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Gedenktag am 27. JanuarDas jüdische Leben in der Eifel wurde vernichtet

Lesezeit 8 Minuten
Das Foto der Familie Heumann aus Hellenthal wurde 1938 aufgenommen.

In Hellenthal verwurzelt: Familie Heumann, hier beim 70. Geburtstag von Samuel Heumann (Mitte) 1938. Karl Heumann (stehend links), seine Frau (nicht im Bild) und seine Tochter Lore (vorne, 2. v.r.) wurden in Auschwitz ermordet.

Am 27. Januar, dem Tag der Befreiung von Auschwitz, wird der Opfer des Nationalsozialismus gedacht.

Lore Heumann ist 13 Jahre alt, als sie ermordet wird. Ermordet, weil viele Menschen in Deutschland zu diesem Zeitpunkt der Meinung sind, dass sie das Leben nicht verdient, und andere schweigend wegsehen. Lore Heumann ist Jüdin. Sie stirbt 1944 in Auschwitz.

Geboren wurde Lore Heumann wie schon ihr Vater und ihr Großvater in der Eifel: in Hellenthal. Die Familie Heumann war über Jahrzehnte ein fester Bestandteil der Gemeinde. „Es gab hier keine Probleme vor 1933“, sagt Karl Reger vom Arbeitskreis JudiT.H, der die Geschichte der Juden aus dem Raum Hellenthal erforscht. Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich auch das Klima in Hellenthal merklich. „Wir hatten hier sehr schnell einen Bürgermeister, der für ,Ordnung’ sorgte.“ Es war Wilhelm Fischer, ein 27 Jahre alter, verurteilter Schläger, frühes Mitglied der NSDAP und SA, später SS-Sturmbannführer.

Samuel Heumann lebte bis 1939 in Hellenthal

Lore Heumann verließ mit ihrer Familie die Gemeinde Hellenthal allerdings schon im Sommer 1932 und zog nach Lippstadt. Sie sei aber auch in den folgenden Jahren häufig in Hellenthal gewesen, berichtet Bernward Micken, ebenfalls Mitglied im Arbeitskreis JudiT.H. Schließlich habe ihr Großvater Samuel Heumann bis 1939 noch dort gelebt.

Samuel Heumann und seine Frau Cäcilia hatten fünf Söhne und vier Töchter, alle in Hellenthal geboren. Die beiden ältesten, Julius und Adolph, fielen im Ersten Weltkrieg. Karl Heumann, der Vater von Lore, war der jüngste Sohn der Familie. 1898 geboren, wuchs er in Hellenthal auf. Er besuchte die evangelische Volksschule. „Sie waren wie alle anderen Kinder auch“, sagt Reger. Als Karl 15 Jahre alt war, begann der Erste Weltkrieg. Karl wurde wie seine beiden ältesten Brüder Soldat, kämpfte vier Jahre für Deutschland, überlebte und kehrte 1918 zurück nach Hellenthal.

Drei Mitglieder der Familie wurden in Auschwitz ermordet

Wie er die folgenden Jahre verbrachte, ist nicht ganz klar. Vermutlich habe er im Geschäft seiner Eltern, ein Handel mit Kuhdung, mitgearbeitet und eine Ausbildung gemacht, sagt Reger. Fünf Jahre später (1923) eröffnete er dann sein eigenes Geschäft. Er verkaufte unter anderem Haushaltswaren, Kurzwaren, Trikotagen und Spielwaren. 1924 verlegte er das Geschäft und ergänzte das Sortiment um Lebensmittel. Wieder ein Jahr später heiratete Karl. Johanna Falkenstein aus Hochneukirch zog nach der Hochzeit ebenfalls nach Hellenthal. Die beiden lebten ihr Leben: Karl Heumann war Mitglied im Eifelverein (Beirat 1931) und im TuS Hellenthal. Letzterem stand er von 1927 bis 1929 sogar als Vorsitzender vor.

1928 brachte Johanna die erste gemeinsame Tochter zur Welt: Margot. Drei Jahre später folgte Lore. Eine Bilderbuchfamilie. Doch dann kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Ab Sommer 1932 wurde das Leben der kleinen Familie unsteter. Zunächst zogen sie nach Lippstadt, drei Jahre später nach Hochneukirch und wieder drei Jahre später nach Bielefeld. Das Haus, in dem sie wohnten, wurde 1939 als „Judenhaus“ deklariert. Bis 1943 musste die Familie noch zweimal das Haus wechseln. Dann wurden alle vier nach Theresienstadt deportiert.

