Ampel-Aus in Berlin – und im Kreis Euskirchen ist plötzlich Wahlkampf. Das kostet die Parteien große Anstrengungen – und auch mehr Geld.
Plötzlich WahlkampfAmpel-Aus stellt Parteien im Kreis Euskirchen vor Herausforderungen
Nun muss alles schnell gehen. Nach dem Ampel-Aus in Berlin müssen die Kandidaten im Wahlkreis 91 (Kreis Euskirchen und die Rhein-Erft-Städte Erftstadt, Wesseling und Brühl) sowie ihre Kreisparteien rasch auf Wahlkampfmodus umschalten. Bundestags- und Kommunalwahl finden nun doch nicht, wie zunächst geplant, an einem Tag statt. Die damit verbundenen strategischen und finanziellen Synergieeffekte sind dahin.
Das sind die Bundestagskandidaten im Kreis Euskirchen
Während sich bei den Bewerbern von CDU, FDP und AfD personell nichts ändern dürfte, geht aller Wahrscheinlichkeit nach für die SPD mit Andrea Kanonenberg eine Kandidatin an den Start, die (noch) nicht Mitglied des Bundestages ist.
Sie muss sich nun in kurzer Zeit im Wahlkreis bekannt machen und hat auch kein Abgeordnetenbüro im Hintergrund. Ist das ein Problem für sie? „Ich bin hoch motiviert und ich habe viele Leute um mich, die hoch motiviert sind. Ich nehme den Wahltermin so, wie er kommt“, hält die 43-Jährige dem entgegen.
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Am 30. November soll sie offiziell nominiert werden. Natürlich hoffe sie auch auf einen guten Listenplatz. Die derzeitige und scheidende SPD-Abgeordnete, Dagmar Andres aus Erftstadt, hatte es 2021 auf diesem Wege ins Hohe Haus geschafft. Und dann stellt sich noch die Frage, mit und für welchen Kanzlerkandidaten sie denn lieber kämpfe: Scholz oder Pistorius?
So urteilen Politiker aus dem Kreis über Scholz und Lindner
„Ich habe einen Kanzler und mit dem gehe ich ins Rennen“, antwortet die Wesselingerin klar: „Das heißt nicht, dass ich Herrn Pistorius nicht für einen hoch qualifizierten Menschen mit tollen Beliebtheitswerten halte.“ Aber der Kanzler stelle jetzt alles für die Zukunft auf. Dessen Entscheidung vom Mittwoch halte sie für richtig: „Es war an der Zeit. Herr Lindner hat den Schritt vom Parteivorsitzenden zum Minister nie vollzogen und die Arbeit der Koalition belastet.“
Beim abendlichen Spaziergang durch Berlin hat Detlef Seif am Mittwoch per Handy von den Ereignissen erfahren, die sich unweit im Kanzleramt abspielten. „Ich finde das menschlich unter allem, was man sich so vorstellen kann“, sagt der Weilerswister über das Statement von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), in dem er die Entlassung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) begründete.
Die Forderungen des FDP-Chefs nach einer Änderung der Politik seien nachvollziehbar, so Seif. Die Ampel habe es verpasst, nach dem Vollangriff Russlands auf die Ukraine eine neue Priorisierung vorzunehmen. Dass nun schon bald der Wahlkampf starten dürfte, störe ihn nicht, sagt Seif: „Ich gehöre zu den Politikern, die eigentlich ab dem ersten Tag nach der Wahl bemüht sind, eine gute Politik zu machen. Darin sehe ich den besten Wahlkampf.“
So sei es für ihn auch nicht so wichtig, wann gewählt werde. Folgerichtig wäre es aber aus seiner Sicht gewesen, wenn Scholz schon in den kommenden Tagen die Vertrauensfrage stellen würde. „Also das, was Lindner auch angeregt hatte. Das wäre der richtige Weg“, so Seif. Die Union jedenfalls könne keine „vergifteten Angebote“ von der Minderheitsregierung annehmen. „Das würde auch kein Mensch verstehen, wenn man sagte: ,Wir warten jetzt mal ab und du kannst in Ruhe deine Vertrauensfrage stellen'“, erläutert der Christdemokrat.
