Pilz-SaisonDas sollten Sammler im Kreis Euskirchen bedenken
Kreis Euskirchen/Hümmel – Wenn man an Pilze denkt, dann meist an kulinarische Genüsse auf dem Teller oder aber an jene, die unangenehm zwischen den Zehen jucken. Aber wer bitte denkt daran, dass es ein gigantisches Reich an Pilzen gibt, das mehr Arten als das der Tiere umfasst? Christina Wojtowicz hat uns mit in den Wald genommen.
Oder daran, dass nicht etwa der Mammutbaum oder der Blauwal das größte Lebewesen auf dem Planeten ist, sondern ein Pilz, der in den Wäldern Oregons lebt. Und dass Pilze zusammen mit den Bakterien die größte Müllabfuhr auf Erden sind, die jährlich 200 Milliarden Tonnen Biomasse zersetzt, dürfte auch nur wenigen in den Sinn kommen.
„Das Interesse der Bevölkerung ist durchaus groß in Bezug auf das Ökosystem Wald. Das dazu aber elementar die Pilze gehören, registrieren die Wenigsten, vor allem, weil diese überwiegend im Verborgenen leben“, meint Christina Wojtowicz.
Die 48-Jährige, die eigentlich Bankkauffrau ist, entdeckte bereits als Kind ihre Faszination für die geheimnisvollen Lebewesen. Im Frühjahr schloss sie die Weiterbildung zum Pilz-Coach bei der Deutschen Gesellschaft für Mykologie ab. Nun schult sie vorwiegend bei Kindern und Jugendlichen Wahrnehmung und Achtung gegenüber dem Lebewesen Pilz.
Allerkönner Pilz
Weltweite Forschungen
Biotechnologen forschen weltweit an Pilzen und den vielen Möglichkeiten, die sie bieten. Manch einer spricht von einer zu erwartenden „bioindustriellen Revolution“ durch Pilze. Diese gelten mit ihrem gigantischen unterirdischen Geflecht, dem Myzel, als die effektivsten Abfallbeseitiger des Planeten. Sie können Schadstoffe bis hin zu Strahlung abbauen, zersetzen Chemikalien wie etwa hochgiftige Gerbstoffe in der Lederindustrie, und gelten als potenzielle Rohstofflieferanten für Textilien, Baustoffe, Möbel, Isoliermaterial, Textilien oder Futtermittel.
Alternative zum Hühnchenfleisch
Nicht zuletzt wird daran geforscht, die Myzele zu einem schmackhaften Fleischersatz zu veredeln. Angeblich liefert dies ein ähnliches Kaugefühl wie Hühnerfleisch. Zudem enthält das Ersatzfleisch viele Proteine, Aminosäuren und Ballaststoffe. Bereits zum Einsatz kommen Pilze bei der Herstellung von Waschmitteln, Papier, Medikamenten oder Biotreibstoffen. Das gesamte Potenzial der Gattung Pilz ist jedoch viel größer und wird weiter erforscht. (hn)
Gerne nutzt sie für Führungen durch den naturbelassenen Hümmeler Forst. Totholz, an dessen Zersetzung zahlreiche Pilze beteiligt sind, wird aus bewirtschafteten Wäldern oft herausgeholt. Dort nicht, entsprechend eindrucksvoll ist die Vielfalt der Pilze, die man dort findet.
