Zweiter WeltkriegTausende Zwangsarbeiter arbeiteten im Kreis Euskirchen
Kreis Euskirchen – Mehr als 10.000 ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene wurden in den beiden Weltkriegen in den heutigen Kreis Euskirchen verschleppt. Nach Schätzungen von Heike Pütz, Leiterin des Kreisarchivs und der Historischen Kreisbibliothek Euskirchen, und dem Journalisten und Buchautor Franz Albert Heinen waren allein im Zweiten Weltkrieg rund 10.000 Zwangsarbeiter in den etwa 160 bekannten Lagern untergebracht. Mehr als 600 von ihnen kamen ums Leben. Mit dem Schicksal dieser Frauen und Männer befasst sich die Ausstellung „Zwangsarbeit im Kreis Euskirchen“, die bis zum 23. April 2023 in Vogelsang zu sehen ist.
Insbesondere viele Zwangsarbeiter aus Polen und den besetzten sowjetischen Gebieten waren unter teils grausamen Umständen aus ihren Heimatgebieten in die Nordeifel verschleppt worden. Wie in der Ausstellung nachzulesen ist, wurden zuerst polnische Kriegsgefangene als Arbeiter eingesetzt.
Nach der Entlassung fast aller polnischer Kriegsgefangener in die Zivilarbeit füllten sich die Lager anschließend mit französischen Gefangenen, die wesentlich freizügiger behandelt wurden als zuvor die Polen. Aber auch sie oder die Menschen aus den anderen besetzten Ländern konnten dauerhaft nicht den Arbeitskräftemangel beheben. Im Mai 1941 waren in Deutschland 2,6 Millionen offene Stellen nicht mehr zu besetzen, 500.000 davon allein in der Landwirtschaft.
Sowjetische Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft
Nach dem Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 gerieten in kürzester Zeit Hunderttausende sowjetische Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft. Viele von ihnen verhungerten schon in den ersten Monaten in Sammellagern hinter der Front, bevor im Spätsommer 1941 der Entschluss zur „Russenarbeit“ im Reichsgebiet gefasst wurde.
Im Herbst 1941 traten die ersten ausgehungerten Rotarmisten mehr tot als lebendig ihre Arbeit im Reich und im Kreisgebiet Euskirchen an. Bald setzte unter ihnen ein Massensterben ein, das erst im Frühjahr 1942 langsam abebbte.
Eingesetzt waren die Gefangenen vorwiegend in der Industrie oder im Mittelgebirge überwiegend in den abgeschiedenen Lagern der Forstbetriebe. „Der Hunger blieb steter Gast in den Russenlagern und forderte viele weitere Opfer“, heißt es in der Ausstellung. Vielfach seien Gefangene auch „auf der Flucht“ erschossen worden.
„Die sowjetischen Kriegsgefangenen durften keinen Kontakt zur Bevölkerung haben“, erklärt Heinen, der die Ausstellung in Vogelsang mit Heike Pütz konzipiert hat. „Deshalb wurden sie in der Eifel oft als Waldarbeiterkolonnen eingesetzt.“
Polen und Franzosen seien dagegen vor allem in der Landwirtschaft und der Industrie im Altkreis Euskirchen im Einsatz gewesen. Rund 200 Zwangsarbeiter arbeiteten beispielsweise während der Kampagne in der Zuckerfabrik in Euskirchen.
Zwangsarbeit in rheinischer Obst- und Gemüse-Konservenfabrik
Weitere etwa 200 Arbeiterinnen waren in der Rheinischen Obst- und Gemüse-Konservenfabrik von Frühsommer bis Frühherbst im Einsatz. Sie kamen aus Frankreich, später auch aus der Ukraine. Einige von ihnen kamen ums Leben, als die Fabrik bei einem Luftangriff 1944 in großen Teilen zerstört wurde. Das Sägewerk in Oberhausen beschäftigte im Krieg eine unbekannte Zahl an Kriegsgefangenen, auch 426 namentlich bekannte Zwangsarbeiter.
Begleitprogramm
Die Sonderausstellung „Zwangsarbeit im Kreis Euskirchen“ ist täglich von 10 bis 17 Uhr in Vogelsang zu sehen. Dort wird auf mehr als 50 Medientafeln und Vitrinen mit Originalfotos und -dokumenten das Schicksal der Zwangsarbeiter beleuchtet. Der Eintritt ist frei. Außerdem gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm mit Präsentationen, Lesungen, Diskussionen, Filmvorführungen und Exkursionen, unter anderem mit den beiden Ausstellungsverantwortlichen Heike Pütz, Leiterin des Kreisarchivs und der Historischen Kreisbibliothek Euskirchen, und Franz Albert Heinen, Journalist und Buchautor. Mehr Informationen zur Ausstellung und zum umfangreichen Begleitprogramm gibt es im Internet unter www.vogelsang-ip.de. (wki)
„Die Quellenlage zu den Zwangsarbeitern ist ganz schlecht“, berichtet Pütz. Viele Dokumente wie Lohnlisten seien im Krieg beispielsweise beim Brand der Euskirchener Kreisverwaltung 1944 vernichtet worden. Oft habe es sich dabei um Daten aus Landratsämtern, Amtsbürgermeistereien oder auch aus Pfarrämtern gehandelt, die von den Alliierten abgefragt worden seien. Nach dem Krieg seien weitere Aufzeichnungen verloren gegangen.
