Thankgod ist zuerst in die Ukraine geflüchtet, nach Ausbruch des Krieges nach Deutschland. Hier hat er nun eine Ausbildung zum Bäcker begonnen.
Langfristige Lösungen findenWie die Berater im Kreis Euskirchen bei der Integration helfen
Monika Schwingeler sitzt in dem großen hellen Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss des Kombibaus in Weilerswist. Nebenan findet in den dortigen Klassenzimmern der Gesamtschule Unterricht statt, in den Stockwerken darüber haben Geflüchtete vorübergehend ein Zuhause gefunden. Für den 27-jährigen Nigerianer Thankgod keine Lösung auf lange Sicht. Das Zimmer, das er sich mit drei weiteren Menschen teilt, bietet keine Ruhe und keine Rückzugsmöglichkeit. Und die braucht der junge Mann, der als Bäckerlehrling nicht nur einen sehr frühen Arbeitsbeginn und Schichten hat, sondern auch noch Zeit zum Lernen benötigt.
Thankgod hat eigentlich BWL studiert, und zwar in Charkiv in der Ukraine. Er gehört zu jenen Menschen, die nach Ausbruch des Krieges über Polen nach Deutschland flüchteten. Im Gegensatz zu Ukrainern erhalten die Geflüchteten aus Drittstaaten in Deutschland aber keinen vorübergehenden Schutz und sind von Abschiebung bedroht. Thankgod hat deshalb damals Asyl beantragt – was seine Chancen, bleiben zu können, jedoch nicht verbessert: „Nigeria ist ein sicheres Herkunftsland, im Sinne der Gesetzgebung“, erklärt Monika Schwingeler.
Beraterinnen zeigen Geflüchteten im Kreis Euskirchen mögliche Wege auf
Sie ist eine von drei Case-Managerinnen, die das DRK im Kreis Euskirchen über das Landesprojekt Kommunales Integrationsmanagement (Kim) installiert hat. Mit ihren mobilen Büros beraten sie Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Kall, Nettersheim, Zülpich und Weilerswist.
Seit Sommer letzten Jahres gehört Thankgod zu ihren Klienten. „Er hat schon zum zweiten Mal sein ganzes Leben hinter sich gelassen“, sagt sie über den 27-Jährigen. Körperlich und psychisch, so der junge Mann, habe er große Hürden nehmen müssen. Monika Schwingeler habe dabei eine wichtige Rolle gespielt. „Mit ihr konnte ich über alles sprechen. Sie hat mir den Leitfaden für ein Leben hier gegeben und Wege aufgezeigt, die ich gehen kann.“ Konkret bedeutet das für Thankgod, eine Ausbildung zu absolvieren und möglichst bald auf eigenen Beinen zu stehen. Arbeitsmarktintegration nennt man das, „einer der wichtigsten Bausteine, die wir haben“, erklärt die Case-Managerin.
Thankgod, der mittlerweile gut Deutsch spricht, startete schließlich seine Lehre in einer Großbäckerei – und ist damit sehr glücklich: „Ich liebe meine Arbeit. Alle sind freundlich und geduldig. Es fühlt sich für mich wie eine neue Familie an.“
Junger Nigerianer hat eine Ausbildung in einer Bäckerei begonnen
Das frühe Aufstehen sei schon herausfordernd, aber noch viel schwieriger ist es, zum Arbeitsplatz in Kuchenheim zu gelangen. „Um diese frühe Uhrzeit gibt es keinen Bus. Ich habe mir deshalb einen kleinen E-Roller gekauft.“ Ob einem jungen Mann, der eigentlich Manager werden wollte, das Bäckerhandwerk nicht zu simpel ist? Thankgod verneint und sagt: „Es geht bei Bildung nicht so sehr um Inhalte, sondern darum, die Chancen zu erkennen und zu ergreifen, die direkt vor einem liegen.“ Lachend fügt er hinzu: „Und außerdem braucht ihr Deutschen morgens frische Brötchen.“
Das Case-Management sei immer Beratung auf Augenhöhe, die Würde des Menschen achtend, sagt Monika Schwingeler. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit sei das Schnittstellenmanagement – also das Einbinden aller, die irgendeinen Kontext zur Zuwanderung haben, von Behörden und Ämtern über Beratungsstellen bis hin zu Ehrenamtlern.
