Dass es Nachholbedarf beim Bevölkerungsschutz gibt, zeigte sich bei der Flutkatastrophe. Im Kreis Euskirchen hat sich inzwischen einiges getan.
Nach der FlutBevölkerungsschutz im Kreis Euskirchen wird verbessert
Eine der schmerzlichen Lehren, die der Kreis und die Kommunen aus der Flutkatastrophe gezogen haben, ist die Erkenntnis, dass es für Krisen und Katastrophen erheblichen Nachholbedarf beim Bevölkerungsschutz gibt. Obwohl die Kommunen bei der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr durch Feuerwehren, Rettungsdienst und die Hilfsorganisationen gut aufgestellt sind, zeigte etwa der Zusammenbruch der Strom- und Netzversorgung in der Flutnacht im Juli 2021 die Verletzlichkeit der Infrastruktur im Bevölkerungsschutz.
Menschen konnten nicht oder nur spät gewarnt werden, Notrufnummern waren überlastet. Einsatzkräfte waren nicht nur durch die hohe Zahl und die Dimension der Einsätze überfordert, sondern konnten vielfach nur schlecht koordiniert werden, weil das Funk- und Telefonnetz zusammenbrach. Warnung, Information und Kommunikation – das sind die Bereiche, in denen der Kreis und die Kommunen eine umfangreiche To-do-Liste erstellten. Und tatsächlich hat sich in den anderthalb Jahren seit der Flut in diesen Bereichen einiges getan.
Die Bevölkerungswarnung
Im Redaktionsgespräch skizzierte Landrat Markus Ramers, welche Maßnahmen bereits getroffen wurden. „Ich habe den Warntag am 8. Dezember als erfolgreich wahrgenommen“, sagte Ramers: „Der Warnmix hat funktioniert.“ Ob in Warn-Apps, als SMS per Cell Broadcast, über Sirenenalarm, über Medien und Soziale Netzwerke oder durch Familien, Freunde und Nachbarn – in irgendeiner Form habe wohl nahezu jeder Berührung zu diesem Warntest gehabt.
Die Ausstattung und Anbindung der Sirenen in den Kommunen ist aber nach wie vor nicht komplett. Einsatzbereit ist die Sirenen-Alarmierung im Katastrophenfall nur in Blankenheim, Euskirchen, Schleiden und Weilerswist, weit fortgeschritten ist sie in Bad Münstereifel und in Dahlem. Doch überall, so Ramers, werde mit Hochdruck daran gearbeitet, auch mithilfe des NRW-Sirenenförderprogramms.
Im Zuge der Umstellung auf digitale Alarmierung, so kündigte der Kreisfeuerwehrverband an, werden auch 200 Sirenen im Kreis umgerüstet. Sirenen, die über moderne Steuerempfänger verfügen, können künftig gezielt angesteuert werden. Dies erlaube etwa eine Bevölkerungswarnung entlang der Flussläufe – und zwar über kommunale Grenzen hinweg.
Information übers Radio
Auch Bevölkerungswarnungen und -informationen über Radiosender hat der Kreis in Vorbereitung. Die technischen Grundlagen, um sich etwa vom Krisenstab des Kreises aus ins Programm von Radio Euskirchen zu schalten, werden mit der Installation der Technik in der neuen Leitstelle im Erweiterungsbau der Kreisverwaltung geschaffen. Allerdings kann laut Ramers mit der Installation der Technik erst begonnen werden, wenn der Anbau abgenommen ist.
Zwischenzeitlich habe es zudem ein Gespräch der Landräte mit WDR-Intendant Tom Buhrow gegeben, da es in der Flutnacht 2021 auch an Bevölkerungswarnungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mangelte.
