Gewaltschutz und Umgangsrecht stehen laut Mitarbeiterinnen des Frauenschutzhauses in Euskirchen im Konflikt miteinander.
FrauenhäuserEuskirchener Sozialarbeiterin sieht Kindeswohl durch Umgangsrecht gefährdet
Niemand geht gerne ins Frauenhaus. Für alle, die dort ankommen, ist es die letzte Konsequenz auf einem langen Weg des Leidens, oftmals verbunden mit körperlicher und sexualisierter, fast immer mit psychischer Gewalt.
Gewaltschutz wird laut Sozialarbeiterin von Umgangsrecht übergangen
Wie fast überall im Land ist auch das Schutzhaus für Frauen und Kinder in Euskirchen nahezu durchgehend voll belegt. Die Frauen bleiben oft viele Monate, ehe sie stabil genug sind, in die Selbstständigkeit zu gehen.
„Unsere Hilfe soll nachhaltig sein. Die Frauen können bleiben, bis sie es allein schaffen“, sagt Silvia Alt, die seit der Gründung des Schutzhauses 1992 dort tätig ist. In der Regel funktioniere das auch, die wenigsten würden zurückgehen zu ihren gewalttätigen Partnern.
Probleme in der täglichen Arbeit tun sich den Mitarbeiterinnen des Schutzhauses an ganz anderer Stelle auf: „Bei der Durchsetzung des Umgangsrechts von Vätern und ihren Kindern haben wir den Eindruck, dass der Gewaltschutz fast immer ausgeblendet wird.“
Gerichte werten häusliche Gewalt zu selten als Kindeswohlgefährdung
Mit dieser Klage steht die Euskirchener Einrichtung nicht allein da. „Kinder sind von häuslicher Gewalt mittelbar und unmittelbar betroffen. Sie erleben und beobachten die Gewalt gegen ihre Mutter oder erfahren selbst Gewalt. Viele entwickeln Verhaltensstörungen sowie langfristige emotionale und kognitive Probleme. Im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung zu Sorge und Umgang wird dieser Zusammenhang jedoch viel zu wenig beachtet“, sagt beispielsweise der Verein Frauenhauskoordinierung.
Julia Weber, die eigentlich anders heißt, lebte mit ihren beiden Töchtern vier Monate im Schutzhaus. Körperliche Gewalt habe sie in ihrer Partnerschaft nicht erfahren, psychische dafür umso mehr. „Er hat regelmäßig damit gedroht, mich umzubringen. Und es gab Waffen im Haus“, erzählt sie. Die Mittdreißigerin beschreibt ihren Ex-Partner als sehr klug, aggressiv und unberechenbar.
Ihre Kinder und sie seien zutiefst eingeschüchtert gewesen, hätten sich zuletzt nachts immer in einem Zimmer im Haus eingeschlossen, aus Angst. „Bei der ersten Verhandlung sagte mir die Richterin, dass sie mir nicht glaube. Nach drei begleiteten Umgängen wurden unbegleitete Treffen angeordnet. Und ich muss die Kinder persönlich übergeben, da keine Umgangsbegleitung festgelegt wurde.“ Ihrem mütterlichen Schutzinstinkt widerspreche es zutiefst, ihre Kinder dem gewalttätigen Vater ohne Aufsicht überlassen zu müssen.
Umgangsrecht soll Kindern Beziehung zu beiden Elternteilen ermöglichen
Mehr als einmal hätten die Töchter mitbekommen, wie ihr Vater „eskaliert“ sei, wie er Flaschen an die Wand geschmissen, die Mutter bedroht und Einrichtungsgegenstände zertrümmert habe. „Ich habe die Zerstörungen auch gefilmt. Aber sehen wollte das niemand“, so Julia Weber, die immer noch Angst vor ihrem Ex-Mann hat. „Ich habe in meinem neuen Zuhause als Erstes eine Kamera installiert. Ich rechne ständig damit, dass er plötzlich vor der Tür steht.“
In der vom Bundesministerium für Familie, Frauen, Kinder und Jugend herausgegebenen Fortbildungsbroschüre „Kindschaftssachen und häusliche Gewalt“, die sich an die Akteure im familiengerichtlichen Verfahren wendet, die an der Regelung des Umgangs, der elterlichen Sorge und der Feststellung der Kindeswohlgefährdung nach häuslicher Gewalt mitwirken, heißt es: „Gedanklich wird das Umgangsrecht meist mit dem Wunsch verbunden, dem Kind trotz Trennung seiner Eltern die Beziehung zu beiden Elternteilen zu erhalten sowie dem getrenntlebenden Elternteil die Aufrechterhaltung des Kontakts zu ermöglichen.“
Das Bundesverfassungsgericht habe diese Bedeutung des Umgangsrechts wiederholt herausgearbeitet: Dem umgangsberechtigten Elternteil soll es möglich sein, sich persönlich vom Befinden des Kindes und seiner Entwicklung zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten und „dem Liebesbedürfnis Rechnung zu tragen“.
