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100. GeburtstagVictor Neels ist ein großer Europäer, ein Versöhner und ein Vorbild

Lesezeit 5 Minuten
Eine Aufnahme von Mai 2024 zeigt Victor Neels, der am 15. Januar 1925 geboren wurde.

Aus Hass wurde Freundschaft: Für die Versöhnung zwischen Deutschen und Belgiern hat sich Victor Neels nachhaltig eingesetzt.  

Als junger Mann hat Victor Neels die Deutschen gehasst. Als Kommandant in Vogelsang setzte er sich nachhaltig für die Versöhnung ein.

Er ist ein großer, ein großartiger Europäer, ein Brückenbauer: Victor Neels. Sein berufliches Wirken, seine Aufgabe als Kommandant des belgischen Truppenübungsplatzes Vogelsang, hat er bereits 1980 offiziell beendet, als er im Dienstrang eines Oberst (auf Flämisch: Kolonel) in den Ruhestand trat. Doch in der Eifel ist er auch 45 Jahre nach seinem Abschied vom Militär unvergessen. An diesem Mittwoch, 15. Januar, vollendet der belgische Flame, gebürtig in Balen nordwestlich von Hasselt, sein 100. Lebensjahr. Es ist ein Jahrhundertleben im Dienste der Völkerverständigung, ein außergewöhnlicher Mensch: Victor Neels ist ein Vorbild für viele.

Im Jahr 1970 übernahm Victor Neels das Kommando auf Camp Vogelsang, wie die belgische Kaserne auf Französisch genannt wurde, auf Flämisch Kamp Vogelsang. „Wo er helfen konnte, hat er mitgemacht“, erinnert sich Karin Zöllkau an das Wirken ihres Vaters. Und das ging weit über seine Aufgaben als Chef der Kaserne inmitten des heutigen Nationalparks Eifel hinaus. „Er spricht fünf Sprachen, hat viel gelesen.“

Victor Neels steht für Verständigung zwischen Belgiern und Deutschen

Dass ihr Vater einmal so symbolhaft für die Verständigung zwischen Belgiern und Deutschen stehen würde, war wirklich nicht abzusehen. Während des Zweiten Weltkriegs hat Victor Neels im belgischen Widerstand, in der „Résistance“, gegen die deutschen Besatzungstruppen, gegen die Nationalsozialisten gekämpft. „Ich habe in der Nazizeit viele Freunde verloren“, sagte er einmal in einer WDR-Dokumentation: „Ich hasste die Deutschen, ich hasste Deutschland. Kameraden von mir wurden im Konzentrationslager ermordet.“

1950 übernahmen die Belgier Vogelsang von den Briten. In deren Zeit fällt der 1. September 1946, an dem die Wollseifener dem Räumungsbefehl nachkommen und ihre Heimat verlassen mussten: 120 Familien, 550 Männer, Frauen und Kinder gingen mit ihrer transportablen Habe, dem Vieh und der Ernte auf Herbergssuche. Sie wurden Vertriebene, ihr Dorf Truppenübungsplatz.

Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt Kolonel Victor Neels in der Uniform der belgischen Armee.

Kolonel Victor Neels war von 1970 bis 1980 Kommandant in Vogelsang.

An der Brücke, die über den Urftsee führt, ist eine Plakette mit dem Schriftzug „Victor-Neels-Brücke“ angebracht.

Die Brücke über den Urftsee ist nach Brückenbauer Neels benannt.

Auch die belgischen Besatzungstruppen nahmen wenig Rücksicht auf die Deutschen. Das Verhältnis sei damals mehr als angespannt gewesen, erinnern sich Zeitzeugen. Doch so groß die Spannungen auch waren, privat kamen sich die Belgier und die Deutschen näher. Obschon es ein „Verbot der Fraternisierung“ gegeben habe.

Die Liebe zu seiner Annelene überstand das Fraternisierungsverbot

Verbindungen zwischen belgischen Soldaten zu Deutschen seien streng untersagt gewesen – bis 1955. Seine Meinung über seine späteren „Gastgeber“ hatte Victor Neels bereits geändert, als er seine deutsche Frau Annelene kennenlernte. Hätte er damals seinen Eltern von dieser Liaison erzählt, hätte man ihn rausgeschmissen. Die Folge für das Liebespaar: zwölf Jahre wilde Ehe. Während man privat Sympathien füreinander entwickelte, wurden die Belgier als Soldaten immer noch argwöhnisch betrachtet. Dafür sorgten auch die ständigen Panzerübungen in der Umgebung. Es gab oft Beschädigungen an Straßen und Häusern nahe Vogelsang.

