Eindrückliche Schilderungen eines Israelis und eines Palästinensers bei einem Treffen im Mechernicher Johanneshaus.
„Combatants for Peace“In Mechernich werben ein Israeli und ein Palästinenser für Frieden
Die beiden Männer, die am Tisch sitzen, trennen nur wenige Zentimeter. Räumlich. Doch was zwischen ihnen steht, ist nicht nur ihre Biografie, sondern auch die Geschichte ihrer Völker. Ein Israeli und ein Palästinenser berichten über das, was sie noch vor einigen Jahren zu erbitterten Gegner machte. Doch Osama Iliwat und Rotem Levin haben sich für einen anderen Weg entschieden. Sie werben gemeinsam für Frieden zwischen ihren Völkern – wie jetzt im Johanneshaus in Mechernich.
Ratlos und voller Schrecken blickt die Welt seit dem 7. Oktober in den Nahen Osten. An dem Tag überfielen Terroristen der Hamas israelisches Gebiet, töteten rund 1140 Menschen, entführten 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen. Seitdem ist dort Krieg. Erklärtes Ziel des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ist die Vernichtung der Hamas. Wie viele Menschen inzwischen tot sind, ist nicht gesichert. Die Vereinten Nationen warnen vor einer humanitären Katastrophe.
Mechernich: 80 Zuhörer lauschen den Berichten von Iliwat und Levin
Dass die Erschütterungen dieses Konfliktes bis ins beschauliche Mechernich reichen, ist ungewöhnlich. Doch die Berichte von Iliwat und Levin ließen kaum einen der 80 Zuhörer in Mechernich kalt. Sie machten nicht nur deutlich, warum die Feindschaft zwischen Israelis und Palästinensern so tief ist, sondern skizzierten auch eine Lösung. Organisiert worden war die Veranstaltung in Kooperation mit dem Freundeskreis „Frieden für Nahost“, „Omas gegen Rechts“, dem Kobiz und dem Kirchengemeindeverband Mechernich. Adnan Schanan (Nai) und die Sängerin Sieglinde Schneider sorgten für den musikalischen Rahmen.
Levin und Iliwat sind für die Organisation „Combatants for Peace“ in Deutschland unterwegs. Sie wurde 2006 von ehemaligen israelischen Soldaten und palästinensischen Widerstandskämpfern gegründet, setzt auf Begegnungen und Gespräche zwischen den Völkern, um einen Weg zum Frieden zu finden, und wirbt für Dialog und Gewaltlosigkeit, damit die verfeindeten Völker zueinanderfinden können.
Dass es möglich ist, haben der ehemalige Soldat und der ehemalige Terrorist am eigenen Leibe erlebt. Als die erste Intifada 1987 begann, sei er zehn Jahre alt gewesen, so Levin. Er habe nicht verstanden, warum die Palästinenser die Israelis töten wollten. In seiner ganzen Jugend habe er nie einen Araber kennengelernt. Als er zum ersten Mal in einem Bus Menschen Arabisch sprechen gehört habe, habe er Angst gehabt, dass es gleich eine Explosion gebe: „Ich habe Israel als Kollektiv kennengelernt, das Angst hat, dass die Palästinenser mit den Israelis das gleiche machen wie die Nazis.“
Ein Besuch in Deutschland veränderte das Leben von Rotem Levin
Sein Traum sei gewesen, Soldat zu werden, sein Land zu verteidigen. Mit seiner Einheit sei er in der Westbank gewesen. Bei einem nächtlichen Kontrollgang durch ein palästinensisches Dorf habe sein Kommandeur ihm befohlen, eine Handgranate in einen Hof zu werfen. Erst später habe er erfahren, dass dort Menschen gewesen seien.