Von dort wurden sie 1944 weiter nach Osten gebracht, nach Auschwitz. Hier wurde die älteste Tochter Margot von den anderen getrennt und einem Zwangsarbeiterzug angeschlossen. Sie ist die einzige der vier, die den Holocaust überlebte. Karl, Johanna und Lore Heumann wurden in Auschwitz ermordet.

Die Familie Kaufmann lebte 200 Jahre im Schleidener Tal

Eine der ältesten jüdischen Familien im Schleidener Tal war die Familie Kaufmann. Zum ersten Mal in historischen Quellen erwähnt wird sie 1741/1742 in Hellenthal. 200 Jahre später werden ihre Mitglieder verfolgt, vertrieben, verhaftet, deportiert, ermordet. Die Familie Kaufmann lebte zum Großteil in Hellenthal und Umgebung. Im März 1927 aber verschlug es ein Familienmitglied nach Nettersheim.

David Kaufmann wurde von den Nationalsozialisten ermordet.

David Kaufmann wurde von den Nationalsozialisten ermordet.

David Kaufmann war zu diesem Zeitpunkt 30 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Blumenthal. Mit ihm zogen seine Ehefrau Sophia und sein vierjähriger Sohn Hermann nach Nettersheim, seinen Lebensunterhalt verdiente David Kaufmann, wie so viele in seiner Familie, als Vieh- und Milchhändler. Im November 1930 wurde Sohn Gerhard in Nettersheim geboren, ein Jahr später der dritte Sohn Erich.

Die kleine Familie trat auch nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in historischen Quellen kaum in Erscheinung, berichtet Bodo Bölkow, Vorsitzender des Arbeitskreises Kultur und Geschichte in der Gemeinde Dahlem, der die Geschichte der Familie recherchiert und in „Beiträge zur Kultur und Geschichte zwischen Berke, Kyll, Glaadtbach und Urft, Heft 4“ aufgeschrieben hat.

David Kaufmann aus Nettersheim wurde ab 1939 überwacht

Im Januar 1939 aber erhielt das Amt Schmidtheim ein Schreiben der Staatspolizei Aachen, in dem es zur Überwachung von David Kaufmann aufgefordert wird. Es bestehe der Verdacht, dass Kaufmann seinen Wohnsitz ins Ausland verlegen wolle. Tatsächlich schien es in den kommenden Monaten Ausreisebemühungen der Familie gegeben zu haben, so Bölkow. Das sei von den Behörden begrüßt worden, man habe darin eine Möglichkeit gesehen, die jüdische Familie loszuwerden. Doch den Plan setzte die Familie nie in die Tat um. Warum? Das bleibt unklar.

„Für uns bleibt also festzustellen, dass die Familie Kaufmann sich mit dem Wunsch trug, auszuwandern und entsprechende Schritte unternahm. Es schien aber Schwierigkeiten zu geben, ein Aufnahmeland zu finden“, schreibt Bölkow. Der älteste Sohn Hermann verzichtete sogar auf die Ausstellung eines Reisepasses, in den Quellen heißt es, er habe warten wollen, bis seine Eltern ebenfalls ausreisen dürfen.

Drei Jahre später war er tot, ermordet im Konzentrationslager Majdanek. Auch sein Vater David Kaufmann wurde in das Vernichtungslager deportiert und umgebracht. Was mit Ehefrau Sophia Kaufmann und den beiden anderen Söhnen geschah, sei bislang nicht geklärt, so Bölkow.

Die Familie Levano aus Kommern überlebte die Hetzjagd nicht

Eine der bekanntesten jüdischen Familien im Kreis war die Familie Levano. Heymann Levano kam 1794 der Liebe wegen nach Kommern. Er und seine Frau Elisabeth bekamen 13 Kinder – heute gibt es keinen einzigen Nachfahren der Familie mehr in Kommern.

Die Geschichte der Levanos haben Gisela und Wolfgang Freier recherchiert, die seit 20 Jahren die Geschichte der Juden in Kommern erforschen. Einer der bekanntesten Vertreter der Familie sei Eduard Levano gewesen, berichten sie. Eduard wurde 1885 in Kommern geboren – das älteste von sieben Kindern, seine jüngste Schwester starb noch vor ihrem ersten Geburtstag. Nach dem Tod seines Vaters übernahm Eduard Levano im Alter von 24 Jahren dessen Kerzenzieher- und Seifensiederei-Betrieb. Eine Familie gründete er nicht.

