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Gestörte SprachentwicklungPaar aus Mechernich-Kommern will Sprechen kinderleicht machen

Lesezeit 6 Minuten
Karin Schimkus und Rene Kurzok mit Holzspielzeug, das sie für ihre Methode zur Sprachentwicklung für Kinder einsetzen.

Haben „Tomali“ entwickelt: Kerstin Schimkus und ihr Lebensgefährte Rene Kurzok.

Immer mehr Kinder leiden unter Sprachstörungen. Kerstin Schimkus und Rene Kurzok aus Kommern haben nun eine Methode entwickelt, die die Sprachentwicklung kinderleicht machen soll.

Kerstin Schimkus und Rene Kurzok haben ein Ziel: Sie wollen die Sprachentwicklung kinderleicht machen. „Tomali“ heißt ihre Methode. Das Wort setzt sich zusammen aus den ersten Buchstaben der Namen ihrer vier Kinder. Mehr als zwei Bilderbücher, Lieder, eine App, Holzspielzeug und ein bisschen Zeit sei nicht nötig, um die Sprechfähigkeit zu fördern.

Viele Kinder leiden unter einem begrenzten Vokabular

„Die Zahl der von Sprachstörungen betroffenen Kinder und Jugendlichen steigt permanent“, stellt Kerstin Schimkus fest. Die 37-Jährige ist seit 15 Jahren Logopädin und Fachtherapeutin für Sprachentwicklungsstörungen. In Zülpich betreibt sie eine Praxis für Logopädie und leitet mit ihrer Schwester Karin und ihrer Mutter Elke das Logopädische Zentrum Zülpich. Sie weiß also, wovon sie spricht.

Viele Kinder, so sagt sie, leiden unter einem begrenzten Vokabular, haben Schwierigkeiten bei der Artikulation von Lauten sowie beim Bilden von Sätzen und weisen Schwächen bei der Grammatik auf.

Late Talker beherrschen mit 24 Monaten weniger als 50 Wörter

Auch in ihrer Familie hatte Schimkus eine sogenannte Late Talkerin, ein Kind also, das später als andere zu sprechen anfängt, ansonsten aber altersgerecht entwickelt ist. Der Definition nach gilt ein Kind als Late Talker, wenn es im Alter von 24 Monaten weniger als 50 Wörter beherrscht oder keine Zweiwort-Sätze bilden kann, erläutert   Schimkus. Um dem entgegenzuwirken, habe sie mit ihrem Lebensgefährten „Tomali“ entwickelt.

Es sei geboten, frühzeitig die Weichen für die Sprachentwicklung zu stellen – etwa ab dem neunten Monat, rät die 37-Jährige. Denn das Fenster der Sprachentwicklung schließe sich nach 36 Monaten. In dieser Zeit könne mit vier Schritten die Grundlage für alles spätere gelegt werden.

Der erste Schritt sei – wie die drei weiteren auch – recht einfach und überall umsetzbar. Fünf Minuten aus einem eigens konzipierten Bilderbuch vorzulesen, reiche schon, um den Einstieg in die Silben- und in die Lallphase zu erreichen.

Das ist wie Kochen mit dem Thermomix. Wir haben die Zutaten und die Anleitung zusammengestellt.
Kerstin Schimkus

„Das Buch ist so konzipiert, dass die Kinder entdecken, wo ein Wort zu Ende ist“, erklärt Schimkus. Die Methode selbst sei nicht neu. Neu sei aber, dass jede und jeder die Sprache seines Kindes fördern und entwickeln kann, ohne Vorkenntnisse zu haben. „Das ist wie Kochen mit dem Thermomix. Wir haben die ,Zutaten’ und die Anleitung zusammengestellt“, so die Logopädin. Die Anwender müssten eigentlich nichts mehr machen, lediglich auf „Zubereitung“ drücken. Denn das Konzept sei universell. „Es ist auch im Kindergarten anwendbar, für Kinder mit Migrationshintergrund oder für ukrainische Flüchtlinge“, sagt Kurzok: „Und das ohne, dass man die Muttersprache kann. Das erledigt die App.“

Einfaches Holzspielzeug hilft bei Begriffen und Zuordnungen

Es gebe gewisse Zeitfenster, in denen Kinder zur Sprache fänden. Die hingen mit der motorischen Entwicklung zusammen. „Wenn Kinder sich beginnen zu drehen, fangen sie auch an zu lallen“, erklärt Schimkus: „Kinder müssen zwingend den Grundrhythmus erlernen, damit sie alle sprachlichen Regeln lernen können.“ Bei Late Talkern könne es sein, dass die Kinder ihre eigene Sprache praktisch auswendig gelernt haben, das Verständnis für die Sprache aber nicht vorhanden sei, so die 37-Jährige.