Für die Kreisparteien wird das Wahljahr 2025 nun teurer
Der Kommunalwahl hätte er ein Zusammengehen mit der Bundestagswahl gegönnt. Das erhöhe die Wahlbeteiligung und auch den Mobilisierungsgrad in der CDU. „Aber es liegt ja an uns, durch gute und überzeugende Politik den Kommunalpolitikern Rückendeckung zu geben.“ Dass er aufgrund des neuen Wahlgesetzes nicht in den Bundestag kommen könnte, selbst wenn er im Wahlkreis gewinnen sollte, bereite ihm keine schlaflosen Nächte, versichert Seif.
Das treffe auf Wahlkreise zu, in denen der oder die Führende mit geringem Prozentwert die meisten Stimmen erreiche, beispielsweise mit 23 oder 24 Prozent vorne liege. „Das ist aber in NRW derzeit nicht abzusehen“, sagt Seif.
Sein Abgeordnetenkollege Markus Herbrand (FDP) hatte wegen einer fiesen Erkältung das Ampel-Aus am Fernseher verfolgt, war dann aber in die nächtliche Fraktionssitzung digital zugeschaltet. „Ich bin mir nicht sicher, dass der Zeitplan von Olaf Scholz aufgeht“, sagt Herbrand. Dass CDU/CSU, die ja eine frühe Vertrauensfrage forderten, die rot-grüne Minderheitsregierung unterstützen würden, glaube er nicht.
Die drei Bundestagsabgeordneten wollen erneut antreten
Dann aber könnte alles noch schneller gehen. Er sei darauf vorbereitet, versichert Herbrand. Für ihn sind nun drei Dinge wichtig: seine offizielle Nominierung zum Bundestagskandidaten am 16. November, eine aussichtsreiche Platzierung auf der FDP-Landesliste und dass die Liberalen die Fünf-Prozent-Hürde überspringen.
„An allen drei Punkten habe ich keinen Zweifel“, zeigt sich der Gemünder optimistisch: „Ob dann der Listenplatz reicht, müssen wir schauen.“ 2021 kam er mit Listenplatz 11 ins Hohe Haus. Damals zog die FDP-Liste in NRW bis Platz 19.
Und dann muss er noch irgendwie einen Termin beim Fotografen für die Wahlplakate einschieben. Die Bilder von 2021 wolle er nicht mehr nutzen, sagt Herbrand: „Ich bin auch nicht jünger geworden. Und die drei Jahre Ampel haben auch bei mir Spuren hinterlassen.“ Als finanzpolitischen Sprecher seiner Fraktion habe er nicht immer einfache Verhandlungen mit den Fachkollegen der nun ehemaligen Koalitionspartner führen müssen.
Während das Ende der Ampel für ihn keineswegs aus heiterem Himmel kam, überraschte Herbrand etwas anderes schon: der Parteiaustritt von Verkehrsminister Volker Wissing. „Ich habe persönlich mit Herrn Wissing in den vergangenen Jahren wenig zu tun gehabt“, sagt Herbrand. Sie beackerten schließlich unterschiedliche Fachgebiete.
„Er hat einen klaren ordnungspolitischen Kompass – so klar, dass ich mich manchmal gefragt habe, ob das schon zu ordnungspolitisch ist“, sagt Herbrand über seinen ehemaligen Parteikollegen. Wissing habe offenkundig eine andere Auffassung zur Ampel als weite Teile der Fraktion „und, wie ich glaube, auch der Partei“, sagt Herbrand.
Für den AfD-Bundestagsabgeordneten Rüdiger Lucassen aus Bad Münstereifel macht das Aus der Ampel „das Versagen der bisherigen Bundesregierung in den wichtigen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Politikfeldern deutlich“. Damit meine er Migration, Klima und Energie sowie die Sicherheit der Bürger, die „sich eben nicht mit ideologischen Konzepten beantworten“ ließen. Er wolle wieder als Direktkandidat im Wahlkreis 91 antreten und sei sich der Unterstützung der beiden AfD-Kreisverbände Euskirchen und Rhein-Erft sicher.
