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Wiederaufbau in KallAbschied von Liebgewonnenem – Betriebe schließen

Lesezeit 5 Minuten

Das Eiscafe Cortina (l.) wird nicht mehr eröffnet. Künftig wird es nur noch Eis auf der Terrasse oder zum Mitnehmen geben. Im Schuhhaus Esser werden in Zukunft ausschließlich orthopädische Schuhe verkauft.

Kall – Gut drei Monate nach der Flut zeichnet sich ab, dass sich der Ortskern von Kall nach der Katastrophe verändern wird. Von einigen lieb gewonnenen Geschäften und Dienstleistungen müssen sich die Kaller ganz verabschieden, andere Angebote gibt es nur noch eingeschränkt.

Klar ist auch, dass der Wiederaufbau noch einige Zeit dauern wird.

1600 Paar Schuhe sind in der Flut verschwunden

Rolf Esser will sein alteingesessenes Schuhgeschäft an der Aachener Straße nicht mehr wie bisher fortführen. Künftig will der Orthopädieschuhmachermeister nur noch orthopädische Schuhe anbieten. „Uns sind gut 1600 Paar Schuhe weggeschwommen. Ich müsste jetzt rund 100.000 Euro in neue Ware investieren“, sagt Esser. Das sei ihm in seinem Alter – Esser ist 63 – zu viel. Die neuen Schaufenster sollen kurz vor Weihnachten kommen. Die Werkstatt ist bereits wiedergeöffnet.

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Auch Danilo De Cesero will sein 1970 eröffnetes Eiscafé Cortina nicht weiterführen und seinen Gästen künftig seine Kaffee- und Eisspezialitäten nur noch auf einer Außenterrasse mit Selbstbedienung oder zum Mitnehmen anbieten: „Eine Eisbude mit Terrasse. Das Prinzip hat während der Corona-Zeit schon gut funktioniert.“ Für das Ladenlokal gebe es viele Interessenten. Er sähe es gern, wenn dort eine Boutique oder ein Geschenkartikelladen einziehen würden.

Bankfilialen schließen, ziehen um oder werden aufgebaut

Die Postbank wird ihre Filiale in der Bahnhofstraße nicht mehr eröffnen. Die Schließung wäre laut Unternehmen aber auch ohne die Flut in einiger Zeit vollzogen worden. Die Filiale sei nicht mehr wirtschaftlich, weil immer mehr Menschen Bargeld in den Supermärkten abheben würden. Die Deutsche Post ist zurzeit in einem Container auf dem Gelände in der Bahnhofstraße untergebracht. Das ist nur eine vorübergehende Lösung. Das Unternehmen ist auf der Suche nach einem Kooperationspartner, der die Postdienstleistungen im Ortskern mitanbietet.

Bis zum Herbst 2022 wird es wohl noch dauern, bis die Geschäftsstelle der Kreissparkasse in der Bahnhofstraße wieder öffnet.

Die VR-Bank Nordeifel hat angekündigt, ihre Geschäftsstelle in der Aachener Straße aufzugeben und in das Gewerbegebiet umzuziehen. Anders sieht es bei der Filiale der Kreissparkasse aus. Dort ist der Rückbau abgeschlossen. „Das Gebäude wurde komplett entkernt und die Tresore und Automaten abgebaut“, berichtet Geschäftsstellenleiter Andreas Gier. Derzeit liefen noch die Trocknungsgeräte, danach beginne der Wiederaufbau. Wenn alles gut läuft, soll die Geschäftsstelle im Herbst 2022 fertiggestellt sein.

Räume bei Möbel Brucker angemietet

Die bislang in den Filialen in Mechernich, Blankenheim, Kommern und Zülpich untergebrachten Mitarbeitenden und Auszubildenden sollen dann wieder nach Kall umziehen. Bis dahin wird es laut Gier eine Zwischenlösung im Gewerbegebiet geben. Dort haben Kreissparkasse und VR-Bank Nordeifel Räume in einem alten Verwaltungstrakt von Möbel Brucker angemietet. Die Eröffnung dort ist noch vor Weihnachten geplant.

