Die letzten Passionsspiele in St. Vith liegt sechs Jahre zurück. Auch der neue Regisseur bleibt der Leitlinie treu, dass die Inszenierung viele Bezüge zum aktuellen Zeitgeschehen hat.
PassionsspieleMehr als hundert Darsteller inszenieren in St. Vith Leidensgeschichte Jesu

104 Schauspieler und Statisten beteiligen sich an den diesjährigen Passionsspielen im Triangel in St Vith.
Copyright: Stephan Everling
Es ist eine Herausforderung für Jörg Lentzen. „Lauter!“, ruft der Regisseur, dann „Jetzt Ruhe!“, „Schneller aus den Gassen kommen!“ oder auch „Langsamer!“. 104 Schauspieler und Statisten, Kinder und Senioren, Frauen und Männer, alles Freiwillige und Ehrenamtler, wollen choreografiert werden und einen Platz auf der großen Bühne des „Triangel“ in St. Vith zugewiesen bekommen.
Denn die Passionsspiele Schönberg, die „Passio“, wie sie auch genannt wird, kleckert nicht mit Personal, nicht mit Material und auch nicht mit Anspruch. Es ist in jeder Hinsicht ein gewaltiges Projekt, das am Samstag in seiner siebten Auflage seit 1993 seine Premiere feiern wird.
Fünf Tage vor der Premiere kommen die Darsteller zur ersten Kostümprobe
Fünf Tage vorher steht die erste Kostümprobe an. Aus den Ergebnissen der vielen Textproben wird nun das herausgearbeitet, was in wenigen Tagen das Publikum in der ostbelgischen Veranstaltungshalle beeindrucken soll. In den Fluren wuselt es: Acht Maskenbildnerinnen gleichzeitig verleihen den Akteuren ein bühnentaugliches Outfit, das Kuchenbuffet erlebt regen Zuspruch, im Kostümraum ist Gedränge.
Es gibt viele bekannte Gesichter in der Passio-Familie, aber auch jede Menge neue. Etwa das von Lentzen. Als Alfons Velz und Robert Schmetz, die die Regie bei der vergangenen Ausgabe der Passionsspiele in 2019 übernommen hatten, danach ihren Rückzug ankündigten, fiel sein Name. Nein, er habe noch nie eine der Aufführungen besucht, gesteht er. Doch welche Faszination die Aufgabe für ihn hat, ist unübersehbar.

Immer wieder greift Jörg Lentzen ein und gibt Anweisungen an die Schauspieler.
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Schauspieler müssen angewiesen, Statisten positioniert, Dialoge geprobt, der riesige Raum erobert werden. Doch auch die banalen Dinge dürfen nicht vernachlässigt werden, die nicht weniger zum Gelingen einer Theateraufführung beitragen: Wer steht wo, geht dann wohin, um dort mit wem zu interagieren?
Aufgänge und Abgänge sind eine Herausforderung, wenn beim Szenenwechsel mal eben in kurzer Zeit 50 Personen auf die Bühne oder wieder herunterkommen müssen, ohne in dieser Zeit die Aufmerksamkeit des Publikums zu verlieren.
Regisseur Jörg Lentzen ist auch für das Kommödchen in Raeren tätig
Für Lentzen eigentlich eine gewohnte Situation, auch wenn er selten mit derart vielen Personen gleichzeitig arbeitet. Seit vielen Jahren ist er als Lehrer an der Musikakademie in Eupen für Sprecherziehung tätig und gleichzeitig Regisseur des Kommödchens in Raeren. Er weiß, was nötig ist, um ein Theaterstück zu einem Erlebnis für das Publikum werden zu lassen.
In dieser Woche gilt es. Denn er muss mit Amateuren arbeiten, muss beruhigen, muss motivieren, gute Laune ebenso wie Arbeitsatmosphäre verbreiten, muss fordern und loben, Ohren, Augen und auch seinen Mund eigentlich überall haben.

Jesus, dargestellt von Julian Klein, trifft in der Wüste auf seinen Versucher, den Satan.
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Ein Passionsspiel hat besondere Anforderungen – aber auch besondere Möglichkeiten. Von der ersten Ausgabe an haben sich die Schönberger Passionsspiele nicht damit zufriedengegeben, die in den Evangelien beschriebenen Situationen bibelgetreu wiederzugeben. „Sie können nicht die Bibel mitlesen“, betont Lentzen.
Einmal habe es sogar den Jesus in doppelter Ausführung gegeben, einen im historischen, den anderen im aktuellen Kontext, erinnert Marlene Backes, die von Anfang an dabei ist. Immer sei es darum gegangen, die Botschaft in die Jetztzeit zu übertragen und die Aktualität der Botschaft zu zeigen, sagt sie.
Auch die Flutkatastrophe von 2021 ist in die Inszenierung eingeflossen
Gemeinsam mit Bibelexperten sei das Textbuch seit dem Jahr 2020 entwickelt worden, berichtet Lentzen. Szenen seien hinzuerfunden, eine aktuelle Zeitebene geschaffen worden. In einem Katastrophenszenario versuchen die Überlebenden, die Situation zu bewältigen. Doch was tun? Verändern? Umkehren? Und was bedeutet das konkret für die Menschen?
Hier bekommen die Worte der Bibel ein besonderes Gewicht, gerade angesichts der Flutkatastrophe, die in Ostbelgien 41 Menschenleben forderte. Am 16. Dezember 2023 sei das Textbuch vorgestellt worden. Kurz danach sei mit den Textproben begonnen worden, so Lentzen. Eine Neuheit bei den Passionsspielen: Zum ersten Mal beginne das Stück mit der Verkündigung von Jesu Geburt.

