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EuropawahlKreis Euskirchener Kandidaten sind ohne Chance und mit viel Herz im Wahlkampf

Lesezeit 5 Minuten
Vincent Lemke und Helena Vitt sitzen auf einer Bank an einem Tisch.

Treten für die SPD bei der Europawahl an: die Euskirchenerin Helena Vitt und der Sötenicher Vincent Lemke.

Aussichtsreiche Listenplätze haben Helena Vitt und Vincent Lemke nicht. Die SPD-Kandidaten werben für die europäische Idee und die Demokratie.

Helena Vitt kommt aus Euskirchen, hat im niederländischen Maastricht „European Studies“ studiert und ihren irischen Lebensgefährten auf einem Kongress in Berlin kennengelernt. Aktuell arbeitet die 28-Jährige vor allem in Duisburg. Am liebsten würde sie ihren Lebensmittelpunkt nach Brüssel verlegen. Aber, so realistisch muss sie sein, wird das im Juni nicht der Fall sein – zumindest noch nicht. Vitt kandidiert für die SPD bei der Europawahl, belegt aber den 77. Listenplatz.

„Das ist außergewöhnlich gut für jemanden, der zum ersten Mal kandidiert“, sagt Parteifreund Vincent Lemke. Auch der Sötenicher tritt für die Sozialdemokraten bei der Europawahl an. Der 25-Jährige ist auf Platz 90 Ersatzkandidat für Gero Schuch aus Aachen.

Für Vincent Lemke aus Sötenich ist Europa kein Neuland

Angefangen hat laut Lemke alles mit einem Telefonat mit SPD-Kreischef Thilo Waasem. „Helena will, willst du nicht auch?“, habe er gefragt, erinnert sich Lemke: „Ja, ich wollte und ich will immer noch.“ Für den Eifeler ist Europa aber kein Neuland. Er sei bereits in einer überregionalen, parteiinternen Arbeitsgruppe zum großen Thema „Europa“ gewesen, so Lemke: „So kam die Idee, dass wir auch im Kreis Euskirchen jemanden benötigen, der die SPD-Fahne hochhält, der sich klar nach Rechts abgrenzt, der keinen Raum für eine anti-europäische Haltung lässt.“

Ein Euskirchener Nummernschild an einem Auto.

Das „EU“ auf dem Nummernschild macht im Kreis deutlich, wie sehr Europa indirekt in der Region täglich sichtbar ist.

Und so führe er immer wieder Gespräche – egal, ob am Tresen in der Kneipe oder am Maifeuer vor vier Wochen – und mache auf die Vorteile von Europa aufmerksam, sagt Lemke: „Für mich ist die Europäische Union das größte Friedensprojekt des 20. und 21. Jahrhunderts.“ Zudem sei die EU ein „riesiger Wirtschaftsfaktor, der Arbeitsplätze sichert“, sagt der gelernte Versicherungskaufmann.

Helena Vitt hat im Studium die Folgen des Brexit miterlebt

Die 28-jährige Euskirchenerin hat nach eigenem Bekunden während ihres Studiums in Maastricht Träume platzen sehen – nicht ihre eigenen, aber die ihrer englischen Kommilitonen, die in den Niederlanden mit dem Brexit und dessen Folgen konfrontiert wurden. Europa sei ein wertvolles Gut, so Vitt: „Innerhalb der Parteien liegt der Fokus oft auf Bundestags- und Kommunalwahlen. Daher fanden wir es gut, dass wir mit einer eigenen Kandidatur, auch wenn sie aussichtslos ist, Gesicht vor Ort zeigen und so auch die Leute motivieren, Wahlkampf zu machen.“

Die 28-Jährige hebt im Gespräch mit dieser Zeitung hervor, „dass es schön zu sehen ist, dass die EU nicht mehr nur wirtschaftliche Aspekte im Blick hat, sondern es mittlerweile Mindestlöhne gibt und die EU viele soziale Standards in den Fokus gerückt hat“.

Junge Menschen sind heute viel mündiger und weiter, als das noch vor einigen Jahren der Fall war.
Vincent Lemke

Dass in der Geschichte der Europawahl erstmals ab 16 Jahren gewählt werden kann, finden beide Kandidaten gut. „Das ist ein wichtiger Schritt. Das sollte für alle Wahlen gelten“, sagt Lemke im Gespräch mit dieser Zeitung: „Junge Menschen sind politisch so umfassend gebildet und gereift.“ Die junge Generation sei in den vergangenen Jahren von Krise zu Krise geeilt, habe mitunter auf viel verzichten müssen. „Es ist sehr wichtig, dass junge Menschen eine Teilhabe haben. Junge Menschen sind heute viel mündiger und weiter, als das noch vor einigen Jahren der Fall war“, so der Sötenicher.

