LVR-MuseumBarbara Linz spielt in Kommern eine Kosmetikberaterin aus den 60ern
Mechernich-Kommern – Ein hellblaues Kostüm, Lederhandschuhe, Perlenkettchen, die Haare ordentlich frisiert – und natürlich der unvermeidliche Musterkoffer: Wenn Barbara Linz im LVR-Freilichtmuseum auf dem „Marktplatz Rheinland“ vor dem Quelle-Fertighaus steht und in die Rolle der Avon-Beraterin Margret Schmidt schlüpft, dann fühlt man sich in die 1960er-Jahre zurückversetzt.
„Ich hatte immer schon großen Spaß daran, mich zu kostümieren und in andere Rollen zu schlüpfen, deshalb fand ich es so spannend, mich auf diesen verrückten Job zu bewerben“, so die Kunsthistorikerin, die auch als Redakteurin für Buchverlage gearbeitet hat. Im Freilichtmuseum gehört Linz, die im Oberbergischen lebt und regelmäßig für ihren Museumsjob nach Kommern pendelt, zum Team der „Gespielten Geschichte“.
Reise in die Vergangenheit
„Das Freilichtmuseum ist ein Museum über Menschen. Ihr Leben und Wirken in früherer Zeit steht im Mittelpunkt“, heißt es dazu von den Ausstellungsmachern. Auf dem Marktplatz Rheinland, auf dem die Entwicklung eines typischen Dorfs von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart dargestellt werden soll, gibt es weitere Akteure, die den Besuchern spezielle Aspekte ihrer Zeit vermitteln: Der Kriegsheimkehrer hat einen großen Garten und hält Kaninchen, weil es sonst kaum Lebensmittel gibt, der Ortsvorsteher arbeitet hauptberuflich bei der Post und hat deshalb 1969 noch Zeit, sich um die große Dorfpolitik zu kümmern.
Die (fiktive) Biografie von Margret Schmidt steht beispielhaft für viele Frauen ihrer Generation: Margret, eine geborene Fuhs, stammt aus Euskirchen und hilft schon als Kind den Eltern im Friseurgeschäft. 1935 heiratet sie den Kuchenheimer Buchhalter Eduard Schmidt, der in der Tuchfabrik Müller tätig ist. Im letzten Kriegsjahr wird Tochter Annemarie geboren. Margrets Mann und ihr Vater fallen in den letzten Kriegstagen, sie und ihre Mutter sind auf sich allein gestellt. Sie beziehen eine Wohnung in Wißkirchen. Weil das Geld aus den Witwenrenten knapp ist, muss Margret dazuverdienen. Sie macht den Nachbarinnen die Haare, und dann, zu Beginn der 60er, wird sie Repräsentantin einer Firma aus dem fernen Amerika und macht als Avon-Beraterin Karriere.
Ursprung in den USA
„Ich selbst hatte zu diesen Kosmetikberaterinnen nie einen persönlichen Bezug“, verrät Barbara Linz: „Aber ich kannte die Fernsehwerbung aus den 70er und 80er Jahren, als die Firma in Deutschland ihre Blütezeit hatte.“ Das Geschäftsmodell des Direktvertriebs wurde nicht von Avon erfunden: Auch andere Firmen, etwa der Frischhaltedosen- und Haushaltsartikel-Produzent Tupper, setzten früh auf das Modell. Handlungsreisende ziehen mit ihrem Musterkoffer von Tür zu Tür, um ihre Waren an den Mann oder die (Haus-)Frau zu bringen. „Im großen, dünn besiedelten Amerika war diese Vertriebsform ideal, um Produkte auch ohne entsprechende Laden-Infrastruktur zu verkaufen“, berichtet Linz.
David McConnell, Gründer der Firma Avon, begann als Buchhändler und gab kleine Parfümproben als Aufmerksamkeit an seine Kunden. Als er bemerkte, dass die Leute sehr an Parfüm interessiert waren, entwickelte er daraus seine Geschäftsidee. „Der geschäftliche Erfolg einer Avon-Beraterin lag natürlich auch im persönlichen Kontakt zu ihren Kundinnen. Bei einem Tässchen Kaffee oder einem Sektchen wurde viel geplaudert, das Verkaufen geschah dann meist eher ganz nebenbei“, erzählt Linz: „Mein Standardspruch als Margret Schmidt lautet: ,Ich kenn mich aus, ich bin vom Fach!’“
Intime Atmosphäre als Erfolgskonzept
Als eine Museumsbesucherin das Wohnzimmer des Quelle-Fertighauses betritt, wechselt Linz in die Rolle der Kosmetikberaterin: „Da sind Sie ja! Wir hatten ja heute einen Termin“, begrüßt sie die Besucherin mit deutlichem, rheinischen Akzent und stellt sich als Avon-Beraterin vor. Die Besucherin ist zunächst etwas irritiert, aber dann erkennt sie bei einem Blick in den geöffneten Musterkoffer die verspielten Parfümflakons und rosafarbenen Puder- und Seifeverpackungen, die für den Avon-Stil der 60er und 70er typisch waren. „Das geht vielen Besuchern so: Kürzlich war ein ungefähr elfjähriges Mädchen hier, das ein Puderdöschen wiedererkannt hat, weil ihre Oma das gleiche zu Hause hat“, berichtet Linz.
Doch natürlich diente alle Vertrautheit und die fast schon intime Atmosphäre im heimischen Wohnzimmer letztlich auch nur dem wirtschaftlichen Erfolg: „Die Avon-Beraterinnen waren nicht fest angestellt und verdienten daher nur etwas, wenn sie ihre Produkte verkaufen konnten“, so Linz. Die Frauen mussten sogar finanziell in Vorleistung für Musterkoffer und Grundausstattung an Artikeln gehen. „Zehn Mark hat dieses Basis-Sortiment gekostet“, berichtet Linz: „Avon hat die Beraterinnen dann für die Verkaufsgespräche geschult, zum Beispiel mit Broschüren. Das Museum hat von der heute noch existierenden Firma Avon Original-Material aus den 60er Jahren erhalten, wo man das alles sehr gut nachvollziehen kann.“
Visitenkarte gab die Idee zur Rolle
Aber wie ist die Idee entstanden, eine Kosmetikberaterin im Museum anzusiedeln? „Das ist typisch für die Nachkriegszeit: Alles, was aus Amerika kam, war modern und interessant“, sagt Museumssprecher Daniel Manner.
Und als der Quelle-Bungalow aus Stommelerbusch vor einigen Jahren nach Kommern verfrachtet wurde, da fanden die Museumsleute in einer Schublade eine Visitenkarte, die die ehemalige Haus-Eigentümerin als Avon-Beraterin auswies. Und so wird im Freilichtmuseum wieder ein Stück Geschichte lebendig.
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An zwei Tagen pro Woche und einem Wochenende im Monat ist Barbara Linz als Margret Schmidt im Freilichtmuseum im Einsatz. Die genauen Termine gibt’s tagesaktuell auf der Internetseite des Museums.