Notbetreuung in Tagespflege-EinrichtungenWieder bei Null angefangen
Kreis Euskirchen – Es ist nicht mehr so, wie es vor der Corona-Krise in der St.-Anna-Tagespflegeeinrichtung in Dahlem war. Sechs Senioren sind in den Räumen, in denen vorher 15 betreut werden konnten. Abstandsregeln und Infektionsschutz fordern ihren Tribut. Notbetrieb, so nennt sich der augenblickliche Zustand, ähnlich wie in den Kitas. Nur die, die es besonders nötig haben, dürfen hier tagsüber hinkommen. Doch viel weiter gehen für Einrichtungsleiterin Ilse Jacoby die Ähnlichkeiten mit den Kindergärten nicht.
Sie mahnt an, dass derzeit viel über die Belastung von Eltern geredet werde, weil Schulen und Kindergärten geschlossen seien. Doch die Belastung der Menschen, die häusliche Pflege leisten und durch die Schließung der Einrichtungen plötzlich ohne die Unterstützung in der Tagespflege dastanden, werde nicht thematisiert. „Dabei ist es ähnlich wie bei den Kitas, da muss jetzt Normalität rein“, fordert sie.
Regeln noch nicht bekannt
Davon ist das System der Tagespflege in NRW jedoch noch weit entfernt. Am 2. Juni, so die derzeitigen Pläne, sollen sie wieder öffnen dürfen. Welche Regeln dann gelten, ist bislang noch nicht bekannt. Einige wenige Tagespflegeeinrichtungen nehmen derzeit im Notbetrieb Gäste auf, wenn die Angehörigen zu den systemrelevanten Berufen zählen. Oder, wie in Dahlem, wenn die Betreuten es besonders nötig haben.
Nachdem am 16. März die Tagespflegeeinrichtung geschlossen werden mussten, war Jacoby in der Sozialstation in Blankenheim tätig. Dort habe sie Kontakt mit einigen ihrer Gäste aus St. Anna gehabt: „Ich habe mich erschrocken, als ich eine demente Frau wiedersah und feststellen musste, wie sie sich negativ entwickelt hatte.“ Seit 40 Jahren sei sie in der Seniorenbetreuung tätig, aber sie habe nicht gedacht, dass der Wegfall der Strukturen solche Folgen haben könne.
Notbetrieb seit Ende April
Kurzerhand habe sie mit Elisabeth Nosbers, Leiterin des Fachbereichs Pflege bei der Caritas Eifel, über die Notwendigkeit gesprochen, eine Notbetreuung einzurichten. Nachdem Heimaufsicht und Gesundheitsamt ihre Zustimmung erteilt hatten, konnte der Notbetrieb am 27. April beginnen.
Das Kriterium war nicht nur die Systemrelevanz der Angehörigen, sondern vielmehr die Notwendigkeit der Betreuung. Zum Beispiel werde in Dahlem ein Mann betreut, der mit seiner Frau zusammenlebt, aber eine Tag-Nacht-Umkehr hat und nachts aktiv ist. Schließlich wisse sie, dass dessen Frau nur schlafen kann, wenn der Mann in der Tagespflege ist.
Zahlreiche Unsicherheiten vor der Öffnung
Am 2. Juni, so die Planung des Landes, sollen Tagespflegeeinrichtungen wieder öffnen. Doch die Verantwortlichen sehen dieses Datum mit Vorsicht. Eine Verbesserung des Angebots über den augenblicklichen Notbetrieb hinaus werde schwierig zu realisieren.
„Ich kann mir eine Rückkehr zur normalen Betreuung nicht vorstellen“, so Martin Jost von der Caritas Euskirchen. Bislang seien keine Vorgaben bekannt, doch das Raumkonzept in der Einrichtung in Euskirchen lasse bei Beachtung der Abstandsregeln nicht mehr zu als die fünf Personen, die aktuell im Notdienst betreut werden. Normal sind dort 15 Besucher.
Die Überlegungen gehen in Euskirchen dahin, die Frequenz der Besucher zu verringern, damit möglichst viele in den Genuss der Tagespflege kommen können. „Ich könnte es mir nicht anders vorstellen als eine zeitliche Versetzung, andere Zeitfenster, damit möglichst viele kommen können, aber nicht mehr gleichzeitig in der Einrichtung sind“, sagt Jost.
Insgesamt 35 Plätze bietet im Normalbetrieb die Kreiskrankenhaus Mechernich GmbH in drei Tagespflegeeinrichtungen in Zülpich, Schleiden und Mechernich an. Am 16. März wurden diese geschlossen, so der Geschäftsführer Manfred Herrmann. Ob sie am 2. Juni wieder öffnen, könne er sich angesichts der Unsicherheit über die Vorgaben nicht vorstellen. Eher rechne er mit einem späteren Termin. „Es gibt zu viele offene Fragen“, erläutert er. Dazu gehörten Mengenvorgaben, Abstandsregeln und die Frage der Fahrten in die Einrichtungen. Vor Corona seien die Betreuten zu dritt im Taxi gekommen. Ob das so möglich sein werde, sei unklar. „Im Sinne einer sicheren Umgehensweise muss man vorsichtig sein“, mahnte er. (sev)
„Das Thema Seniorenbetreuung fällt hinten runter, das ist kaum bekannt“, bestätigt Martin Jost, Vorstandsvorsitzender des Caritasverbands für das Kreisdekanat Euskirchen. Sein Verband hat seit dem 14. Mai eine Notbetreuung in der Tagespflege in Euskirchen eingerichtet. Außerdem gibt Notbetreuungen bei der Caritas in Blankenheim und bei Vital in Euskirchen. „Der Druck der Angehörigen wurde zu groß“, berichtet Jost. Die Belastung sei durch den Wegfall der Tagespflege gestiegen – ebenso die Nachfrage nach Entlastung.
Doch nicht nur Fälle, in denen der Ehepartner überfordert oder die Kinder berufstätig seien, sorgen Jacoby. Schwierig sei auch die Situation für Alleinlebende: „Viele sind vereinsamt, weil sie auch keinen Besuch mehr von den Kindern bekommen, die sind noch einsamer als Leute in Pflegeheimen.“
Mit zwei Kolleginnen betreut Jacoby in der Regel sechs Personen. „Nach den sechs Wochen fingen wir wieder bei Null an“, erzählt sie. Was vorher selbstverständlich war, sei verloren gegangen. All die Ängste, die die Betreuten quälen, die Fragen, wie sie nach Hause kämen, ob die Angehörigen wüssten, wo sie seien, die seien auf einmal wieder da. Die Corona-Regeln seien zudem zu realisieren. Der Taxiunternehmer fährt mit einem Großraumfahrzeug drei Personen, die auf Abstand sitzen und Masken tragen. Am Eingang der Einrichtung steht ein Desinfektionsmittelspender. Am großen Esstisch sitzen die Betreuten mit großem Abstand. Und wenn es mal eng wird, zum Beispiel bei der Hilfe auf der Toilette, kommen Masken zum Einsatz.
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„Hygiene ist Alltag, nicht nur bei Corona“, so Jacoby. Aber: Wenn die Ängste kommen und Trost notwendig wird, werden die Gäste auch mal in den Arm genommen. „Dann ist das eben so“, so Jacoby.