Kandidaten im Kreis Euskirchen wollen sich nicht nur aufregen

Seine Parteifreundin Vitt sei das beste Beispiel dafür. „Ich bin mit 15 in die Partei eingetreten“, sagt die Euskirchenerin: „Es gab keinen konkreten Auslöser, aber ich war politisch interessiert. Ich wollte nicht nur die Nachrichten gucken und mich aufregen. Ich wollte politisch aktiv werden.“

Eine Antwort in der Bürgermeistersprechstunde des Kaller Gemeinderats hat vor etwa sechs Jahren den Startschuss für Lemke gegeben, sich politisch zu engagieren. Die Antwort von Bürgermeister Hermann-Josef Esser (CDU) auf die Frage Lemkes, warum er als junger Mensch in der Region bleiben solle und wie die Perspektive für die jüngere Generation sei, habe ihm nicht gefallen.

„Er sagte, dass er einen Brief schreiben werde. Den habe ich übrigens bis heute nicht erhalten“, so Lemke. Dann sei er Karl Vermöhlen in die Arme gelaufen. Daraus entstand sein Engagement bei den Kaller Sozialdemokraten. „Ich kann als 18-, 19-Jähriger etwas für meine Heimat verbessern. Das ist meine Motivation“, so der 25-Jährige.

SPD-Kandidaten feiern auch kleine Erfolge – etwa die Handykabel

Besonders wichtig sei es, die jüngere Generation mitzunehmen, sagt auch Vitt. „Das Thema Steuerhinterziehung oder -vermeidung darf nicht länger als Naturgesetz gelten“, betont sie: „Es müssen eine internationale Regulierung gefunden und ein Standard für alle geschaffen werden, um ein Europa zu kreieren, von dem alle gleichermaßen profitieren.“

Kleine Erfolge wie die bald einheitlichen Handyladekabel seien genauso wichtig wie die Anhebung des europaweiten Mindestlohns. „Wir haben im Kreis viele junge Gesichter bei der SPD. Die Älteren sind froh, dass die jüngere Generation das Heft des Handels in die Hand nimmt“, sagt Lemke, der mit seiner Mitstreiterin und dem SPD-Team in der letzten Woche vor der Wahl noch kräftig Werbung machen will – für die Sozialdemokraten, aber auch für Europa im Allgemeinen.

Genau wie für Vitt ist Europa auch für Lemke täglich greifbar. Der Eifeler hat nämlich in Roetgen sein Versicherungsbüro und fährt auf dem Weg dorthin auch ein Stück durch Belgien. „Das wäre früher nicht so einfach möglich gewesen“, sagt er. Und ergänzt: „Viele Orte wären nicht so, wie sie heute sind, wenn es die Europäische Union nicht geben würde.“ Abgesehen vom Mobilfunkbetreiber im Handydisplay, sei da heute kein Unterschied mehr sichtbar.


Versand der Unterlagen ist kostenfrei

Am Sonntag, 9. Juni, findet die Europawahl statt. Deutsche Staatsangehörige sowie Unionsbürgerinnen und Unionsbürger können ihre Stimme abgeben, sofern sie mindestens 16 Jahre alt und an ihrem Wohnort ins Wählerverzeichnis eingetragen sind.

Es ist auch wieder möglich, per Briefwahl zu wählen. Im Kreis Euskirchen sind nach Angaben von Kreis-Pressesprecher Wolfgang Andres 156.054 Menschen wahlberechtigt. Darunter sind erstmals 3439 Wahlberechtigte im Alter von 16 und 17 Jahren. Die Zahl der wahlberechtigten Frauen (79.531) überwiegt die Anzahl der Männer (76.523). In NRW enthält der Stimmzettel 34 Wahlvorschläge (Parteien und Listen).

Briefwahlunterlagen können bei den zuständigen Stadt- und Gemeindeverwaltungen spätestens bis zum 7. Juni, 18 Uhr, angefordert werden. Verlorene Wahlscheine werden übrigens nicht ersetzt. Einer wahlberechtigten Person, die glaubhaft versichert, dass ihr ein beantragter Wahlschein nicht zugegangen ist, kann bis Samstag, 8. Juni, 12 Uhr, ein neuer Wahlschein erteilt werden. Die Briefwahlunterlagen sind zurückzusenden. Das Porto übernimmt der Bund.