„Mit über sieben Jahren Tätigkeit als Abgeordneter im Deutschen Bundestag und Fachpolitiker für Sicherheits- und Verteidigungspolitik bringe ich eine Menge Erfahrung in den Wahlkampf ein“, sagt Lucassen: „Die Parteifreunde und die AfD-Sympathisanten sind bereit für einen Wahlkampf.“ Die jüngsten Wahlergebnisse der AfD in den Bundesländern zeugten von großem Zuspruch: „Das werden wir auch entsprechend in NRW nutzen.“
Scholz oder Pistorius? Thilo Waasem gibt ein klares Statement ab
Ob nun im September, März oder noch früher gewählt wird, SPD-Kreischef Thilo Waasem sagt: „Wir nehmen es, wie es kommt.“ Ein gemeinsamer Termin für Bundestags- und Kommunalwahl wäre finanziell günstiger gewesen. „Aber es geht ja auch um die Wahl als solche“, sagt Waasem.
Sowohl die Bundestagswahl als auch die Wahlen für Räte, Kreistag, Bürgermeister und Landrat seien für sich gesehen so bedeutend, dass es „charmanter“ sei, wenn keine Wahl die andere überlagere, so der Sozialdemokrat.
„Ich finde es gut, dass er jetzt mal auf den Tisch gehauen hat“, lobt Waasem den Schritt von Scholz, Lindner vor die Tür zu setzen. Der FDP-Chef habe nur noch eine Perspektive gehabt: „Und zwar: ‚Was kommt dabei für mich und die FDP rum?‘“ Bei der SPD gelte hingegen das Motto: Erst das Land und dann die Partei.
„Auch wenn das abgegriffen klingt, das ist unsere Haltung.“ So gehe der SPD-Kreisverband nun in einen Wahlkampf mit Andrea Kanonenberg – und mit dem Kanzlerkandidaten Scholz. Angesprochen auf die Alternative Pistorius, stellt Waasem klar: „Wir haben einen Kanzler, den halte ich für durchsetzungsstark und für in der Lage, die Punkte, die gerade auf der Agenda stehen, sinnvoll und im Sinne der Menschen anzugehen.“
Auch CDU-Kreischef Ingo Pfennings sieht in der Neuwahl eine organisatorische Herausforderung: „Aber wichtiger ist, dass das Theater in Berlin endlich zu Ende geht.“ Außerdem habe die CDU einen Vorteil: In Detlef Seif habe sie ihren Kandidaten bereits offiziell nominiert – und: „Man kennt ihn, man weiß, wofür er steht.“
FDP-Kreischef Frederick Schorn sieht seine Partei ebenfalls gut aufgestellt: „Wir sind schon vor einem halben Jahr in die Planungen für einen Bundestags- und Kommunalwahlkampf eingestiegen.“ Dennoch sei die Partei auch für eine frühere Bundestagswahl bereit: „Die Infrastruktur ist vorhanden.“
Thomas Bell spricht schon von „uns“, wenn es ums Bündnis Sahra Wagenknecht geht, obwohl er noch auf die Aufnahme ins BSW wartet. Wenn das BSW auch das Ende der Ampel herbeisehne, sei ein früher Wahlkampf eine große Herausforderung – auch finanziell, sagt der fraktionslose Bad Münstereifeler Ratsherr: „Die Wahlkampfkostenerstattung für die Europawahl wird erst im Mai angewiesen.“ Und falls sich kein anderer finde, so Bell, stünde er auch als Direktkandidat zur Verfügung.
Enormer Mehraufwand für die Kommunen im Kreis Euskirchen
Das Aus der Koalition in Berlin bedeutet wohl auch mehr Arbeit für die Kommunen. Der Grund: Das Superwahljahr teilt sich in zwei Bereiche – wenn es denn zu einer vorgezogenen Bundestagswahl im März kommt. Die Kommunalwahl ist nämlich auf den 14. September terminiert.