„Bei vielen Menschen gibt es eine Furcht davor, Pilze anzufassen“, weiß Wojtowicz: „Dabei haben sie kein Kontaktgift. Man kann Pilze anfassen, befühlen, an ihnen riechen. Nur in den Mund stecken darf man sie auf keinen Fall.“ Falls sie toxisch sind, entfalten sie ihre Wirkung nämlich im Verdauungstrakt des Menschen. „Der einzige Pilz, bei dem man immer Abstand halten sollte, ist der Schimmelpilz – dessen Sporen sind gesundheitsgefährdend.“
Fünf Millionen-Pilz-Arten
Unterwegs durch den Forst erzählt Wojtowicz davon, dass es etwa fünf Millionen Pilz-Arten auf der Erde gibt, erst rund 120.000 seien wissenschaftlich beschrieben. Die wenigsten sind sichtbar für das bloße Auge und bilden die typischen Fruchtkörper aus, die man auf dem Waldboden oder an Bäumen findet. Das meiste spielt sich unterirdisch ab: „Unter einem Fußabdruck von uns finden sich etwa 100 Kilometer sogenannte Pilz-Hyphen, mikroskopisch dünne, fadenähnliche Geflechtstrukturen.“
Wenn Christina Wojtowicz über das geheimnisvolle Leben und Wirken der Pilze spricht, merkt man ihr die Faszination an. Besonders angetan hat es ihr der Zunderschwamm, „ein Baumpilz, von dem bereits Ötzi ein Stück dabei hatte.“ Getrocknet eignet er sich zum Feuermachen. Und auch als Heilmittel war er offenbar schon vor Tausenden von Jahren bekannt: Er wirkt blutstillend, antibakteriell und antiviral.
Pilz-Expertin
Der Pilz-Coach ist ein Multiplikator für die Faszination und Kenntnisse der Bedeutung der Pilze für das Ökosystem. Anders als der Pilzsachverständige geht es bei seiner Arbeit nicht um die Bestimmung von Pilzen. Die Vermittlung von Grundwissen über Pilze und ihre Lebenswelt – etwa in Kitas und Schulen – ist Teil der Arbeit eines Pilz-Coaches. Er animiert dazu, mehr über das faszinierende Reich dieser Lebewesen zu erfahren – mit allen Sinnen. Den Ausbildungslehrgang zum Pilz-Coach mit Zertifizierung bietet die Deutsche Gesellschaft für Mykologie in Nümbrecht an. (hn)
„Alles aus diesem Pilz kann man einnehmen, schmeckt aber fürchterlich“, so Wojtowicz. Bis zu 30 Jahre hänge der Zunderschwamm mit der schützenden Krustenschicht an der Rinde von Rotbuchen und Birken – „er ist parasitär, zeigt sich aber erst, wenn der Baum abstirbt“.
Wer im Waldboden nah einer Fichte, Eiche oder Buche gräbt, findet schnell einen Beweis für die Symbiose zwischen Pilz und Baum: Die Feinwurzeln sind fast immer mit einem feinen, weißlichen Pilzgeflecht überzogen, sogenannte Mykorrhiza-Pilzen. Zu ihnen zählen auch Fliegenpilz, Pfifferlinge, Steinpilze und Trüffel.
Tauschhandel zwischen Baum und Pilz
Über diese unterirdischen „Leitungen“ findet ein reger Tauschhandel statt: Die Pilze liefern Wasser und Nährstoffe wie Phosphate und Stickstoff an die Bäume. Im Gegenzug erhalten sie Kohlenhydrate in Form von Zucker, denn sie selbst betreiben keine Photosynthese.
Auch Informationen werden über die Leitungen weitergegeben: Kommt es an einem Baum zu Käferbefall, werden benachbarte Bäume gewarnt. Diese leiten Bitterstoffe in die oberen Blätter, sodass die Schädlinge weiterziehen.
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„Jede Pflanze, die wir hier sehen, ist mit Pilzen verbunden. Ohne Pilze gibt es keinen Wald und ohne Wald keine Pilze“, sagt Wojtowicz. Als Pilz-Coach will sie helfen, diese freundschaftliche Symbiose ins Bewusstsein vor allem junger Menschen zu bringen.
„Der Wald ist schützenswert. Und mit ihm die Pilze“, sagt sie und erzählt ein paar Schritte weiter vom Riesenbovisten, den vor allem Kinder lieben. Explosionsartig verteilt er seine Sporen, sobald man auf ihn tritt. „Ein einziger Riesenbovist trägt mehr Sporen in sich als Menschen auf der Erde sind.“