Digitalfunk der Einsatzkräfte
Für die Einsatzkräfte wurde in der Flutnacht zum Problem, dass nach flutbedingten Stromausfällen wenige Stunden später auch der Digitalfunk in die Knie ging, da die Basisstationen, mit denen das Digitalfunknetz betrieben wird, nur für vier Stunden batteriegepuffert waren. „Wir haben jetzt auch den Digitalfunk gehärtet“, sagte Ramers vor allem im Hinblick auf das mögliche Szenario eines flächendeckenden Blackouts. Alle Basisstationen im Kreis seien jetzt mit einer 72-Stunden-Pufferung für Stromausfälle ausgestattet worden.
Die zweite Achillesferse bilden die Telekommunikations- und Datennetze. Um zumindest für die Kommunen mit ihren Feuerwehren Alternativen zum Fest- und Mobilfunknetz zu haben, schafft der Kreis für die Kommunen derzeit satellitengestützte Starlink-Anlagen des US-Unternehmens SpaceX an.
Dessen Chef Elon Musk hatte wenige Tage nach der Flut Beta-Versionen seiner Sat-Schüsseln in die Flutgebiete geschickt, die dort erfolgreich getestet wurden. Ihr großer Vorteil ist, dass die Gerätschaften fürs Internet aus dem Orbit mobil und einfach zu installieren sind. Sie ermöglichen nicht nur Verwaltungen und Rettungskräften Daten- und Telefonverkehr via Satellit, sondern machen es auch möglich, in Ortschaften etwa WLAN-Hotspots für Bürger einzurichten.
Notfallmeldestellen
Vermisst wurden von Betroffenen während der Flut und in den Tagen danach Anlaufstellen für die Menschen. Auch in diesem Bereich, so Ramers, seien alle Kommunen unterwegs, vor allem auch im Hinblick auf die Erhaltung der kritischen Infrastruktur.
Alle Kommunen hätten Notfallpläne erarbeitet und seien dabei, Vorbereitungen zu treffen. Dazu sei ein gutes System entwickelt worden. Das sieht auf der ersten Stufe Notfallmeldestellen in den Orten vor, die als Anlaufpunkte dienen. In diesen, vielfach sind es die Gerätehäuser der Feuerwehr, besteht eine Funkverbindung zur Rettungsleitstelle des Kreises.
Leuchttürme
In der zweiten Stufe sind „Leuchttürme“ vorgesehen. Sie können in den Kommunen unterschiedlich gestaltet sein, sollen aber Bürger in Notlagen unterstützen, etwa bei der Ausgabe von Medikamenten, Essen und Getränken. Hier erhalten Bürger Infos oder können sich melden, wenn sie Hilfe anbieten wollen.
Hilfszentren
In den Einrichtungen der dritten Stufe kann dann umfassendere Hilfe erfolgen, etwa in Form von Notschlafstellen. Im Hinblick auf die Erhaltung der kritischen Infrastruktur, so Ramers, habe man zu vielen Einrichtungen und Firmen Kontakt aufgenommen, um sich einen Überblick zu verschaffen oder Hinweise zu geben. Das gelte für Pflegeheime und Kliniken ebenso wie für Ärzte oder Versorgungsunternehmen. Wenn man etwas Positives aus der Flutkatastrophe mitnehme, dann sei es, dass Probleme erkannt worden seien und angegangen werden.
Schwachstellen gesucht
So beauftragte der Kreis den früheren Kreisbrandmeister und Leiter der Gefahrenabwehr im Kreis, Udo Crespin, mit einer Delta-Analyse. Monatelang tourte Crespin durch die Kommunen, um in Interviews akribisch genau Abläufe in der Flutkatastrophe zu erfragen. So konnten detailliert Schwachstellen und Probleme aufgedeckt werden. Auch aus den Ergebnissen dieser Analyse, so Ramers, werden Handlungskonzepte abgeleitet. Noch wichtiger als die Härtung der Technik, so Ramers, seien die Menschen. Wobei er positiv hervorhob, dass alle Hilfsorganisationen sich im Nachgang der Flut über Mitgliederzuwachs freuen konnten.
