Nadine Schäfer ist zehn Jahre lang Opfer häuslicher Gewalt geworden. Mit dem Vater ihrer vier Kinder teilt sie sich das Sorgerecht – noch.
Schläge und TritteEuskirchenerin gelingt mit vier Kindern Flucht aus häuslicher Gewalt
„Ich hatte immer die Hoffnung, dass er sich ändert“, sagt Nadine Schäfer (Name geändert). Beleidigungen, Demütigungen, Schläge, Tritte – sogar Bisse hat die 33-Jährige über sich ergehen lassen. Der Gewalt folgte tatsächlich immer wieder die erhoffte Besserung. Dann gab es Blumen statt Blutergüsse. Doch nach ein paar Tagen war das wieder vorbei – und es wurde noch heftiger.
Dreimal sei sie ins Schutzhaus geflohen, sagt die Bonnerin, die mittlerweile in Euskirchen lebt. Dreimal habe sie versucht, der häuslichen Gewalt zu entkommen. Erst beim vierten Mal hat es geklappt. Erst dann sei sie nicht mehr schwach geworden, wie sie es nennt. Nach zehn Jahren gab sie die Hoffnung auf, dass der Vater ihrer vier Kinder endlich zu einem liebevollen Freund wird.
Häusliche Gewalt: Opfer aus Euskirchen möchte heute ein Vorbild sein
Heute möchte Nadine Schäfer ein Vorbild sein. Vorbild für Frauen, die ein ähnliches Schicksal erleiden, wie sie es mehr als zehn Jahre erduldet hat. „Häusliche Gewalt ist ein Tabuthema. Das darf es nicht sein. Es muss darüber geredet werden“, sagt Schäfer. Und genau das tut sie. Die Wahl-Euskirchenerin geht heute offen mit ihrer Vergangenheit um, in der die Gewalt durch ihren damaligen Partner 2012 während der ersten Schwangerschaft begann.
Zunächst sei es vor allem psychische Gewalt gewesen, die er ausgeübt habe. „Ich habe gehofft, dass er nur eine schlechte Phase hat“, sagt Schäfer. Sich anderen, beispielsweise Freundinnen, anvertrauen? Laut Nadine Schäfer war ihr das nicht möglich. Sie habe praktisch isoliert mit ihrem Partner und dessen Eltern unter einem Dach gelebt.
Er habe ihr verboten, ein Handy zu besitzen. Kontakt zur Außenwelt habe sie nur beim Einkaufen gehabt – und auch da sei sie immer von ihrem Partner oder dessen Eltern begleitet worden. „Ich habe die Schuld immer bei mir gesucht. Überlegt, ob ich irgendwas gemacht habe, dass er vielleicht eifersüchtig ist oder so“, sagt die 33-Jährige.
Nadine Schäfer kaschierte die Spuren der Gewalt mit Make-up
Als die Gewalt auch körperlich wurde, kaschierte sie die Spuren mit Make-up und einem Schal um den Hals, den sie auch bei höheren Temperaturen trug. „Ich bin nicht jemand, der häufig seinen Partner wechselt. Ich wollte, dass es mit ihm klappt“, sagt sie.
Und heute? „Natürlich habe ich mir im Nachhinein Vorwürfe gemacht, dass ich so dumm war und nicht früher den Absprung geschafft habe.“ Silvia Alt, Sozialarbeiterin beim Euskirchener Verein „Frauen helfen Frauen“, will die Selbstkritik nicht einfach so stehen lassen: „Ich würde das nie als Dummheit bezeichnen. Jeder sehnt sich nach Harmonie und hat die Hoffnung, dass sich der Mann ändert.“
Häusliche Gewalt: Polizei und Jugendamt waren in Fall involviert
Die Geschichte von Nadine Schäfer stehe in vielerlei Hinsicht exemplarisch für viele Fälle, mit denen sie in den vergangenen 30 Jahren zu tun gehabt habe. Frauen mit einem Migrationshintergrund verlassen laut Silvia Alt ihren gewalttätigen Mann eher später, „weil es für sie aufgrund des vorherrschenden Frauenbilds gefühlt normal ist, unterdrückt zu werden.“
Trotz dickerem Make-up oder einem Tuch um den Hals seien die Gewaltausbrüche ihres Partners nicht unentdeckt geblieben, sagt Schäfer. Eine Erzieherin der Kita habe sie angesprochen, ihr Hilfe angeboten – erfolglos. Die Polizei sei ebenfalls öfter bei ihnen gewesen, sagt Schäfer. Das Jugendamt war involviert. Ein Mitarbeiter einer externen Familienhilfe habe sich der Familie angenommen, nachdem sie in einem Frauenhaus Schutz gesucht hatte.
Doch wie Silvia Alt berichtet, sei das für Nadine Schäfer kein Vorteil gewesen: Der Mitarbeiter habe gegen Vorgaben des Jugendamtes gehandelt, indem er die Eltern ihres Partners zum Schutzhaus gebracht habe. Und es passierte, was laut Silvia Alt immer passiert: „Wenn man ins Schutzhaus geht, ändert sich etwas. Plötzlich ist der Mann nett.“ Schäfer schildert die Situation so: „Er hat auf die Tränendrüse gedrückt. Gesagt, dass er mich liebt und man ja eine Familie sei. Damit hatte er mich dann wieder.“
Am 13. Januar 2021 wurde aus der Liebe erneut Gewalt – psychisch, am Telefon. Bevor sie körperlich werden konnte, zog Schäfer endgültig die Reißleine. „Mein Freund war über Nacht nicht zu Hause. Am Telefon hat er mir gedroht, dass ich mein blaues Wunder erlebe, wenn er zu Hause ist“, erinnert sie sich.
