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Die Flut mal vergessenTheaterschule Nettersheim schafft Auszeit für betroffene Kinder

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Auch an der Ukulele konnten sich die Kinder in der Gesamtschule erproben.

Nettersheim – Am ersten Tag sind es 20, am zweiten Tag 39 und zu Beginn der zweiten Woche schon 55. Die Rede ist nicht etwa von steigenden Corona-Inzidenzen, sondern von den Mädchen und Jungen, die die offene und kostenlose Kinder-Auszeit in der Gesamtschule nutzen. In einer Hauruck-Aktion – Vorlauf: keine fünf Tage – hat Heidrun Grote, Chefin der Theaterschule Nettersheim, sie auf die Beine gestellt.

Hochwasser hat Orte für Kinder zerstört

„Die Theaterschule im Ortszentrum ist unversehrt geblieben, weil sie im ersten Stock liegt. Aber alle Kinderorte im Dorf sind weg: das Naturzentrum, das Kinderkino in der Scheune, die Eisdiele, die Bücherei, das Literaturhaus“, sagt Grote. Und Spielen an Urft, Genfbach oder im Wald sei jetzt nicht angesagt wegen der Kontamination und der Umsturzgefahr. „Da muss ich doch etwas tun, hab ich mir gedacht.“

Also startet sie einen Spendenaufruf und sucht Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Von Anfang an dabei ist Ulrike Kreuer. Die ist eigentlich Gartenbauingenieurin, auf die Anlage von Gärten für Menschen mit Demenz spezialisiert und als Honorarkraft für das grüne Gesicht der Gemeinde zuständig. Wenn die schon am ersten Tag der Kinder-Auszeit stöhnt: „Ich weiß schon, warum ich mit alten Menschen und nicht mit Kindern arbeite“, ist das eine leicht durchschaubare Schummelei. Schließlich ist sie als ehemalige Pfadfinderin gestählt und wird von den Kindern offenkundig als Respektsperson akzeptiert.

Auch Wrestler unterstützt Auszeit-Ahngebot für Kinder

Auch die Gemeinde lässt sich nicht lange bitten. Sie stellt die Räume in der Gesamtschule und Bierzeltgarnituren zur Verfügung, dazu die Coronatest-Infrastruktur. Die Kölner Spielewerkstatt schickt allerlei Material, das gleichermaßen der Kurzweil und der Koordination dient.

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Das Kernteam bilden Ulrike Kreuer (v.r.), Gertrud Schruff, Fynn Freyhart, Heidrun Grote, Lisa Bauerfeind und Angelika Schütte.

Carlos Martinez, der sein Geld in der Wrestlingbranche verdient und in Nettersheim lebt, baut einen Kampfring auf und vermittelt seinen Kollegen Fynn Freyhart aus Lübeck an die Kinder-Auszeit. Der Profi, der auf Werbefotos echt furchterregend aussieht, ist in Wirklichkeit ein ganz freundlicher Kerl.

Er wird nicht müde, den Kids das schmerzfreie, aber durchaus laute Fallen beizubringen. Vor allem die Jungs hängen an seinen Lippen, wenn er wieder und wieder die Judorolle erklärt und vormacht.

Musiker aus Hannover geben Gitarrenunterricht

Aus Hannover sind die beiden Musikerinnen Jojo und Alissa angereist. Ihr Gitarrenunterricht in der ersten Woche ist eine Kreativspende. Aber wie kommen zwei Mädels aus Hannover auf die Idee, Nothilfe in Nettersheim zu leisten? Schuld ist Jojos Vater, der sich Nettersheim verbunden fühlt, seit er an einem archäologischen Grabungscamp teilgenommen hat.

Aktion Lichtblicke unterstützt Auszeit

Ermöglicht wurde die Kinder-Auszeit durch die finanzielle Unterstützung der Aktion Lichtblicke. Lichtblicke ist ein 1988 gegründeter Verein, der sich in NRW um in Not geratene Kinder, Jugendliche und Familien kümmert. Ins Leben gerufen wurde er von den 45 NRW-Lokalradios, den Caritasverbänden sowie der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. (CM)

Auf der Facebookseite der Gemeinde hatte er den Hinweis auf die Kinder-Auszeit entdeckt und seine Tochter und deren Freundin motivieren können, in die Eifel zu fahren.

Vom ersten Tag an dabei sind auch Lisa Bauerfeind und Gertrud Schruff, die Ortsvorsteherin von Engelgau. Sie kümmern sich als Mädchen für alles um den reibungslosen Ablauf im Hintergrund, nehmen Anmeldungen entgegen, teilen Getränke aus, schnibbeln Obst und Gemüse für die Mittagspause.

Märchenerzählerin tröstet, liest vor und bastelt mit den Kindern

Angelika Schütte, im Ort auch als Märchenerzählerin bekannt, ist neben den beiden der ruhende Pol in der lärmenden Kinderschar. Sie liest vor, bastelt, tröstet und wird auch mal streng, wenn kleine Rabauken aus dem Ruder zu laufen drohen. Und sie kann gut zuhören. Denn die Kinder erzählen auch von der Flutkatastrophe.

Wenn ihnen selber die Worte fehlen, übernehmen sie das Vokabular der Eltern, hat sie beobachtet: „Es hatte keinen Zweck mehr, deshalb sind wir nach oben gegangen.“ Oder dass sie jetzt zum Duschen im Badeanzug in den Garten gehen. Die Solardusche liefert dort warmes Wasser. Im Haus gibt es das nicht mehr, seit die Heizung im Keller geflutet worden ist.

Auch Heidrun Grote, die mitunter 30 Kinder gleichzeitig in ihrem Schauspielangebot bespaßt, hat beobachtet, dass die Kinder ihr „eher nebenbei“ erzählen, was ihnen passiert ist: „Da kommt ein Mädchen und teilt mir seine Freude darüber mit, dass es sich für umsonst ein neues Fahrrad abholen konnte.“

Angebot für Kinder spricht sich herum

Längst kommen die Kinder nicht nur aus dem Kernort, auch Eltern aus Kall und Gemünd sind auf das Angebot aufmerksam geworden. „Die berichten mir, wie begeistert die Kinder sind von dem, was sie hier erleben. Manche können gar nicht glauben, dass es umsonst ist und bieten ihre Unterstützung an“, erzählt Heidrun Grote.

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Die ist natürlich nach wie vor willkommen – wie die von Bettina Bublitz, der künftigen Nettersheimer Neubürgerin. Sie näht mit den Kindern. Ein Junge zeigt stolz ein in roten Faden gefasstes Herz aus Filz: „Das hab ich gemacht. Das ist für meine Mama, die hat heute nämlich Geburtstag.“ Er greift in die Hosentasche und präsentiert zwei rote Knöpfe auf seiner ausgestreckten Hand: „Das werden die Augen.“

Bis zum 14. August gibt’s die Angebote für Jungen und Mädchen zwischen 6 und 16 Jahren montags bis freitags von 9 bis 15 Uhr. www.theaterschule-nettersheim.de