Rund 920 neu zugewanderte Schüler – etwa die Hälfte aus der Ukraine – werden im Kreis Euskirchen unterrichtet.
BildungSo integrieren Euskirchener Schulen geflüchtete Kinder und Lehrer
Vom Fenster aus hat Zoriana Uhryniuk gesehen, wie die ersten Bomben auf ihre Heimatstadt fielen. Die Uhrzeit weiß die Ukrainerin noch genau. „Es war 4.30 Uhr“, sagt die Lehrerin, die gut einen Monat nach dem Kriegsausbruch im Februar des vergangenen Jahres ihr Land verlassen hat. Über Umwege ist sie in den Kreis Euskirchen gekommen. Uhryniuk lebt mittlerweile in Blankenheim, verbringt aber viel Zeit in Euskirchen. Der Grund: Die 65-Jährige unterrichtet aushilfsweise an der Marienschule ebenfalls geflüchtete Kinder und Jugendliche. „Sie ist ein absoluter Glücksfall. Für alle – für die Schule, für Kinder, für mich als Schulleiter“, sagt Michael Mombaur, Leiter des Euskirchener Gymnasiums.
Genau wie an allen anderen Schulen im Kreis sollen auch an der Marienschule die Kinder möglichst schnell Deutsch lernen, um besser in den Schulalltag integriert werden zu können. Einen Teil ihres Unterrichtsmaterials hat Uhryniuk aus der Ukraine mitgebracht, sagt die studierte Lehrerin für Deutsche Literatur und Sprache. Vieles habe sie aber von den Kollegen an der MSE erhalten.
Lehrerin unterrichtet in Euskirchen Kinder aller Altersstufen
Uhryniuk geht in ihrer Aufgabe als Lehrerin auf. Sobald sie den Krieg verdrängt hat und über den Unterricht an der Marienschule berichtet, leuchten ihre Augen. „Hier gibt es so ein tolles Team. Sowohl die Kollegen als auch die Schüler machen es mir leicht. Und alle sind froh, dass ich hier bin“, sagt die Neu-Blankenheimerin, die teilweise mit dem Schienenersatzverkehr zwischen Blankenheim und Euskirchen pendelt.
Die Kinder, die sie unterrichtet, kommen aus allen Jahrgangsstufen. Gerade die älteren Kinder stehen laut Mombaur unter Druck. „Sie brauchen eine Qualifikation für die Oberstufe. Es ist egal, wie schlau die Kinder sind: Wenn die sprachlichen Barrieren nicht abgebaut sind, laufen sie gegen eine bürokratische Wand“, berichtet der Schulleiter. Beispielsweise brauche man eine zweite Fremdsprache, um in die Oberstufe zu kommen. Ansonsten müssen die Jugendlichen laut Mombaur das Gymnasium verlassen.
„Die Kinder, die aus einem Kriegsgebiet zu uns kommen, benötigen eine besondere Aufmerksamkeit“, sagt auch Dr. Michael Szczekalla, Leiter des Emil-Fischer-Gymnasiums in Euskirchen.
In Blankenheim fungieren auch Eltern als Übersetzungshelfer
Diese Meinung teilt Henning Schneider, stellvertretender Schulleiter an der Gesamtschule Eifel in Blankenheim. „Die Integration der Kinder gehört zu unserer gesellschaftlichen Aufgabe“, sagt er. Die Aufgabe werde durch mehrere Pädagogen aufgefangen, ergänzt Schulleiterin Eva Balduin. So spreche eine Kollegin fließend Russisch, könne es an der Gesamtschule aber nicht unterrichten. Weitere Lehrerinnen helfen aufgrund ihrer Herkunft ebenfalls aus.
In der aktuellen Situation sei aber auch sie ein Glücksfall. Zudem fungieren einige Eltern auch als Übersetzungshelfer. Etwa 30 Kinder besuchen die Vorbereitungsklasse in der Gesamtschule. „Jedes Kind ist einer Stammklasse zugeordnet und jede Klasse hat maximal drei Kinder, bei denen die Sprachkenntnisse noch nicht so vorhanden sind“, erklärt Balduin. In bestimmten Lerngruppen werde dann gezielt zusammen an den Defiziten gearbeitet.
Warteliste für die schulische Erstförderung im Kreis Euskirchen
Wie Anja Möller, Schulrätin beim Kreis Euskirchen, berichtet, gibt es derzeit etwa 100 Kinder und Jugendliche in der schulischen Erstförderung. „Die Situation ist aufgrund der vielen Zugänge kritisch, da weder zusätzliche Räume noch zusätzliches Personal zur Verfügung stehen“, sagte Möller in der jüngsten Sitzung des Bildungsausschusses.
Schwierig sei es deshalb, weil der Prozess nicht planbar sei. Verteilt werden die Kinder und Jugendliche mithilfe einer Warteliste, so Möller. Darauf stünden etwa 20 Kinder. Bis die Kinder an einer Schule untergebracht werden können, vergehen laut Möller bis zu drei Monate. Manchmal sei es auch nur eine Woche. „Dennoch ist die Umsetzung im Kreis sehr erfolgreich, gemessen an anderen Kreisen“, sagte die Schulrätin.
Schleidener bereiten Partnerschaft mit ukrainischer Schule vor
An der Clara-Fey-Schule in Schleiden sind nach Angaben von Leiterin Roswitha Schütt-Gerhards drei geflüchtete Kinder in den Schulalltag integriert. „Teilweise haben wir uns zu Beginn mit Bildkarten zu helfen gewusst“, sagt sie: „Das hat uns und auch den Kindern gut geholfen.“ Das System gebe es zwar eigentlich im Kindergarten, doch die Erfahrung habe gezeigt, dass das in einer Schule nichts Schlechtes sein müsse.