Manfred und Silke Knie werden ihr Modehaus in der Hindenburgstraße nicht weiterbetreiben. „Das Geschäft war für mich 35 Jahre lang mein Leben. Es hat eine mehr als 130-jährige Tradition“, sagt der Inhaber. Keinen Samstag habe er freigehabt. „Jetzt wollen wir kürzer treten.“ Für das Ladenlokal gebe es drei Interessenten, von denen einer aus der Modebranche komme. „Das Unternehmen betreibt mehrere Modehäuser im Rheinland. Wer den Zuschlag bekommt, steht noch nicht fest“, so Knie.

Döner- und Pizzahaus wird vergrößert

Insgesamt sind acht Immobilien von Knie vom Hochwasser betroffen. „Wir wollen alle Gebäude so schnell wie möglich wieder herrichten. Das kostet viel Kraft.“ Das gleich nebenan liegende Döner- und Pizzahaus wird sogar um rund 70 Quadratmeter vergrößert. „Dort wird ein Restaurantbereich eingerichtet“, sagt Knie, dem das Gebäude gehört.

Die 70 Quadratmeter zusätzliche Fläche werden von seinem Geschäft abgetrennt. Der soziale Dienst Care will nach Aussage von Knie bis Jahresende ebenfalls wieder zurück in seine Büros in der Hindenburgstraße ziehen.

„Die Sanierung wird noch ein wenig Zeit in Anspruch nehmen.“

Im benachbarten Rewe-Markt laufen die Arbeiten. „Die Sanierung wird noch ein wenig Zeit in Anspruch nehmen. Erst wenn diese abgeschlossen ist, können wir den Zeitpunkt der Wiedereröffnung einschätzen“, erklärt Christiane Preisen, Pressesprecherin für die Region West. Man arbeite mit Hochdruck an einer zügigen Realisierung. „Für die Vorweihnachtszeit haben wir bereits eine Möglichkeit gefunden, Getränke, Obst und Gemüse sowie eine Auswahl aus dem Trockensortiment wie Konserven, Mehl, Zucker und Kaffee anzubieten. Diese Lösung ist aber nur provisorisch und soll vor allem in der stressigen Zeit einen bequemen Einkauf mit kurzen Wegen bieten“, teilt Preisen mit. Das Team und Geschäftsführerin Anna Pauly würden sich auf den Neustart freuen. Viele andere Shops im Rewe wie die Bäckerei, der Lotto-Laden und der Imbiss haben schon seit einiger Zeit wieder geöffnet. Der Optiker ist in einen Container umgezogen.

Im Reisecenter von Vossen-Touristik stehen neue Außenwände. „Die neuen Schaufenster und die Inneneinrichtung sind bereits bestellt“, sagt Büroleiter Michael Mörsch. Außerdem fehlten noch der Estrich und der Innenputz sowie die Fußbodenheizung. Im Dezember oder Anfang Januar soll das neue Büro bezugsfertig sein. „Das bewährte Team wird dann aber in einem neuen Umfeld arbeiten. Künftig sind wir ein First Reisebüro und haben ein grünes Design“, erklärt Mörsch. First biete ein ähnliches Franchisesystem wie der bisherige Partner TUI an. Aktuell erreicht man die Mitarbeiter per Mail, telefonisch oder persönlich in Mechernich.

Wiederaufbau läuft auf Hochtouren

Gerade eingezogen und dann abgesoffen: Daniel Großer hatte sein Versicherungsbüro in der Bahnhofstraße erst Anfang März eröffnet. „Jetzt musste wieder alles raus, und alles geht wieder von vorne los“, sagt Großer. Rund zwei Meter hoch hatte das Wasser in dem Gebäude gestanden. „Bis zum Frühjahr werde ich wohl noch von zu Hause aus arbeiten müssen“, so Großer.

Jürgen Lutsch forciert weiter den Wiederaufbau seiner Apotheke und hofft, dass er im März wieder in den Normalbetrieb gehen kann. Gleichzeitig ist der Apotheker aber auch auf der Suche nach einem Alternativstandort: „Es gibt entsprechende Gespräche.“ Man habe bislang noch keine Lösung gefunden, wie man den aktuellen Standort vor künftigen Fluten sichern könne.

In der Buchhandlung von Kirsten und Thomas Pavlik sollen vielleicht schon Ende November wieder Kunden Bücher kaufen können. Die Metzgerei Engel und die Caritas teilen auf Plakaten mit, das sie in den Ortskern zurückkommen wollen. Ernst Engel verkauft seine Waren zurzeit in der Filiale am Siemensring. Auf den sonst angebotenen Mittagstisch müssen die Kunden aber verzichten.