Zum Verständnis von Sprache gehören auch Begriffe und Zuordnungen wie „drunter“, „drauf“, „hinein“, „hin“ oder „her“. Das lasse sich wunderbar mit dem Holzspielzeug erklären und erlernen. Drei unterschiedlich große Becher und eine Kugel reichen Kurzok zufolge dafür aus.

Mit einem sechsjährigen Kind noch die Sprache lernen zu müssen, ist frustrierend
Kerstin Schimkus

Die ersten Tomali-Becher sind bereits gefertigt. „Das ist alles Handarbeit von einer Firma in Bayreuth, mit einer Maschine, die eigens vom Dachstuhl geholt worden ist“, erklärt der 40-Jährige, der mit seiner Lebensgefährtin eine Stiftung gründen möchte.

Die solle unter anderem die Förderung von Kindern und Jugendlichen auf noch breitere Füße stellen und dazu beitragen, dass die Holzabfälle, die beim Herstellen des Lernspielzeugs entstehen, sinnvoll genutzt werden. „Uns schwebt vor, dass wir die Holzspäne zu Pellets pressen lassen und diese dann an Kitas verschenken, die damit heizen.“

Kind mit Sprachstörung kostet Gesundheitssystem 4000 Euro im Jahr

Schimkus und Kurzok stehen nach eigenem Bekunden auch im Austausch mit Trägern von Kitas und mit Krankenkassen. „,Tomali’ kostet 119 Euro. Im Gesundheitssystem wird im Schnitt mit 4000 Euro pro Jahr pro Kind gerechnet, um einer Sprachstörung entgegenzuwirken“, sagt Schimkus: „Mit einem sechsjährigen Kind noch die Sprache lernen zu müssen, ist frustrierend.“

Eine gezielte Sprachförderung sei aber im Alltag einer Kita kaum zu bewerkstelligen. Auch dabei könnte „Tomali“ helfen, ist sich die Expertin sicher. „Ausgehend von meinen Erfahrungen müsste jedes dritte Kind beim Spracherwerb gefördert werden“, sagt die 37-Jährige.


Die Corona-Pandemie hat die Sprachförderung erschwert

Die Zahl der von Sprachstörungen betroffenen Kinder und Jugendlichen in Deutschland ist einer Untersuchung der Kaufmännischen Krankenkasse in Hannover (KKH) zufolge seit Jahren gestiegen. Seit 2019 wuchs die Zahl der betroffenen 6- bis 18-Jährigen um rund neun Prozent, bei den 15- bis 18-Jährigen sogar um fast 21 Prozent.

Im Zehnjahresvergleich seit 2011 stieg die Zahl der Betroffenen demnach insgesamt um 58 Prozent. Die KKH ist nach eigenen Angaben mit rund 1,6 Millionen Versicherten eine der größten bundesweiten gesetzlichen Krankenkassen.

Der Krankenkasse zufolge habe die Corona-Pandemie mit all ihren Einschränkungen die Entwicklung sprachlicher Kompetenzen vieler Kinder erschwert. Homeschooling und fehlende soziale Kontakte hätten dafür gesorgt, dass etlichen der direkte Austausch mit Lehrern und vor allem Gleichaltrigen gefehlt habe.

Wegen der Restriktionen fehlten die sozialen Kontakte

Das bestätigt Mutter Stephanie Kurzeja. Die Kalkarerin machte sich im Sommer regelrecht Sorgen, weil ihr Sohn Tristan zur „Corona-Generation“ gehört und vor dem Kindergarten praktisch keinen sozialen Kontakt hatte. Entsprechend habe sie das Gefühl, dass ihr Sohn bei der Sprachentwicklung ein bisschen spät dran ist. Da ihre Tochter viel Homeschooling hatte, musste sich die Mutter auch um sie kümmern. Deshalb sei der Vierjährige ein bisschen zu kurz gekommen.

Susanne Orth leitet das DRK-Familienzentrum in Schönau. Sie berichtet ebenfalls von einer steigenden Zahl von Sprachstörungen. „Die Tendenz ist, dass die Sprache bei den Kindern schlechter ist“, sagt sie: „Es kommen immer mehr Kinder, die spät sprechen. Das liegt auch daran, dass Kinder zu Hause keine Anreiz haben zu sprechen, weil Eltern das Spielzeug schon anreichen, wenn das Kind drauf zeigt.“

Oft seien Erzieherinnen der erste Kontakt, die nicht sofort reagieren, wenn das Kind „äh“ sage. Nach Schönau komme zweimal pro Woche eine Sprachtherapeutin, die mit den Kindern arbeite. „Sprachbildung findet im Alltag statt und muss nicht immer gezielt sein“, sagt Orth.