So ganz passt der Römerhelm bei der ersten Kostümprobe noch nicht.
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Passio Schönberg, so heißt es noch heute, auch wenn die Aufführungen seit vielen Jahren im „Triangel“ in St. Vith stattfinden und nicht mehr im kleinen Ort Schönberg, der rund zehn Kilometer entfernt liegt. Das Ensemble ist wie eine große Familie mit einem festen Kern, der ständig Zuwachs erfährt, so berichten die, die schon seit Jahren dabei sind. Im Dezember 1992 seien die ersten Schönberger Passionsspiele in nur sechs Wochen aus dem Boden gestampft worden, erinnert sich Marlene Backes.
Inzwischen sind meine Söhne älter, als Jesus damals gewesen ist
„Wir hatten am 30. Dezember 1991 eine Versammlung, in der der Diakon das angekündigt hat“, schildert sie die Geburtsstunden. Mit den Regisseuren des örtlichen Theatervereins, der Komödien spielte, und vielen Ehrenamtlern sei das Projekt dann realisiert worden. Heute, mehr als 30 Jahre später, stehen elf Aufführungen für das Ensemble an. Und vielleicht noch zwei weitere in der Passionswoche, wenn die Nachfrage zu groß werden sollte, lässt Backes durchblicken.
Der alte Jesus-Darsteller hat nach Jahrzehnten die Rolle an einen Jüngeren abgegeben
Dass auch für Passionsspieler die Zeit nicht stehenbleibt, wird bei Lothar Krämer deutlich. „Ich habe bis auf das erste Mal immer den Jesus gespielt“, sagt er. Ja, er sei gläubig, aber bei den Passionsspielen mitzumachen, mache auch viel Spaß. „Auf dieser Bühne zu stehen, ist fantastisch“, sagt er und zeigt in den Theatersaal des „Triangel“. Dass er diesmal nicht mehr die Hauptrolle übernommen habe, sei seinem Alter geschuldet. „Inzwischen sind meine Söhne älter, als Jesus damals gewesen ist“, erklärt er lachend.
Der neue Jesus ist 23 Jahre alt. „Ich arbeite seit sieben Jahren in der Musikakademie bei Jörg Lentzen, und er hat mich gefragt“, berichtet Julian Klein. Als er erfahren habe, dass er gleich die Rolle des Jesus übernehmen solle, sei er überrascht gewesen. „Ich habe schon etwas Muffensausen“, gibt er zu.

Nach seiner Abwahl auf die Theaterbühne: Der ehemalige Bürgermeister von St. Vith, Herbert Grommes, hat sich kurzfristig zur Teilnahme entschlossen.
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Ein bekanntes Gesicht steckt im Kostüm eines Hohepriesters. Der Ex-Bürgermeister von St. Vith, Herbert Grommes, hat die Rolle übernommen. Nach seiner überraschenden Abwahl bei den Kommunalwahlen im Dezember habe er nun Zeit und sich zur Teilnahme entschlossen. „Ich bin schon seit der Gründung 1993 dabei, als ein Text aus dem Französischen übersetzt werden musste“, erzählt er.
„Mit Mitte 70 muss man sich nicht mehr den ganzen Stress antun“, sagt Ex-Regisseur Alfons Velz und blickt inmitten des Getümmels gestresst auf das iPad in seiner Hand: Den ganzen nicht, aber wenigstens den halben. Aber es sei schön, dabei zu sein. „Es ist ein Erlebnis zu sehen, wie es sich entwickelt“, sagt er.
Gemeinsam mit Schmetz hat Velz die Gestaltung des Bühnenbildes übernommen. Mit Fotos und Videos wird die Szenerie zum Leben erweckt. Die Geißelung wird in einem vorab produzierten Schattenspiel dargestellt, überblendet mit Fotos von Frauen, denen die Angst im Gesicht steht. „Gewalt gab es damals, aber heute gibt es sie genauso“, so Lentzen über die Idee.
Es gilt, Emotionen zu transportieren. Das Publikum soll berührt werden. Dazu dient auch die Musik, die der ostbelgische Komponist Christian Klinkenberg für die Produktion geschaffen hat. Getragene Klänge fügen dem Bühnengeschehen eine weitere Ebene hinzu. Auch das Vaterunser kommt vom Band. Denn es wird auf Aramäisch, der Muttersprache von Jesus, von der Sängerin Antje Nagula, dargebracht, der Text auf das Bühnenbild projiziert.
Eintrittskarten für die elf Aufführungen
Für die Premiere an diesem Samstag, 22. März, 19 Uhr, gibt es noch rund 100 Karten. Danach folgen zehn weitere Aufführungen, die letzte am Karfreitag, 18. April, für die insgesamt noch rund 1000 Tickets erhältlich sind. Karten zum Preis zwischen 5 Euro (bis 16 Jahre) und 22 Euro sind erhältlich per E-Mail oder unter Tel. 00 32/4 79/ 05 81 70. Informationen über die Produktion und die Aufführungstermine gibt es online.