Nach seinem Wehrdienst sei er durch die Welt gereist. In Deutschland habe er Palästinenser aus der Westbank getroffen. Das habe sein Leben verändert. „Ich hörte eine andere Geschichte, eine andere Realität“, so Levin. Zum ersten Mal habe er von der „Nakba“ gehört, der Vertreibung der Palästinenser aus ihren Dörfern 1948, als der Staat Israel gegründet wurde. „500 Dörfer wurden zerstört, 7000 Menschen vertrieben“, so Levin. Die Israelis begehen die Staatsgründung als Nationalfeiertag, für die Palästinenser sei es der Katastrophentag. Das werde nicht in israelischen Schulen unterrichtet, viele wüssten es nicht. Er habe sich entschlossen, auf die Westbank zu ziehen, mit dem einstigen Feind zu leben: „Ich habe keine Angst mehr, angegriffen zu werden.“
Osama Iliwat: „Das war der tapfere Soldat, jetzt kommt der Terrorist“
„Das war der tapfere Soldat, jetzt kommt der Terrorist“, eröffnete Iliwat sein Statement. Aufgewachsen sei er mit den Geschichten seiner Großmutter über ihre glückliche Zeit in dem Dorf, aus dem sie bei der „Nakba“ vertrieben wurde. Er habe in seiner Kindheit nie einen Israeli kennengelernt. Wenn Soldaten in die Schule gekommen seien, dann nicht, um für einen Eintritt in die Armee zu werben, sondern um Tränengas zu werfen, wenn Steinen auf sie geschleudert wurden. „Wir hatten immer Zwiebeln dabei, weil es das Einzige ist, was dagegen hilft.“
Während der ersten Intifada habe er nachts die Schüsse gehört. Soldaten seien in die Häuser gekommen, hätten seinen Vater angegriffen. „Ich wollte etwas gegen die Soldaten tun, die meiner Familie Angst machten“, sagte Iliwat. So habe er Graffiti gesprüht: Befreit Palästina. Eines Nachts sei er von Soldaten verhaftet worden. Im Gefängnis habe er gelernt, was Palästina sei, wie ein strategischer Kampf funktioniere: „Ich wurde von einem guten Schüler zu einem gewalttätigen Menschen.“ Trotzdem sei er zur palästinensischen Polizei gegangen, um den Friedensprozess zu unterstützen. In der zweiten Intifada im Jahr 2000 sei der Ort, in dem er lebte, abgeriegelt gewesen, Soldaten seien in den Straßen gewesen. Mehr berichtete er nicht.
Ziel: Die Menschen, die Völker zusammenzubringen
2016 aber, als er nur noch Gewalt gekannt und nicht gewusst habe, was das Leben ist, habe er die „Peace Conference“ kennengelernt. „Ich hörte Juden über illegale Siedlungen, Wasserdiebstahl und die Nakba reden“, so Iliwat. Da habe er verstanden, dass die Juden 1948 nicht gekommen seien, um das Land zu stehlen, sondern vor dem Holocaust geflohen seien. Er habe ehemalige KZs besucht, ihren Schmerz gefühlt. Iliwat machte deutlich, wie seine Realität in Israel aussieht: „Wir leben in verschiedenen Dörfern, gehen in verschiedene Schulen. Doch sie haben alle Rechte, ich habe nichts.“
Er wolle zeigen, wie das Leben ohne Rechte unter der Besatzung sei. Und genauso den Palästinensern ein anderes Bild von den Israelis nahebringen. Menschen zusammenzubringen sei das, was notwendig sei. „Die Geschichte wollte, dass wir Feinde sind. Wir entschieden uns, Freunde zu sein“, sagte er zu Levin.
Die beiden traten auch in den Dialog mit dem Publikum. Bei der Antwort auf die Frage nach einer Zweistaatenlösung wurde deutlich, wie schwierig dieser Konflikt ist. Levin hält die Zweistaatenlösung wegen der israelischen Siedlungen für nicht mehr relevant – doch auch eine Einstaatenlösung sei bei den Israelis nicht beliebt. „Wenn es eine Lösung ohne Freiheit und Gerechtigkeit gibt, wird es keine gute Lösung sein.“ Eine Trennung der Völker hält er nicht für hilfreich.