Nach der FlutKinder im Kreis Euskirchen leiden unter den Erlebnissen
Kreis Euskirchen/Kall – Acht Monate sind seit der verheerenden Flutkatastrophe vergangen. Eine recht lange Zeit, könnte man meinen. Jedoch kämpfen noch immer unzählige Menschen um ihre Existenz, um den Erhalt ihrer Häuser, um Versicherungsleistungen und staatliche Hilfe. Und sie kämpfen um die Rückkehr zu einem „normalen“ Leben, in dem das Geräusch von starkem Regen oder der Geruch von Schlamm und nasser Erde nicht sofort wieder die Bilder der Katastrophe heraufbeschwören.
Auf besondere Art davon betroffen sind Kinder und Jugendliche, wie auch Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut Michael Czurda weiß. In seine Praxis in Kall kommen noch immer junge Patientinnen und Patienten, die mit den seelischen Folgen der Flut zu kämpfen haben. „Mittlerweile ist bei mir aber kein einziges Kind mehr in Behandlung, bei dem ich ernsthafte Sorge habe, dass der Bewältigungsprozess nicht gelingt“, sagt er.
Auch bei Emil sieht er gute Chancen, dass er das furchtbare Geschehen, das ihm und seiner Familie widerfahren ist, langfristig überwinden wird. „Emil kam mit seiner Mutter in meine Praxis“, so der ausgebildete Trauma-Therapeut. Fünf Tage zuvor hatte der Junge seinen Vater und die Mutter ihren Ehemann verloren. Er hatte während der Flut mehrere Menschen außer Lebensgefahr gebracht und war schließlich bei einem dieser Rettungseinsätze tödlich verunglückt. „Mein Papa war ein Held“, habe der Junge mit großer Sicherheit erzählt, sagt Czurda. „Natürlich ist der Stolz auf den Vater nur ein Ausschnitt aus Emils Erleben“, weiß der Therapeut. Dennoch sei der Junge bis heute erstaunlich stabil. Dazu habe die Familie des Kindes viel beigetragen: „Die Verarbeitung der schmerzhaften, traurigen, verzweifelten und wütenden Gefühle des Erlebens und vor allem auch des Verlusts brauchen ihre Zeit und ihren Raum. Emils Familie gelingt es bis heute sehr gut, dies gemeinsam zu bewältigen.“ Der Junge komme zudem sehr gerne in die Therapie, „die Mutter meint, sie muss sich dadurch viel weniger Sorgen machen“.
Dabei sieht sich Czurda nur als einen kleinen Teil der Gemeinschaft, die Emil umgibt. „Eine starke Gemeinschaft besteht aus der Familie, Freunden, Nachbarn, Lehrern, Erziehern und vielen weiteren Menschen. Das ist Zusammenhalt, der unendlich wertvoll ist, für alle die daran beteiligt sind, und die eine enorme Kraft entwickeln kann.“
Besonders vulnerable Gruppen
Bei Katastrophen zählen Kinder und Jugendliche zu den besonders vulnerablen Gruppen, die häufiger als Erwachsene unter negativen psychischen Folgen zu leiden haben. Dies ist insofern problematisch, als das Kinder und Jugendliche gleichzeitig eine untererforschte Gruppe sind und Gefahr laufen, deshalb auch unterversorgt zu bleiben. „Die psychotherapeutische Versorgung im Kreis Euskirchen ist dauerhaft angespannt“, meint Michael Czurda. Wartezeiten müssen in Kauf genommen werden.Der Wegweiser „seelische Gesundheit im Kreis Euskirchen“, den man sich über die Seite des Kreises downloaden kann, gibt einen guten Überblick über die Hilfsmöglichkeiten vor Ort. Wichtige Information erhält man auch auf der Seite des Netzwerkes Soforthilfe Psyche, das unmittelbar nach der Flutkatastrophe im Sommer 2021 gegründet wurde.www.kreis-euskirchen.dewww.sofortaktiv.de
Die Erfahrungen, die Czurda mit betroffenen Familien gemacht habe, bestätigen immer wieder, was er in den Ausbildungen zum Trauma-Therapeuten vermittelt bekommen hat und was man aus der Forschung weiß: „Es geht zuerst einmal um die Herstellung von Sicherheit für die Menschen, natürlich durch Zuwendung, am besten durch vertraute, stabile Menschen. Das Gefühl von Zusammenhalt stabilisiert enorm. Die anfangs schier unerträgliche Belastung lässt langsam nach. Die kollektiven Ressourcen der Menschen wirken, die persönlichen Ressourcen können besser genutzt werden.“ Auf dieser Grundlage kann die Verarbeitung der seelischen Verletzung gelingen. „Die stabile Wiederherstellung des Sicherheitsgefühls und die Integration der Erfahrungen brauchen ihre Zeit.“
Michael Czurda rät auch acht Monate nach der Flutkatastrophe zu Wachsamkeit – bei den Kindern wie bei sich selber. Es gelte, die Anzeichen einer „erschwerten Beruhigung und Integration“ zu erkennen. Czurda: „Manchmal wollen Kinder ihre Familie nicht belasten. Wenn man dann jedoch vorsichtig nachfragt, erzählen sie von ihrem schwierigen Erleben.“
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Das sind meist Phänomene, wie sie in den ersten drei Monaten nach der Katastrophe sehr viele Menschen erlebt haben: Angst vor Regen, wiederkommende Bilder, Geräusche, Düfte, Körperwahrnehmungen, Schlaflosigkeit, Unruhe, Alpträume, Unsicherheit, Nervosität, Ängste.“ Fast immer würden diese Phänomene mit der Zeit schwächer werden und dann ganz aufhören. „Wenn jedoch noch immer derartige Symptome auftreten, sollte man nicht zögern und professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.“ Als erstes müsse dann abgeklärt werden, ob womöglich eine Posttraumatische Belastungsstörung besteht. Die entsprechende Diagnostik können alle Psychotherapeuten oder auch Kinder- und Jugendlichen-Psychiater durchführen. Auch das Sozial Pädiatrische Zentrum (SPZ) in Mechernich ist eine gute Anlaufstelle.
Falls der Bedarf einer Traumabehandlung besteht, müssen entsprechend geschulte Therapeutinnen oder Therapeuten aufgesucht werden. Unbehandelt können die Symptome dauerhaft bleiben, auch das Gefühl der Hilflosigkeit und der mangelnden Selbstwirksamkeit. Czurda weiß: „Als Betroffener braucht man Zähigkeit, aber es lohnt sich, den Weg zu einem Therapeuten zu gehen.“