Die Kinder seien zudem mit einem iPad ausgestattet worden, weil sie nachmittags über das Internet noch Unterricht von ihrer ukrainischen Schule erhalten. „Die Arbeit klappt hervorragend. Und wir haben anscheinend Eindruck hinterlassen. Eine ukrainische Schule hat uns angeschrieben und gefragt, ob nicht eine Schulpartnerschaft denkbar sei“, sagt Schütt-Gerhards: „Wir werden die Bedingungen prüfen, aber ich denke, dass wir das machen werden.“
Einige Schüler müssen traumatische Erlebnisse verarbeiten
Eine Herausforderung, von der einige Schulleitungen aus dem Kreis Euskirchen berichten: Geflüchteten Schülerinnen und Schüler müssen zum Teil traumatische Erlebnisse verkraften. Da sei zum Beispiel ein ukrainisches Mädchen, das ihren Vater und ihren Bruder in der Ukraine zurücklassen musste. Ob sie noch leben? Ungewiss.
„Wir als Schule kommen da an die Grenzen unserer Möglichkeiten. Wir bräuchten da personelle und fachliche Unterstützung“, sagt ein Schulleiter. Bei Klassen mit 30 Kindern bleibe kaum Zeit, auf psychische Probleme einzugehen. Beim jüngsten Warntag des Landes NRW seien Kinder weinend und verängstigt in ihr Büro gekommen, berichtet Eva Balduin von der Gesamtschule Eifel. Die Schultiere hätten in diesem Moment das getan, was sie immer täten: seelische Wunden geheilt und moralisch unterstützt.
Regelunterricht und Deutsch-Förderung in der Grundschule
„Wir stellen uns der Aufgabe“, sagt Szczekalla, Leiter des Emil-Fischer-Gymnasiums: „Das ist eine gemeinsame Anstrengung aller Schulen.“ Am „Emil“ gibt es laut dem Schulleiter zwei Vorbereitungsklassen. „Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht. Die Kinder brauchen einen Extra-Input an Deutsch. Aus meiner Sicht ist die Klasse der richtige Weg“, sagt er. Konkret bedeutet das am Emil, dass die neuen Schüler zunächst nicht in den Gymnasialen Bildungsgang integriert werden. Das erfolge nach spätestens zwei Jahren, wenn evaluiert worden sei, ob das Gymnasium die richtige Schulform sei, erklärt Szczekalla: „Die Klassen sind eine Herausforderung, aber auch ein Erfolgsmodell.“
In den ersten Wochen und Monaten werden die Kinder in den Vorbereitungsklassen separat unterrichtet. Dann erfolge Schritt für Schritt eine Integration in die regulären Klassen – beispielsweise in den Sportunterricht. Nur wenige Hundert Meter weiter wird es anders gehandhabt. An der Hermann-Josef-Grundschule sind die Kinder sofort in den Regelunterricht integriert, erhalten aber eine Deutsch-Förderung. „Meistens dann, wenn der Rest der Klasse intensiv an einer Aufgabe arbeitet. In der Fachsprache heißt das asynchrone Phase“, erklärt Schulleiter Torsten Wanasek.
Internationale Vorbereitungsklasse an Schleidener Gymnasium
„Vor allem für die Kinder ist die Situation eine Herausforderung“, sagt Georg Jöbkes, Leiter des Johannes-Sturmius-Gymnasiums in Schleiden. Dort besuchen die Kinder zunächst die internationale Vorbereitungsklasse. „Sie bekommen gezielt Deutschunterricht. Ansonsten sitzen sie in den Regelklassen“, erklärt Jöbkes: „Wir schauen aber natürlich, wo es sinnvoll ist, wo es geht. Wichtig ist, dass sie die Lernmöglichkeiten von allen Schülern nicht einschränken.“
Man spreche sich auch immer wieder mit der Clara-Fey-Realschule ab, ob noch Plätze frei sind. „Wir haben zum Glück zwei Kolleginnen, die Russisch können. Es ist zwar Russisch und kein Ukrainisch, aber es hilft dennoch.“ Die Schule versuche, die Situation für die Kinder bestmöglich zu gestalten, aber ideal sei das alles nicht. „Die Kinder haben mit Abstand das größte Päckchen zu tragen“, sagt der Schulleiter.
Etwa 920 neu zugewanderte Schüler
Nach Angaben der Bezirksregierung Köln werden aktuell etwa 920 neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler an den Schulen im Kreis Euskirchen unterrichtet. Die Hälfte davon seien ukrainische Schüler. „Grundschüler erhalten einen wohnortnahen Schulplatz an der Grundschule“, erklärt ein Sprecher der Bezirksregierung. Für die Stadt Euskirchen erfolge die Erstberatung durch das Kommunale Integrationszentrum und die Zuweisung durch das Schulamt.
„Für alle übrigen Städte und Gemeinden im Kreis Euskirchen erfolgt die Anmeldung direkt an der wohnortnächsten Grundschule“, so der Sprecher. Schüler der Sekundarstufe werden der Bezirksregierung zufolge nach der Erstberatung im Kommunalen Integrationszentrum durch das Schulamt den Schulen zugewiesen: „Alle öffentlichen weiterführenden Schulen – Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien und Gesamtschulen – beteiligen sich an diesem Prozess.“ (tom)
Die Serie: Sind Schulen im Kreis Euskirchen eine Problemzone oder ein Wohlfühlort? Welche Herausforderungen gilt es für sie derzeit zu meistern, und wie steht es um die Digitalisierung an den Schulen wirklich? Und was ist eigentlich ein Bündelungsgymnasium? Sind Hauptschulen nötig? Fragen, die die Redaktion in mehreren Teilen beantwortet und dabei einen größeren Blick übers Vokabelheft hinaus wirft. (tom)