Umgangskontakte durch Gewaltäter schaden Kind und betroffenem Elternteil
Die Durchführung von Umgangskontakten nach häuslicher Gewalt sei als Ausdruck von Interesse und Liebesbedürfnis sicherlich unangemessen gerahmt und könne folglich auch nicht per se als etwas „Gutes“ für die Entwicklung des Kindes gewertet werden, heißt es in der Broschüre.
„Im Gegenteil, es stellt sich die Frage, ob Umgangskontakte das Kind nicht schädigen oder mit Gefährdungen für den gewaltbetroffenen Elternteil verbunden wären und daher ausgeschlossen oder beschränkt werden müssen“, so die Autoren Thomas Meysen und Katharina Lohse.
Im Büro des Euskirchener Schutzhauses für Frauen und Kinder sitzt Daniela Fuchs (Name geändert), die dort mit ihrer Tochter sieben Monate gelebt hat, ehe sie in eine eigene Wohnung zog. Alles habe harmlos angefangen, sei aber immer schlimmer geworden: „Ich durfte nichts entscheiden, nicht allein vor die Tür, hatte kein Handy, keinen Zugang zum Konto.“ Als ihr Partner eines Tages die Scheibe über dem Babybett zertrümmerte, in dem die Tochter lag, kam die Polizei und verwies ihn der Wohnung.
„Die Richterin meinte, ich solle mir einen Ruck geben“
„Über das Jugendamt habe ich dann eine Familienhilfe bekommen, die ein Jahr lang bei uns war. Irgendwann hat diese von sich aus eine Trennung ins Spiel gebracht.“ Alles ging dann sehr schnell, als die Familienhelferin zufällig einen der Ausraster des Mannes miterlebte, „und so sind wir ins Frauenhaus gekommen“, sagt Daniela Fuchs. „Wir bekamen damals den Anruf, dass Mutter und Kind dringend raus müssen, der Vater sei drogenabhängig, hochgradig gefährlich, ein weiterer Aufenthalt dort riskant“, erzählt Silvia Alt.
„Nur sechs Tage später hat das Jugendamt einen Umgang mit dem Vater von drei Stunden angeregt“, so die Sozialarbeiterin, die anfügt: „Und das ist kein Einzelfall. Es ist leider die Regel.“
Bei beiden Verhandlungen vor dem Familiengericht waren die Mitarbeiterinnen, die Daniela Fuchs bis dahin betreut hatten, nicht anwesend. Das Jugendamt und der eingesetzte Verfahrenspfleger attestierten, dass einem Umgang mit dem Vater nichts entgegenstehe.
„Die Richterin meinte, ich solle mir einen Ruck geben und dem zustimmen“, so die Mutter. Am Ende wurde der Umgang gegen ihren Willen angeordnet: „Nach meinem Dafürhalten wurde hier nicht zum Wohle meiner Tochter entschieden, sondern zum Wohle des Vaters, der sich bis dahin nicht ein einziges Mal um sein Kind gekümmert hat.“
Umgangsrecht wird vor Gericht häufig stärker gewichtet als Kindeswohl
Kinder, die Gewalt gegen ihre Bezugsperson miterleben, fühlen sich selber bedroht. Das wiederum wirkt sich vielfältig negativ auf ihre Entwicklung aus – dafür gibt es hinlänglich Belege. Ganz zu schweigen von jenen Kindern, die selber geschlagen oder misshandelt wurden.
„Aber selbst wenn die Kinder klar Stellung beziehen und keinen Kontakt zum Vater wünschen, erleben wir leider häufig, dass im Verfahren versucht wird, darauf Einfluss darauf zu nehmen“, so Silvia Alt.
Bisweilen nehme die Durchsetzung des Umgangs mit dem Vater groteske Züge an, sagt die Schutzhaus-Mitarbeiterin und erzählt von einer Frau, bei der nach ihrer Flucht sogar Polizeischutz angeordnet worden war, um sie vor dem gewalttätigen Ehemann zu schützen.
Das zuständige Jugendamt sprach sich zwar gegen den Kontakt der Kinder zum Vater aus, die Richterin habe diesen dennoch angeordnet: „Und so kamen hier regelmäßig zwei Mannschaftswagen voller Polizisten vorgefahren, um die Kinder zum begleiteten Umgang abzuholen. Weitere Beamte umstellten dann das Jugendamtsgebäude, und auch in dem Umgangsraum selber galt höchste Sicherheitsstufe mit Anwesenheit der Polizei.“