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Mechernich ist gespaltenSo lebt es sich in einer Stadt mit bleiverseuchtem Boden

Lesezeit 5 Minuten

Die Belastungszone erstreckt sich über 26 Quadratkilometer.

  1. Das Blei in der Erde bescherte der Eifel einst einen riesigen Aufschwung – heute spaltet es eine Stadtgesellschaft.
  2. In Wohngebieten darf die Bleibelastung bei höchstens 400 Milligramm pro Kilogramm Erde liegen. In Mechernich liegt der Wert an manchen Stellen bei 10.000 Milligramm.
  3. Doch obwohl das Blei krebserregend ist, ist die Nachfrage nach Baugrundstücken in der 28.000-Einwohner-Stadt groß.
  4. Wir haben mit Verantwortlichen und Anwohner gesprochen und gefragt, was Mechernich gegen die Gefahr im Boden unternimmt.

Mechernich – Alfred Schink sieht das alles mit der Gelassenheit seiner 82 Jahre. „Ich habe fünf Jahre auf’m Bergwerk malocht“, sagt er. Als Kind habe er im Bleisand gespielt: „Und ich fühle mich sauwohl.“ Wenn der Rentner das in einer der sich häufenden Bürgerversammlungen in Mechernich erzählt, applaudieren manche. Andere nicht. Das Blei in der Erde spaltet die Stadtbevölkerung.

Mechernich im Kreis Euskirchen, die „Stadt am Bleiberg“: Hier leben rund 28.000 Menschen, knapp 7000 davon im Kernort, die anderen verteilt auf 43 Ortschaften im Stadtgebiet. Rund 85 Prozent der Fläche sind Wald, Felder, Gewässer – ein Stück Eifel wie aus der Broschüre. „Leben, wo andere Urlaub machen“, so wirbt die Stadt um potenzielle Neubürger.

„Blei ist im menschlichen Körper immer schädlich“

Das ist die eine Seite. Die andere spiegelt die Bleibelastungskarte wider. Sie weist Werte von 100 bis 10.000 Milligramm Blei pro Kilogramm Erde aus. Auch in geplanten Baugebieten bewegen sich die Zahlen im höheren vierstelligen Bereich. Weit über den 200 Milligramm, die für Kinderspielflächen als Prüfwerte gelten, und den 400 Milligramm für Wohngebiete. Das idyllische Städtchen liegt inmitten einer 26 Quadratkilometer großen Belastungszone. Dort sind nicht alle so entspannt wie Schink.

Jörg Schriever jedenfalls ist es nicht. Von 1975 bis 2005 war er Leiter der Kinderabteilung des Krankenhauses. „Blei, egal in welcher Dosis, ist im menschlichen Körper immer schädlich. Es ist krebserregend und genverändernd“, sagt der 79-Jährige. Dauerhafte orale Aufnahme führe zu Müdigkeit, die geistige, körperliche und sexuelle Entwicklung könne leiden. Gerade Kleinkinder sind gefährdet, weil sie die Umgebung erkunden, indem sie alles in den Mund stecken. Auch Erde und Sand. „Natürlich kippt keiner tot um, wenn er mal Blei aufnimmt. Es geht um die Gefahr bei chronischer Aufnahme“, sagt Schriever.

Zahlreiche Kinderspielplätze brauchen neuen Boden

Das wirkt. Auch bei den Verantwortlichen von Stadt, Kreis und Land. In zwei Baugebieten werden bald weiträumig 35 Zentimeter hohe Schichten Erde ausgetauscht und Abtrennungen zum Unterboden eingerichtet. Erst dann darf gebaut werden. Bebauten Grundstücken sollen Proben entnommen werden. Und im Rathaus liegt eine Prioritätenliste, wann welcher der belasteten Böden auf 42 Kinderspielplätzen ausgebessert wird. Keiner müsse gesperrt werden. Aber Handlungsbedarf sei da. Nur 21 waren ohne Befund.