Victor Neels wollte an diesem Missverhältnis etwas ändern. So ließ er bei Dreiborn eine Panzer-Umgehungsstraße bauen, die das Dorf deutlich entlastete und das Verhältnis zu den Deutschen schlagartig verbesserte. Als in manchen Dörfern Sportplätze gebaut wurden, besorgte Neels Bulldozer und Material. Zum neuen Verhältnis trugen auch die Sozialprogramme bei, die Kolonel Neels startete, etwa indem behinderten Kindern ein Urlaub an der belgischen Küste finanziert wurde. Die Mittel dafür erarbeiteten die Soldaten in ihrer Freizeit.

Die Brücke über den Urftsee ist nach dem großen Europäer benannt

Ganz entscheidend zu einer Öffnung zur deutschen Bevölkerung trugen die Tage der offenen Tür bei, die Neels 1972 startete und danach alle zwei Jahre angeboten wurden. Mehr als 40.000 Besucher passierten die Zugangsschranken zu dem Militärgelände Vogelsang. Früher seien die Deutschen für die Belgier „Schweinehunde oder A...löcher gewesen“, sagte Neels einmal zu dieser Annäherung: „Jetzt sind es Kameraden und Freunde. Da bin ich sehr stolz drauf.“

Er hat seinen wertvollen Beitrag zu dieser Entspannung geleistet. Und der deutsche Staat dankte es ihm: mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande 1975 und mit der Höherstufung zum Großen Bundesverdienstkreuz 1980. 2005 räumte die belgische Armee Vogelsang. Seitdem etabliert sich dort der „Internationale Platz“. Er blieb, wie es Neels einmal sagte, „meine zweite Heimat“.

Ganz in der Nähe ist das starke Zeugnis zu sehen, das wohl auf immer mit ihm verbunden sein wird: die 2009 freigegebene Victor-Neels-Brücke über die Urfttalsperre. Sein Name prangt in großen Lettern auf einer Granitplatte an der gut 120 Meter langen Fußgängerbrücke. Der architektonische Entwurf dieser Stahl-Hängebrücke ist preisgekrönt. Zur Verleihung des Deutschen Stahlbaupreises an das Nideggener Büro Lorenz Cornelissen und Jutta Rodeheger im gleichen Jahr reiste auch das Ehepaar Victor und Annelene Neels nach Dresden.


Der Eifel war Victor Neels stets verbunden

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich Victor Neels nicht nur seinen Militärkameraden in Vogelsang, die vor 20 Jahren abgezogen sind, sondern auch der Region uneingeschränkt verbunden gefühlt. Immer wieder besuchte er seine frühere Wirkungsstätte, nahm an Festen teil. Viele Jahre hat er in der Gemeinde Simmerath gelebt.

In der Bildmitte sind Victor und Annelene Neels zu sehen, rechts und links Karin und Günter Rosenke. Im Hintergrund ist eine Wand mit dem Schriftzug „Kreis Euskirchen“.

Seine Frau Annelene war Victor Neels große Liebe. Das Foto zeigt das Paar mit dem ehemaligen Euskirchener Landrat Günter Rosenke und dessen Frau Karin bei einem Empfang im Kreishaus.

Seine geliebte Frau Annelene, gebürtige Deutsche, hat er in Rurberg 2021 zu Grabe getragen, nachdem sie im Alter von 95 Jahren gestorben war. Sie hat ihren Mann auf seinen vielfältigen beruflichen Stationen begleitet. Sie haben deswegen mindestens 17-mal umziehen müssen, sagte Victor Neels einmal, unter anderem in den Kongo. Eine besondere Liebeserklärung machte Neels seiner Frau bei der Feier seines 90. Geburtstags in Vogelsang, als er ihr auf der Bühne 70 Rosen überreichte „Ich liebe dich seit 70 Jahren und liebe dich jeden Tag mehr“, sagte er damals.

Seit 2021 lebt Neels in einem Seniorenzentrum in Zülpich. Sein Gesundheitszustand lässt den geplanten Empfang zu seinem 100. Geburtstag nicht mehr zu. „Er kann nicht mehr mit uns kommunizieren“, sagt seine Tochter Karin Zöllkau. Ihr Vater habe vor zwei Monaten einen Schlaganfall erlitten und leide an einer starken Demenz.