TikTok-Videos haben junge Leute zurück in den Buchhandel geholt. Buchhändlerinnen aus dem Kreis Euskirchen erklären den viel diskutierten Trend.
TikTok-TrendBookTok hat den Buchhandel im Kreis Euskirchen erobert
Der Buchhandel im Kreis Euskirchen hat sich im Laufe des vergangenen Jahres ein kleines Stück verändert. Zwischen Regalen mit den bekannten „Spiegel-Bestsellern“ und Krimis mit düsteren Covern hat eine neue Art von Büchern die Regale erobert: Pastellfarben beherrschen das Bild, mit Titeln in moderner Kalligrafie. Wenn man zusammenhängende Bände verkehrt herum ins Regal stellt, ergibt der Schnitt ein Bild. Was diese Bücher noch gemeinsam haben: Viele von ihnen sind Kassenschlager. So beliebt, dass es immer wieder zu Lieferschwierigkeiten kommt. Und das liegt an BookTok.
„BookTok ist längst im Kreis Euskirchen angekommen“, sagt Renate Elsen, Inhaberin der Bücherecke in Blankenheim. Sie hat den Büchern, die häufig den Genres „Young Adult“ und „New Adult“ zuzuordnen sind, einen eigenen Tisch gewidmet. Eine Wimpelkette aus Herzen hängt daran, ein Plakat, das diese Art von Büchern erklärt, darüber. Ein Altar für den Trend, gleich zwischen Jugendliteratur und Romantik für Frauen.
Kurze Videos über Bücher, die die Augen junger Frauen aufleuchten lassen
Was kurze Videos über Bücher, die massenhaft in der App TikTok angeschaut werden, in den Menschen auslösen können, hat sie zum ersten Mal bei ihrer Friseurin erlebt. Zwei Frauen hätten sich dort stundenlang mit glänzenden Augen über ihre neusten Buchentdeckungen in der App unterhalten. Selbst dort nachgeschaut, hat Renate Elsen aber noch nicht. TikTok, das sei nicht ihre Welt.
Nora Poschen arbeitet in der Buchhandlung Reinhardts Lesewald in Zülpich. Seit Januar 2023, erinnert sie sich, seien vermehrt junge Frauen auf sie zugekommen, die ihr das Smartphone entgegenhielten. Darauf immer: ein Screenshot von einem TikTok-Video. „Man sieht das sofort. Unten die Herzchen, dann die gesendeten Sticker – der typische TikTok-Aufbau“, sagt die 29-Jährige.
Die Videos funktionierten immer ähnlich: Schöne Bilder, die zum Thema des Buches passten, abgetippte Zitate, alles unterlegt mit schöner Musik. Oder junge Menschen, die in wenigen Minuten darüber sprechen, was sie an einem bestimmten Werk begeistert, und was sie überhaupt nicht leiden konnten. „Das funktioniert gut“, sagt Poschen. Häufig hätten Bücher nur wegen BookTok oder „Bookstagram“ – dem wegbereitenden Äquivalent auf der App Instagram – den Weg auf ihre eigene Lese-Wunschliste gefunden. Die knappe Form, einnehmende Zitate, die Lust auf mehr machen: „Das kickt einfach“, sagt die Buchhändlerin.
Sogenannte „Tropes“ machen 500 Seiten Text in einer Minute erfassbar
Die Handlung eines 500-seitigen Buches in einer Videominute zu erfassen, das ist nur möglich aufgrund der sogenannten „Tropes“, an die die Werke des Young Adult- und New Adult-Genres sich sklavisch halten. Tropes, das seien wiederkehrende Handlungsmuster, erklärt Poschen. Besonders beliebt seien etwa die Erzählmuster „Love Triangle“ (Liebesdreieck), „Dark Romance“ (Dunkle Romanze), „Enemies to Lovers“ (von Feinden zu Liebenden) oder „Fake Dating“ (gefälschtes Dating).
Die englischen Titel seien selbsterklärend, sagt Poschen. So könnten sich die Protagonisten in einem „Enemies to Lovers“-Roman etwa überhaupt nicht leiden, hätten aber eine gemeinsame Mission zu erledigen, in deren Verlauf sie sich verliebten. Dadurch habe die Bedeutung der Klappentexte abgenommen, so Poschen. Die Angabe des Tropes reiche völlig aus. Ein Vorteil: Die Zuordnung fällt leichter. „Früher kamen die Kunden immer zu mir, und fragten: Haben sie so etwas wie“, sagt Claudia Reinhardt, Inhaberin des Lesewalds. Heute wüssten sie ganz genau, dass sie etwa nach „Fake Dating“ suchten.
Dass man schon zu Beginn weiß, wie die Geschichte ausgeht, hält Renate Elsen allerdings nicht für eine Stärke: „Für mich selbst ist das nichts. Ich find’s langweilig.“ Viele der Werke klängen in ihren Ohren auch etwas seicht und kitschig. So wie zu ihrer Zeit die Werke von Heinz G. Konsalik. Oder Groschenromane, in denen Liebesbeziehungen zwischen Personen in Kranken- oder Adelshäusern verhandelt würden. Dass solche Geschichten beliebt sind, kann Elsen aber verstehen.