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Für die Maßnahmen gibt es Lob von der Initiative „Mechernicher Bürger für ein gesundes, lebenswertes Mechernich“. „Wir wollen keine unnötige Panik verbreiten“, versichert ihr Sprecher Thomas Dreschers: „In Mechernich kann man gut leben.“ Er fordert aber mehr Transparenz und Sensibilität. Dazu gehöre die stetige Überprüfung der Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung.

Mechernicher sollen regelmäßig Blut testen lassen

Zwar ergab im Vorjahr ein Blutscreening bei 503 Freiwilligen, dass ihr Bleigehalt kaum höher ist als im Bundesschnitt. Das Resultat aber taugte nur für einen Überblick. Mediziner Schriever fordert, bei Check-ups vom Hausarzt das Blut der Patienten auf Blei zu testen und die Ergebnisse regelmäßig auszuwerten. Anhand ausgefallener Milchzähne könne die Bleiaufnahme von Kindern analysiert werden. „Wir müssen mit dem Blei leben“, sagt Schriever: „Die Frage ist nur, wie.“

Auf dem Bleiberg stand der lange Emil (r.) – der Schornstein war das Wahrzeichen Mechernichs

Seit gut zwei Jahren beschäftigt die Mechernicher diese Frage wieder verschärft. Machen die Verantwortlichen genug, um die Bevölkerung zu schützen? Die Alteingesessenen wissen, dass sie in belasteter Erde kein Obst oder Gemüse anbauen sollen. Sie wissen auch um die 2000-jährige Geschichte des Bleiabbaus in ihrer Region. Sie kennen die alten Luftaufnahmen, die die wüstenähnlichen Bleisandzonen zeigen, die damals weite Teile des früheren Bergbau- und Hüttenbereichs bedeckten. Sand, der den Erzählungen der Älteren zufolge durch die Straßen wehte. 63 Jahre nach der letzten Schicht erinnern „Eisen und Schlägel“ im Stadtwappen, das Flüsschen Bleibach und das Bergwerksmuseum an die einstmals größte Bleierzlagerstätte Europas.

Auch das Örtchen Bleibuir heißt nicht ohne Grund so. In seiner Nähe ist Hans-Peter Schick (CDU) aufgewachsen. Seit 21 Jahren ist der promovierte Agrarwissenschaftler Bürgermeister, muss teils hitzige Debatten führen. Freude bereiten die ihm nicht. Dabei läuft’s eigentlich ganz prächtig. Die Nachfrage nach Grundstücken ist so groß, dass die Kommune mit der Ausweisung neuer Baugebiete kaum nachkommt. Doch der Flächenverbrauch stößt auch auf Kritik. Wird das Blei instrumentalisiert, um die Baupolitik zu diskreditieren? Diese Meinung gibt es in Mechernich.

„Die Menschen sind sensibler geworden“

So kontrovers wie in Mechernich ist die Diskussion in der Nachbargemeinde Kall nicht. „Die Menschen sind aber sensibler geworden“, sagt Hans Reiff. Er ist Ortsvorsteher von Scheven und Dottel, zwei kleinen Dörfern, in denen 2000 bis 5000 Milligramm Blei pro Kilo Erde gemessen wurden. „Da hinten“, zeigt Reiff auf zum Teil schon grün bewachsene Halden, „das ist der Sand, der früher mit Blei in Berührung kam.“ „Sperrgebiet“ steht auf Schildern. Reiff erinnert sich auch noch an Hühner, die im Kreis umherirrten, oder an Haus-und Nutztiere, die an einer Überdosis Blei starben.

Hans Reiff (FDP), Ortsvorsteher

Das ist lang her. In den 1980ern schreckten die Eifeler schon einmal wegen des Bleis auf. Eine der Problemzonen wurde daraufhin zur seinerzeit größten Mülldeponie Deutschlands. Millionen-Einnahmen für den Kreis Euskirchen.

Heute allerdings geht’s um Ausgaben. Die Schutzmaßnahmen verschlingen Millionen. Wie viele genau, kann derzeit niemand sagen. Das Land zeigt sich kooperativ. Denn es war die staatliche Preussag, die, so Bürgermeister Schick, 1957 den Bergbau abwickelte, ohne sich um die Hinterlassenschaften zu kümmern. Die Kosten tragen heute die Steuerzahler.