Jedes fünfte Kind im Kreis Euskirchen hat psychisch-kranke Eltern. Die Gefahr, dass sie auch erkranken, ist hoch. AOK und Caritas wollen sie stark machen.
20 Prozent betroffenSo wird Kindern psychisch kranker Eltern im Kreis Euskirchen geholfen
Einmal in der Woche trifft sich die Gruppe, immer donnerstags. Sechs bis zehn junge Menschen kommen in der Regel. Sie sind 14 bis 18 Jahre alt. Vielen sei es anfangs nicht leicht gefallen zu kommen, berichten Diplompädagogin Dorothee Koch und Sozialpädagogin Gianna Winkle, die die Gruppe leiten. Scham spiele dabei eine Rolle. Wer spricht schon gerne über seine Probleme?
„Freio“ heißt das Caritas-Projekt. Ein Wort, das viele noch aus Kindertagen kennen. Rief man „Freio“ beim Fangen, konnte einem nichts mehr passieren. Das passe gut, findet Maria Surges-Brilon, stellvertretende Vorsitzende des Caritasverbandes Euskirchen. Denn auch die Donnerstagsgruppe sei ein geschützter Raum für die Teilnehmer – und den brauchen diese Jugendlichen dringend.
20 Prozent der Kinder im Kreis Euskirchen betroffen
Denn sie müssen nicht nur mit den Schwierigkeiten umgehen, mit denen junge Menschen in diesen Zeiten ohnehin oft umgehen müssen: von den Corona-Folgen über Social-Media-Druck bis hin zu Mobbing.
Diese Jugendlichen sind zusätzlich belastet, denn sie haben mindestens ein Elternteil, das psychisch krank ist. Viel zu früh prägen beispielsweise diese Fragen ihren Alltag: „Wie geht es heute meinem Vater, schafft er seine Arbeit?“ oder „Schafft Mama es heute rauszugehen?“
Helmut Schneider ist sich der Dimension dieses Problems bewusst. „Davon ist jedes fünfte Kind betroffen“, nennt der Regionaldirektor der AOK Bonn/Rhein-Sieg-Kreis/Euskirchen eine erschreckende Zahl. Er verweist dabei auf die Zahlen des AOK-Gesundheitsreports 2023 für den Kreis Euskirchen.
„Freio“-Projekt im Kreis Euskirchen wurde verlängert
Der Report macht zudem deutlich: Kinder von suchtkranken Eltern werden oft selbst suchtkrank. Der Report macht zudem deutlich: Kinder von suchtkranken Eltern werden oft selbst suchtkrank. Die Wahrscheinlichkeit liege um 156 Prozent höher als bei nicht betroffenen Kindern. Auch ADHS, Adipositas oder Sozialverhaltensstörungen kommen bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen öfter vor.
In der Tat. Seit einigen Jahren kümmert sich der Wohlfahrtsverband nicht nur um suchtkranke Menschen, sondern auch um deren Kinder. „In der Regenbogengruppe arbeiten wir mit den Kindern“, erklärt Surges-Brilon. Bei „Freio“ finden Jugendliche Unterstützung. Da habe sich die AOK gerne als Förderer angeschlossen, sagt Schneider. Am Freitag wurde die Zusammenarbeit für das Projekt nun verlängert.
Neben Suchtprävention geht es auch um gesunde Ernährung
Dabei geht es neben den Gesprächen mit den Teilnehmern um Suchtprävention und gesunde Ernährung, um Bewegung und Stressbewältigung – also um alles das, was Menschen widerstandsfähiger macht gegen die Widrigkeiten des Lebens.
Zu den wöchentlichen Gruppentreffs sollen nun noch zehn Projekttage hinzukommen, um betroffenen Jugendlichen den Zugang zu den Hilfsangeboten und damit zu mehr Resilienz zu erleichtern. Denn derartige Angebote seien durchaus erfolgreich, wie Maria Surges-Brilon erläutert.
„Am Anfang wurden die Jugendlichen gefragt, ob sie ihre Lebensgewohnheiten ändern wollten“, so die stellvertretende Caritas-Vorsitzende. 100 Prozent hätten das damals verneint. Inzwischen bejahe die Hälfte von ihnen diese Frage, und 33 Prozent zögen es in Betracht. Darauf könne man doch aufbauen.
Folgenschwere Erkrankungen
19,5 Prozent der Kinder im Kreis Euskirchen haben mindestens ein Elternteil, das unter psychischen Störungen leidet. Das geht aus dem Gesundheitsreport 2023 der AOK Rheinland/Hamburg hervor, der dieses Phänomen zum Schwerpunkt hatte.
Im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen, die nicht diese spezifische Belastungssituation haben, besteht bei ihnen eine erhöhte Gefahr, selbst zu erkranken.
So ist bei ihnen die Wahrscheinlichkeit, ADHS zu bekommen, um 72 Prozent höher als bei nicht betroffenen Kindern.
Auch andere Belastungssituationen treten bei ihnen häufiger auf: Schädigung des Fötus (+113 Prozent), Essstörungen (+69 Prozent), Sozialverhaltensstörungen (+68 Prozent), Sucht (+49 Prozent), Asthma (+27 Prozent), Motorische Entwicklungsstörungen (+26 Prozent), Adipositas (+18 Prozent) und Sprachentwicklungsstörungen (+8 Prozent).