Ingo Pfennings, Bürgermeister von Schleiden, sagt: „Sollten im Januar Neuwahlen ausgerufen werden, ist der zeitliche Vorlauf bis März relativ knackig. Das ist natürlich eine zusätzliche Belastung für eine kleine Kommune – wie jede Wahl.“
In Schleiden werden die Wahlen laut Verwaltungschef Pfennings federführend von Schul- und Ordnungsamt organisiert. „Aber viele andere Kollegen unterstützen“, so Pfennings: „Und das neben allen Aufgaben und Arbeiten, die so oder so auf dem Zettel stehen.“
Die Anzahl der Wahlhelfer, die für den Posten mit einer entsprechenden Begründung absagen, steige. Aber bei den Wahlhelfern gelte eins der rheinischen Grundgesetze: „Et hätt noch emmer joot jejange.“ Laut Pfennings müssen in Schleiden für die mögliche vorgezogene Bundestagswahl zwölf Urnenwahlvorstände und fünf Briefwahlvorstände eingerichtet werden. Im Schnitt seien die mit acht Personen besetzt, sodass allein in Schleiden mehr als 130 Wahlhelfer benötigt würden.
In Euskirchen ist man geteilter Meinung über die Ereignisse in Berlin. Aus Sicht der Wahlorganisation bringe die etwaige Trennung von Bundestagswahl und Kommunalwahl Vor- und Nachteile mit sich, berichtet Tim Nolden, Pressesprecher der Stadt Euskirchen, auf Anfrage. Die beiden komplexen Wahlen im gleichen Zeitraum abzuwickeln, bedeute einen großen logistischen Aufwand.
Wenn diese Termine nun einzeln stattfinden sollten, vereinfache das die Organisation, so Nolden: „Problematisch allerdings ist das knappe Zeitfenster. Ohne einen klaren Wahltermin können beispielsweise noch keine Wahlhelferinnen und Wahlhelfer eingeladen werden und auch die Wahlräume können noch nicht organisiert werden.“
Bei der jüngsten Europawahl waren laut Stadtverwaltung in Euskirchen 412 Helferinnen und Helfer im Einsatz. „Für die Bundestagswahl werden wir noch mehr Wahlhelferinnen und Wahlhelfer benötigen. Deshalb die Bitte: Wer gerne am Wahltag mithelfen möchte, kann sich gerne schon jetzt melden“, so Nolden.
„Für eine Kommune wie Mechernich stellt die Organisation von drei statt zwei Wahlen in einem Jahr, einschließlich einer möglichen Stichwahl, einen enormen organisatorischen und finanziellen Mehraufwand dar“, sagt Manuela Holtmeier, Leiterin des Wahlamts.
Jede Wahl bedeute für die Stadtverwaltung „eine intensive Planungsphase, die viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einbindet, die parallel weiterhin ihre täglichen Aufgaben erfüllen müssen“. Ein großes Team um das Wahlamt mit Georg Leyendecker und Holtmeier ist in Mechernich damit beschäftigt, die Wahlvorbereitungen zu koordinieren. Dabei reiche die Aufgabenverteilung von der Anmietung und Einrichtung der Wahllokale über die immer aufwendiger werdende Organisation der Briefwahl bis hin zur Auszählung der Stimmen und der Zusammenstellung der Wahlergebnisse.
Um die Wahlen abzuwickeln, sei die Verwaltung auf die Unterstützung von rund 312 Wahlhelfer angewiesen, die sich in 34 Urnenwahlbezirken und fünf Briefwahlvorständen engagieren. Die Rekrutierung der Wahlhelfer werde immer herausfordernder, doch dank des großen Engagements und der langjährigen Unterstützung vieler Ehrenamtlicher, besonders der Ortsbürgermeister, könne der Bedarf gedeckt werden, berichtet Holtmeier auf Anfrage dieser Zeitung.