„Es ist, als würde man einen schönen Film gucken. Es ist nicht allzu anstrengend und man ist sofort drin im Geschehen.“ Es gehe darum, zu wissen, was einen erwartet. Darum, sich nicht auf etwas Neues einlassen zu müssen, wenn man müde nach Hause kommt. Darum, in andere Welten einzutauchen, in denen man sich wohlfühle. Und dass Menschen dieses Gefühl suchten, sei nicht neu. „Schließlich haben wir auch alle heimlich Konsalik gelesen und die Schwarzwaldklinik geschaut.“
Junge Menschen lesen wieder – wegen BookTok und Lockdowns
Was Nora Poschen an dem BookTok-Trend besonders gut gefällt, ist, dass er dazu beitrage, dass junge Leute wieder mehr lesen. Doch nicht nur die App, sondern auch die Corona-Pandemie hätte dazu geführt, meint sie. „Die jungen Leute saßen so viel zu Hause, dass ihnen Seriengucken und Zocken irgendwann langweilig wurde.“ Deswegen hätten sie vermehrt zum Buch gegriffen.
Renate Elsen bestätigt das. Im ersten Corona-Jahr sei die Bücherecke in Blankenheim dank angebundener Poststelle durchweg geöffnet geblieben. Da seien plötzlich unglaublich viele Kunden gekommen, die wieder mehr lesen wollten – vor allem Eltern mit Kindern.
Für Elsen ist das vermehrte Lesen aber nicht nur eine Antwort auf die Langeweile des Lockdowns, sondern auch eine Reaktion auf die Welt, wie sie im Moment ist: „Wir haben dauerhaft Krisen und Kriege, vieles fühlt sich aktuell unsicher an.“ Da sei es nur allzu verständlich, dass die Menschen sich in andere, schönere, vielleicht stabilere Welten flüchteten. Dass gerade junge Frauen süchtig nach diesen Welten seien, die auf BookTok glänzend und pastellig gezeichnet würden, fiel Elsen besonders mit der Ausgabe des Kulturpasses auf. Einige junge Frauen, hätten nahezu die gesamten 200 Euro für diese Bücher ausgegeben.
Bad Münstereifeler Buchhändlerin zögerte lange, die Titel aufzunehmen
Trotzdem möchte Elsen die Ecke, die sie den BookTok-Titeln gewidmet hat, nicht vergrößern – und das, obwohl noch lange kein Ende des Trends in Sicht ist. Katharina Pütz, Inhaberin der Leserei in Bad Münstereifel hat sogar lange gezögert, die Titel überhaupt aufzunehmen. Immer wieder sei das Genre, das den jungen Leuten das Buch wieder nahebringe, im Feuilleton besprochen worden. Plötzlich habe das Fachblatt der Buchbranche eine „BookTok-Bestseller-Liste“ geführt, die gehandelt wurde, wie die junge hübsche Schwester der Spiegel-Bestseller-Liste. Trotzdem: „Wollen wir das? Müssen wir das?“, hat Katharina Pütz sich lange gefragt.
Doch als die Bücher dann doch peu à peu in die Leserei einzogen, fingen die Jugendlichen aus Bad Münstereifels vielen Schulen an, in den Pausen dort herumzustöbern. Wollten nicht von ihr beraten, sondern in Ruhe gelassen werden. Schließlich kannten sie die Bücher. Ihre Ecke in der Leserei wird bleiben. Vergrößern wird sie sich aber auch nicht. Schließlich sei der Job einer Buchhändlerin, den Kunden eine ausgewogene Vielfalt zu bieten. Und das riesige Angebot der abertausenden Neuerscheinungen zu kuratieren. Eine Auswahl aus dem „BookTok-Universum“ anzubieten sei eben, trotz des wahnsinnig guten Umsatzes, den die Titel generieren, nur ein Themenzweig unter vielen. Dieser Auffassung sind auch Elsen und Poschen.
Ein Algorithmus kann keine Buchhändlerin ersetzen
Der Algorithmus, der Amazon-Kunden, die dieses gekauft hätten, auch jenes empfiehlt, fördere genauso wie der BookTok-Algorithmus bloß immer mehr von dem Gleichen zutage, meint Nora Poschen. Und das sei toll. So sei die Person, deren Geschmack da gerade berechnet werde, in der Lage, immer mehr von dem, was sie zutiefst begeistert, zu lesen.
Aber der Buchhandel sei etwas anderes. Dort sinke man nicht nur immer tiefer in spezifische Themen hinein. Im Buchhandel weite man den Blick. Deswegen könnten BookTok-Algorithmen auch ganz sicher nicht die Arbeit einer Buchhändlerin ersetzen.
Dass die Leute über eine Kurzvideo-App zum Lesen kommen, hält Poschen für einen Zeitgeist-Indikator. Es sei doch normal, dass junge Leute sich eben ihren ganz eigenen Zugang zur Welt und zum Lesen suchen, und dass dieser sich eben manchmal von dem anderer Generationen unterscheide.
Ein Buch von Elke Heidenreich sei ausverkauft, wenn es in Fernsehen und Zeitung rauf- und runterbesprochen wurde. Ein Buch von Colleen Hoover eher, weil es viral ging. „Dieses Phänomen der verschiedenen Zugänge wird es immer geben. Selbst dann noch, wenn das Phänomen TikTok längst wieder ausgestorben ist“, meint Poschen.