„Wir stehen als definierte Ansprechpartner zur Verfügung – für die Klienten wie für das Jobcenter, das Sozialamt, Kirchen, Tafel und so weiter.“ Schnittstellenmanagement will die Prozesse und die Kommunikation zwischen den Handelnden optimieren. Und das gelingt erstaunlich gut: „Es werden so viele wunderbare Lösungen gefunden! Manchmal reicht ein Telefonat mit dem Rathaus. Die Leute da kennen uns persönlich, sie wissen, mit wem sie es zu tun haben.“
Die Case-Manager haben eine spannende Aufgabe
Der Job der Case-Managerin setze unbedingt kommunikative Fähigkeiten voraus. „Wir müssen in unserer Rolle Perspektivwechsel beim jeweiligen Gegenüber anbieten, Verständnis schaffen, Dinge hinterfragen und aushandeln oder Ermessensspielräume abklopfen“, erklärt Schwingeler. „Das ist eine spannende Aufgabe.“ Unterstützt wird dies von den sieben weiteren Kolleginnen und Kollegen des DRK-Teams Migration/Integration, dem die drei Case-Managerinnen angehören.
Jedes Case-Management beginnt mit der Bedarfsermittlung und der Frage, was davon vorrangig ist. Bei Thankgod stand zunächst der unsichere Aufenthaltsstatus im Fokus. Gemeinsam habe man nach einer passenden Ausbildung gesucht und eine Vielzahl an Bewerbungen rausgeschickt – denn wer in Ausbildung ist, darf erst einmal bleiben. Jetzt gehe es um die Wohnsituation: Der junge Mann benötigt dringend ein bezahlbares Appartement oder ein Zimmer, von dem aus Bäckerei und Berufsschule mit dem ÖPNV gut zu erreichen sind.
Ihren Klienten sieht Monika Schwingeler auf einem guten Weg. Mittlerweile hilft der 27-Jährige anderen Zugewanderten, sich im Dschungel der deutschen Behörden zu orientieren. „Letztens habe ich mit jemandem geübt, wie ein Vorstellungsgespräch abläuft“, so Thankgod. „So etwas macht mich glücklich, und ich kann auf diese Weise etwas an die Gesellschaft zurückgeben.“
Das Integrationsmanagement
Seit Mai 2021 wird das Kommunale Integrationsmanagement, kurz Kim, im Kreis Euskirchen umgesetzt. Kim ist das bislang größte integrationspolitische Förderprogramm des Landes NRW, dessen Ziel es ist, die Teilhabechancen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte weiter zu verbessern. Zusammengefasst geht es um die kommunale Steuerung und Organisation von Integrationsprozessen von „der Einreise bis zur Einbürgerung“.
Unter dem Dach des Teams Migration/Integration des DRK Kreis Euskirchen sind drei Case-Manager-Stellen geschaffen worden, die Zugewanderte längerfristig beraten und begleiten. In Euskirchen, Kall, Weilerswist und Zülpich gibt es zudem offene Sprechstunden, die einen besonders niederschwelligen Zugang bieten, der auch von vielen Menschen wahrgenommen wird.
Das Angebot ist vertraulich, unabhängig und kostenlos und richtet sich vor allem an Erwachsene ab 27 Jahren mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus. In ausführlichen Gesprächen liegt der Fokus auf den Ressourcen und Stärken des Klienten. Gemeinsam werden Perspektiven für ein selbstständiges Alltags- und Berufsleben entwickelt. Welche Wirkung Kim im Leben Zugewanderter im Kreis Euskirchen entfaltet und worin der seitens der Politik beschriebene Paradigmenwechsel in der Praxis besteht, darüber berichten wir in einer Serie in dieser Zeitung.