Diskriminierung der ausländischen Zwangsarbeiter
Die Zwangsarbeiter wurden vom Staat massiv diskriminiert. Polen beispielsweise mussten ein Kennzeichen an der Kleidung tragen und durften keine deutschen Veranstaltungen oder Gaststätten besuchen. Außerdem galt ein nächtliches Ausgehverbot.
Nach angeblichen Verstößen gegen das Verbot sexueller Kontakte zu deutschen Frauen oder Arbeitsvergehen überstellte die Geheime Staatspolizei zahlreiche Polen und Sowjetbürger in Konzentrationslager. „Strafprotokolle zeigen, dass die Polizei Arbeiter aus dem Osten seit 1942 verstärkt verfolgt und bestraft hat“, erklärt Heinen.
Den Untergang des Regimes vor Augen, habe die Gestapo ab Herbst 1944 Jagdkommandos gegen angeblich „verdächtige“ Ausländer in der weitgehend evakuierten Kampfzone im Westen eingesetzt und Menschen exekutiert. Die Gefangenen aus der Sowjetunion waren im Kreis in Lagern untergebracht.
Heinen weiß von 48 Männern, die in einem großen Waldarbeiterlager in Hellenthal gearbeitet haben. „Sie kamen in einem Viehwaggon am Bahnhof an und hatten vorher wochenlang nichts zu essen bekommen.“
Mit der Holzkarre zum Friedhof
Viele von ihnen seien in kurzer Zeit gestorben, obwohl der Revierförster die übliche Hungerkost aufgebessert habe. Die Toten seien dann mit einer Holzkarre mitten durch den Ort zum jüdischen Friedhof nach Blumenthal gebracht worden. „Es gibt genügend solcher Beispiele im Kreis. Nichts lief im Verborgenen ab. Jedem war bekannt, dass da ein Verbrechen in großem Stil stattfand“, spricht Heinen Klartext.
In einem anderen Lager in Hollerath seien in drei Monaten 60 Kriegsgefangene gestorben und in einem Massengrab beigesetzt worden. Heinen hat auch Fälle recherchiert, in denen Gefangene „auf der Flucht“ erschossen worden waren: fünf in Sötenich, mindestens drei im Lager Bevertberg bei Berk.
„Jahrzehntelang verleugnet“
„Diese Verbrechen sind vor den Augen der Bevölkerung verübt und jahrzehntelang verleugnet worden“, kritisiert Heinen. Er hatte bereits vor einigen Jahren in seinem Buch „Abgang durch Tod“ die Zwangsarbeit im ehemaligen Kreis Schleiden von 1939 bis 1945 öffentlich gemacht. Seine Recherchen hat Pütz nun mit dem Historiker Stefan Wunsch von Vogelsang IP und vielen weiteren Mitstreitern um den früheren Kreis Euskirchen ergänzt.
„Nach den jeweils niedrigsten angegebenen Belegungszahlen summieren sich für die im Zweiten Weltkrieg im Altkreis Schleiden bekannten 85 Lager auf mehr als 5000 internierte Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter“, nennt Pütz Zahlen. Im Altkreis Euskirchen komme man bei den jeweils niedrigsten angegebenen Zahlen der 72 bekannten Lager auf mehr als 4200 internierte Kriegsgefangene und Zivilarbeiter. Für manche Lager gebe es gar keine Belegungszahlen. Darüber hinaus sind Heinen und Pütz sicher, dass es noch mehr Lager gegeben hat, die in Vergessenheit geraten sind.
„Unserem Polen ging es gut“
Außerdem seien die Frauen und Männer, die in kleinen Betrieben, Bauernhöfen und Privathaushalten untergebracht waren, längst nicht vollständig erfasst worden. „Zivilarbeiter gab es in jedem zweiten oder dritten Haus. Sie wurden gebraucht, denn die Familien hatten viele Kinder und der Mann war an der Front“, sagt Heinen.
Deshalb habe auch jeder von den Zwangsarbeitern gewusst. Wenn er Zeitzeugen zur Situation der Zwangsarbeiter befragt habe, habe er immer die gleichen Aussagen erhalten: „Das war überall im Ort so. Unserem Polen ging es gut, der durfte bei uns sogar mit am Tisch essen.“
Die Zahl der Todesopfer liegt nach Schätzungen von Pütz in den Altkreisen Schleiden bei rund 330 und in Euskirchen bei knapp 300. „Im Altkreis Schleiden starben allein 232 sowjetische Kriegsgefangene“, ergänzt Heinen.
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Weil im Altkreis Schleiden niemand die sogenannten Russengräber habe pflegen wollen, so Heinen, wurden die Toten von allen Friedhöfen 1950 nach Hollerath umgebettet, wo es bereits das Massengrab für 60 sowjetische Soldaten gab. 1959/60 wurde dann in Rurberg eine zentrale Kriegsgräberstätte für Zwangsarbeiter aus dem gesamten Regierungsbezirk Aachen eingerichtet.
Dort sind 2322 Frauen und Männer beerdigt, die mehrheitlich aus Russland und der Ukraine, aus Belarus und Georgien und aus weiteren Staaten der ehemaligen Sowjetunion stammen. „Seit die Gräber abgeräumt wurden, gibt es im Altkreis Schleiden keine Orte der Erinnerung mehr“, beklagt Heinen.