Von den Nationalsozialisten drangsaliert wurde Eduard Levano.

Von den Nationalsozialisten drangsaliert wurde Eduard Levano.

Im Kriegswinter 1917, als Nahrung immer knapper wurde, wurde Levano Getreidekommissionär für den Kreis Euskirchen. An ihn müssen die Bauern nun ihre Erzeugnisse zu einem festgesetzten Preis abliefern. Zwei Jahre später gründete er die Firma M. Levano für Getreide- Mehl- Kraftfutter- und Kunstdünger-Handel. Das Geschäft florierte.

Die Levanos halfen Kommerner Familien gerne

Der Familie, Levano leitete die Firma mit seinem Bruder Hugo, gehörte bald eine Villa mit Park, Rosengarten und Tennisplatz. Durch ihren Reichtum sei die Familie nicht richtig im Dorf integriert gewesen. Aber: „Insgesamt waren sie in Kommern beliebt“, sagt Gisela Freier. Ein Zeitzeuge habe ihr mal berichtet, dass Familien, denen Geld für die Erstkommunion fehlte, sich an die Levanos wandten, die gerne aushalfen.

Doch bei viel Reichtum bleibt Neid nicht aus. Schon als Kommissionär wurde Levano nachgesagt, er würde sich bereichern. Die Nationalsozialisten griffen diese Vorurteile später nur allzu gerne auf. Mit der Machtergreifung musste Eduard Levano seine Firma zwangsverpachten, drei Jahre später wurde sie „arisiert“, Levano enteignet.

Das historische Foto zeigt die Villa, in der die Familie Levano lebte.

Die Familie Levano lebte in einer stattlichen Villa.

„Die Kommerner nennen diese Firma das Kornhaus Kommern. Das war der Nazi-Begriff“, sagt Gisela Freier. So sei die Firma nach der Enteignung genannt worden. Es folgte eine mediale Hetzjagd gegen Eduard Levano. Er wurde abfällig „Getreidejude“ genannt, verunglimpft und verleumdet. Im November 1937 starb er plötzlich im Alter von 52 Jahren. Eine Nichte, die den Holocaust überlebte, habe ihr berichtet, die Erniedrigungen durch die Nazis habe ihr Onkel Eduard nicht verkraftet, berichtet Freier. Er sei an gebrochenem Herzen gestorben.

Erst 2006 wurde ein Grabstein für Eduard Levano errichtet

Eduard Levano ist auf dem jüdischen Friedhof in Kommern beerdigt, einen Grabstein durfte die Familie nicht aufstellen. Erst 2006 auf Initiative von Gisela Freier wurde ein Grabstein für ihn errichtet. Die Nichte habe sich noch genau erinnern können, wo ihr Onkel begraben sei.

Nur ein Jahr nach seinem Tod wurden seine drei Geschwister, die noch in Kommern lebten, regelrecht verjagt. In der Reichspogromnacht wurde die Villa der Levanos verwüstet, ebenso der Bauernhof einer weiteren Schwester in Hostel.

„Das waren Kommerner“, sagt Gisela Freier. Das wolle heute niemand gerne hören, doch die Zerstörungen der Reichspogromnacht im ganzen Kreis können nicht nur durch Westwallarbeiter, die hier stationiert waren, verübt worden sein. Es waren Menschen, die die Levanos kannten. Die drei Geschwister von Eduard Levano zogen zunächst nach Köln, 1941 wurden sie nach Lodz deportiert und umgebracht. Auch die Schwester aus Hostel zog mit ihrer Familie nach Köln. Ihren beiden Töchtern, Eduards Nichten, gelang die Flucht nach England. Damals habe der englische Staat 1000 Pfund pro Visum verlangt, berichtet Wolfgang Freier. Die Familie habe nur das Geld für zwei Visa gehabt. Die Eltern blieben in Deutschland. Sie wurden 1942 deportiert und ermordet.


Der Befreiungstag

Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Soldaten das Vernichtungslager Auschwitz. Mehr als eine Million Menschen waren allein dort zwischen März 1942 und November 1944 ermordet worden. 2005 führten die Vereinten Nationen den 27. Januar als Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust ein. (jre)