Runder Tisch
Auch bei der Aus- und Fortbildung der Leute, die Krisen und Notlagen bewältigen müssen, sieht der Kreis Handlungsbedarf. Defizite seien etwa im administrativen Bereich erkannt worden. Hier arbeite man mit Fortbildungen dagegen, etwa für die Mitglieder des Krisenstabs beim Kreis oder der Stäbe für außergewöhnliche Ereignisse (SAE) in den Kommunen.
Für ein Bevölkerungsschutzkonzept waren im Kreishaushalt 2022 bereits 500.000 Euro vorgesehen, für 2023 sollen es Mittel in gleicher Höhe sein. Um alle Maßnahmen zu bündeln, will der Landrat zu einem „Runden Tisch Bevölkerungsschutz“ einladen. An diesem Tisch werden Vertreter der Verwaltungen und der Politik ebenso sitzen wie die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS).
Denn eines, so Ramers, dürfe nicht geschehen: dass es zu Konkurrenzdenken oder gar -kämpfen komme. Ramers: „Nicht jeder wird alles bekommen.“ Doch die Hilfsorganisationen – von den Maltesern und dem Roten Kreuz bis hin zum Technischen Hilfswerk oder zur DLRG – dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern müssten alle eingebunden sein.
Digitale Funkmeldeempfänger
Ab 2012 wurde der Analogfunk von Feuerwehr und Rettungsdienst im Kreis Euskirchen nach und nach durch Digitalfunk ersetzt. An die 500 Fahrzeuge mussten umgerüstet werden, hinzu kamen mehr als 800 Handsprechfunkgeräte. Das zog sich über mehrere Jahre hin.
Im zweiten Schritt sollten auch die analogen „Piepser“, über die die Einsatzkräfte alarmiert werden, durch digitale Funkmeldeempfänger (FME) ersetzt werden. Kreis und Kommunen waren willig, doch das Verfahren wurde zum Debakel, da die Ausschreibungen von einem Bieter über mehrere gerichtliche Instanzen rechtlich angefochten wurden.
Jahr um Jahr wurden in den Kommunen die dafür vorgesehenen Haushaltsmittel weitergeschoben. Das brachte die Feuerwehren in Bedrängnis, da analoge FME immer knapper wurden und die SMS-Alarmierung per Handy, zwischenzeitlich durch die Alarmierungs-App Groupalarm abgelöst, die Lücke nicht zuverlässig schließen konnte.
3300 Geräte kosten mehr als eine Million Euro
In den vergangenen Jahren gingen immer mehr Feuerwehren dazu über, im großen Umfang – für viel Geld – gebrauchte analoge FME zu kaufen, um die Einsatzbereitschaft sicherzustellen. Doch 2023, so der Kreisfeuerwehrverband, stellt der Kreis auf die digitale Alarmierung um. Erste Einzelheiten nannte der Leiter der Einheitlichen Leitstelle, Markus Neuburg, im Rahmen der Dienstbesprechung der Leiter der Feuerwehren. Betreut wird das Projekt durch Peter Pönsgen, der im Leitstellen-Team für die digitale Alarmierung und den Digitalfunk zuständig ist.
Schon jetzt werde an dem Großprojekt mit Hochdruck gearbeitet. Es fänden noch vereinzelte Ortsbegehungen statt, die ab dem Frühjahr in den Aufbau einer eigenen Netzinfrastruktur münden sollen. Schon jetzt sei das Einsatzleitsystem für einen Testbetrieb mit dem neuen System umgerüstet worden.
Rund 3300 FME werden kreisweit zentral beschafft – die kosten insgesamt etwas mehr als eine Million Euro. Dabei handele es sich überwiegend um das Modell s.QUAD der Firma Swissphone. Entfallen werden künftig individuelle Durchsagen der Leitstellen-Disponenten bei einem Einsatzalarm. Stattdessen erfolgt eine verschlüsselte Textübertragung auf einem Display. (ch)