übertragung der Rechte an Aust und seine Kollegen.

Die Besucher in Scheven komponieren an der Tischtennisplatte

Drei Klanginstallationen hatte Aust in die Räume des ehemaligen Bahnhofs gebaut. So stand in der früheren Güterhalle eine Tischtennisplatte bereit, die es im wahrsten Sinne des Wortes in sich hatte. Bei Berührung mit einem Pingpongball lieferte sie Impulse, die vom Computer in Klänge übertragen wurden. So produzierte jeder, der an dieser Platte Tischtennis spielte, Musik. Doch statt das dem Zufall zu überlassen, entdeckten viele, dass sie den Schaffensprozess durch bewusstes Spielen lenken und den Klängen eine Richtung geben konnten.

Ein Mann und eine Frau spielen Tischtennis, ein weiterer Mann schaut zu.

Pingpong-Musik: Die Spieler fanden schnell heraus, wie sie gezielt die von der Platte abgenommenen Töne beeinflussen können.

„Beim zweiten Match war es viel besser, da hatten wir das System verstanden“, sagte Agnes, die mit Tochter Gina und der kleinen Enkelin Lilly im Bahnhof war.

Begeistert betätigte sich auch die zweieinhalbjährige Lilly bei der Aufgabe, der Klanginstallation von Aust und dem Kölner Künstler Michael Wittassek Töne zu entlocken. Hier warteten ganz andere Herausforderungen auf die Jungkomponisten. Wittassek hatte ein zehn Meter langes Fotopapier mit Entwickler und Fixierer gestaltet. Danach war es mit Mikrofonen versehen worden, die auf ein Mischpult liefen.

Das muss man erstmal mit Kunst schaffen, dass die Teenies eine Dreiviertelstunde nicht auf ihre Handys gucken.
Verena Barié, Künstlerin

Hier kamen auch die Klänge von Tonabnehmern an, die die Geräusche von zwei Ventilatoren aufzeichneten. Der Luftstrom der Propeller bewegte das Fotopapier, was Töne erzeugte. Völlig fasziniert davon war Daniela Kurth, die mit ihrem Mann Martin gekommen war. „Ich hatte einen Lauf, das war total fesselnd“, sagte sie. Das Papier in Schwingungen zu bringen und damit Töne zu erzeugen, da sei sie nicht mehr zu bremsen gewesen. Es sei das erste Mal, dass die in Kontakt mit zeitgenössischer elektronischer Musik gekommen sei.

Die Geräusche der Züge werden im Bahnhof zu dynamischer Musik

Auch beim „Zug“ betätigten sie sich. Hier wurden die Signale von Mikrofonen, die die Geräusche der am Bahnsteig haltenden Züge aufzeichneten, über Effektgerät und Vocoder immer weiter verarbeitet und entfremdet, so dass die Musik ihre eigene Dynamik entwickelte.

Der Künstler Rochus Aust hält eine Kaffeetasse in der Hand. Hinter ihm sind weitere Tassen und eine Platte mit Kuchen in einem Schrank zu sehen.

Die Kompositions-Aktion in Scheven initiierte Rochus Aust.

„Das ist eine andere Welt, mit der ich noch nie in Kontakt gekommen war“, sagte Diana Ackermann, die normalerweise Flügelhorn spielt. Richtig nervös sei sie gewesen, bevor sie begonnen hatte, mit der Klangmaschine zu arbeiten. „Das war toll“, war ihr Fazit danach.

Viele Jugendliche nutzten die Gelegenheit, dem tristen Feiertagsnachmittag zu entkommen und etwas Neues zu probieren. „Als ich hörte, wir sollten Musik machen, dachte ich zuerst an ein DJ-Pult“, sagte Ela. „Ich fände das cool, wenn man das mit anderer Musik mixen würde, so dass die unbekannten Klänge mit bekannter zusammenkommt“, hatte Marlene aus Scheven schon einen Plan, wie ihre Musik weiterverarbeitet werden könnte.

„Das Experiment hat super funktioniert“, sagte Initiator Rochus Aust. Selbst wenn das angebotene Geld die Motivation für den Besuch gewesen sei, seien die Menschen alle viel länger geblieben, als sie eigentlich gewollt hätten: „Es haben viele einen Qualitätsbegriff entwickelt, weil sie ihre Stücke noch einmal neu aufnehmen wollten.“ So hätten sie auch einen Bezug zu ihrem Werk und ihrer Komposition entwickelt. „Jeder hier im Dorf ist ein Musiker, sie müssen nur kommen“, bot er an.

„Gerade das Tischtennisspiel macht Spaß, weil da auch die physische Komponente dabei ist“, sagte Verena Barié, die diese Installation betreute. Nachdem die Menschen verstanden hätten, wie es funktioniert, hätte es ihren Geist geöffnet, die Musik durch das Spiel zu gestalten. „Das muss man erstmal mit Kunst schaffen, dass die Teenies eine Dreiviertelstunde nicht auf ihre Handys gucken. Und ich auch nicht: Yeah!“, rief sie.


Klangkolchose am 29. Oktober

Das nächste Event im Bahnhof Scheven findet bereits am Sonntag, 29. Oktober, 17 Uhr, statt. Dann gastiert dort die Klangkolchose NRW, ein Kollektiv von fünf Kunsträumen in Scheven, Essen, Hilden, Iserlohn und Köln. Rochus Aust und Verena Barié zeigen an dem Abend klangbasierte Kunst, die in den letzten fünf Jahren im LTK4, einem Kunstraum in der Lutherkirche in Köln ausgestellt worden ist. Der Eintritt zu der Veranstaltung ist frei. (sev)

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