Daraufhin habe sie ihre Kinder genommen und zur Kita gebracht. Schäfer vertraute sich dort den Erzieherinnen an. Die riefen sofort das Jugendamt an und schlossen die Tür ab. „Ich hatte nur das mit, was ich am Körper trug. Und ein bisschen Babynahrung in einer Mülltüte für meinen jüngsten Sohn. Ich hatte kein Portemonnaie, nichts“, sagt die 33-Jährige.
Trotz Schlägen und Demütigungen: Geteiltes Sorgerecht für Mutter und Vater
Über den Hinterhof der Kita sei sie mit ihren Kindern in zwei Autos zum Schutzhaus gefahren worden, während vor der Kita-Tür der Vater ihrer Kinder und dessen Eltern mit der Polizei stritten. Eine Mitarbeiterin des Jugendamts habe ihr Ausweis, Geld und andere persönliche Dinge nach und nach ins Schutzhaus gebracht. „Es war ein Neuanfang mit Nichts“, sagt Schäfer.
Der Neuanfang mit vier Kindern und in einem Zimmer dauerte eineinhalb Jahre. Erst dann fand sie nach mehr als 100 Gesprächen mit potenziellen Vermietern ein Haus in Euskirchen. Ein Neuanfang, der viel Kraft kostete. Denn wieder mussten Zweifel ausgeräumt werden, ob es der richtige Schritt war. Es mussten Antworten auf die Fragen gefunden werden: Wie gehen die Kinder mit der neuen Situation um? Bekomme ich das Finanzielle gestemmt? Und wie reagiert der Vater, ihr Exfreund?
Körperliche Gewalt blieb zwar aus, die psychische ging aber weiter. Der Vater darf die Kinder nämlich weiterhin sehen – zunächst alle zwei Wochen für zwei Stunden, dann wöchentlich für zwei Stunden. Immer in Begleitung einer sogenannten Umgangspflegerin. Während dieser Besuche machte ihr ehemaliger Partner ihr vor den Kindern Vorwürfe, dass sie Schuld an der Situation sei. Auch seine Eltern haben es laut Schäfer in jeder denkbaren Situation so hinzubiegen versucht, dass sie die Schuldige sei: „Sie haben beispielsweise gesagt, dass ich mir das alles nur ausdenke.“
Anders als Nadine Schäfer zieht das Gericht keinen Schlussstrich. Es entscheidet, dass das Sorgerecht für die drei, fünf, sieben und zehn Jahre alten Kinder aufgeteilt wird. „Es ist Alltag bei unserer Arbeit, dass der Schutz der Kinder von den Gerichten nicht priorisiert wird, sondern die gesetzlichen Rechte des Vaters eine wichtigere Rolle spielen. Die Gerichte berücksichtigen nicht die Gewalt, die im Raum steht“, klagt Silvia Alt.
Euskirchen: Mutter von vier Kindern will um das alleinige Sorgerecht kämpfen
Nadine Schäfer will für das alleinige Sorgerecht kämpfen. Sie will mehr als das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das besagt, dass sie über Dinge wie Arztbesuche und Schulanmeldungen alleine entscheiden kann. Sie müsse lediglich im Nachgang den Vater, zu dem sie aktuell nach eigenen Angaben seit eineinhalb Monaten keinen Kontakt mehr hat, über ihre Entscheidungen informieren.
Aktuell sucht Schäfer nach einer Kinderpsychologin. Sie merke, dass die Vergangenheit Spuren bei ihren Kindern hinterlassen hat: „Sie weisen bestimmte Verhaltensweisen auf. Meine Tochter hat im Schutzhaus beispielsweise gebissen. Das ist eindeutig eine Folge aus der Familienzeit, weil auch ich ja gebissen worden bin.“
Und sie selbst? Würde manchmal am liebsten einfach nur heulen. Auch bei ihr haben die vergangenen Jahre Spuren hinterlassen. Es sind Spuren, die nicht mehr sichtbar sind und die kein Make-up kaschieren kann. Doch ihr Blick richtet sich nach vorne: „In drei Jahren hätte ich gerne den Führerschein und ich möchte arbeiten.“ In ihrem erlernten Beruf als Bürokauffrau wolle sie aber nicht mehr arbeiten: „Ich möchte etwas im sozialen Bereich machen. Im Idealfall würde ich gerne Frauen helfen, die eine ähnliche Vergangenheit haben wie ich.“
Das Schutzhaus in Euskirchen
Nach Angaben von Silvia Alt, Sozialarbeiterin bei Frauen helfen Frauen, ist das Schutzhaus für Frauen und Kinder im Kreis Euskirchen voll. Platz bietet es bis zu acht Frauen und 16 Kindern. Aktuell seien es aber weniger Frauen, die untergebracht werden können, weil es einen ausgeprägten Wasserschaden gibt. Der Bedarf sei seit Jahren steigend, berichtet die Expertin.
Wie die Euskirchener Polizei berichtet, ist während der Corona-Pandemie die Zahl der Anzeigen wegen häuslicher Gewalt um 40 Prozent gestiegen. Etwa 350 Anzeigen seien im vergangenen Jahr gestellt worden, heißt es von der Euskirchener Polizei. (tom)