Olympische Spiele 1972Für Euskirchenerin platzte der Medaillentraum im Halbfinale
Euskirchen/Lennestadt – Die Olympischen Spiele von München 1972 sollten als „die heiteren Spiele“ in die Geschichte eingehen und das Bild eines modernen, weltoffenen Deutschlands in die ganze Welt transportieren. Doch ein Anschlag gegen das israelische Olympia-Team, für den die palästinensische Terrororganisation „Schwarzer September“ verantwortlich war, sorgte bei den Athleten, der Politik und den Zuschauern für einen Schock. Auch für Christel Frese-Gerber aus Euskirchen war die Erfahrung traumatisch.
Aufarbeitung folgte später in Köln
„Bei uns Sportlern hat dieses schreckliche Attentat noch jahrelang nachgewirkt“, sagt Christel Frese-Gerber: „Im Kreis der Athleten und Trainer in Köln haben wir das später aufgearbeitet. Es war traumatisch.“ Die ehemalige 400-Meter-Sprinterin, die unlängst ihren 78. Geburtstag gefeiert hat, war 1972 hautnah in München dabei. Und unter den insgesamt 7170 Sportlerinnen und Sportlern aus 121 Nationen, die bei den zweiten olympischen Sommerspielen auf deutschem Boden starteten, war sie die einzige Teilnehmerin aus dem Kreis Euskirchen.
„Ich war von 1968 bis zu meiner Pensionierung im Jahr 2007 Lehrerin für Sport, Mathematik und Biologie an der Marienschule in Euskirchen“, erzählt die gebürtige Sauerländerin im Gespräch mit dieser Zeitung.
Umzug ins Sauerland
Ins Sauerland ist sie auch nach Ende ihrer Lehrtätigkeit an dem Euskirchener Gymnasium zurückgekehrt. „Ich wollte immer zurück in mein Elternhaus, und hier in Lennestadt bei Olpe fühle ich mich heute auch richtig wohl“, berichtet die Olympionikin von 1972.
An die Zeit im olympischen Dorf in München hat Frese-Gerber viele positive Erinnerungen: „Es war einfach toll. Wir alle haben so viele interessante Leute kennengelernt“, schwärmt die ehemalige Läuferin noch heute von den Erlebnissen im Jahr 1972: „Da war zum Beispiel dieser Schwergewichtsringer aus der US-Mannschaft, der hat sich mit seinem Tablett immer viermal an der Essensausgabe angestellt ...“
Rein sportlich gesehen hat Frese-Gerber allerdings nicht die besten Erinnerungen an die Spiele von München, deren Beginn sich in diesem Spätsommer zum 50. Mal jährt: „Schon im 400-Meter-Zwischenlauf hatte ich Beschwerden an der Achillessehne“, berichtet Frese-Gerber. Vom Arzt der bundesdeutschen Leichtathletik-Mannschaft wurde sie fürs Halbfinale „fit gespritzt“ – im Rennen zog sie sich dann einen Muskelfaserriss zu.
Enttäuschung immer noch spürbar
„Ich denke, ich wäre ins Finale gekommen“, sagt Frese-Gerber, und die Enttäuschung über das jähe Ende ihres Traums von einer olympischen Medaille ist immer noch herauszuhören, wenn sie über die Wettkämpfe im Münchener Olympiastadion mit dem prägnanten Zeltdach erzählt.
Tatsächlich war die Sprinterin aus Euskirchen gut drauf im August und September des Jahres 1972 – und zunächst lief auch alles wunschgemäß: Sie gewann ihren 400-Meter-Vorlauf in 52,89 Sekunden und konnte anschließend als Vierte des Zwischenlaufs in 53,01 Sekunden die Olympiasiegerin von 1968, Colette Besson, aus dem Rennen werfen.
Im Halbfinale folgte dann das verletzungsbedingte Aus: Auf Fotos von damals ist zu sehen, wie die 1,65 Meter große Läuferin auf der Tartanbahn des Olympiastadions liegt und von Kampfrichtern und Offiziellen betreut wird. Auf einer Trage wird sie kurze Zeit später von Sanitätern aus dem Stadion getragen.
Staffel holte ohne Frese-Gerber Bronze
Noch schwerer wog die Verletzung Frese-Gerbers jedoch für ihre Mannschaftskolleginnen aus der 4x400-Meter-Staffel, in der die Euskirchenerin in ihrer guten Form als Schlussläuferin gesetzt war. Klarer Favorit in diesem Wettbewerb, der in München erstmals im olympischen Programm vertreten war, waren die Läuferinnen aus der DDR, die im Finale am 10. September sogar einen neuen Weltrekord aufstellten.
Das bundesdeutsche Quartett hätte die Chance auf eine Silbermedaille gehabt, aber nach dem verletzungsbedingten Aus der Lehrerin wurde das schwieriger: „Die Ersatzläuferin war etwas langsamer als ich, deshalb hat es nicht ganz gereicht“, sagt Frese-Gerber. In der Besetzung Anette Rückes, Inge Bödding, Hildegard Falck und Rita Wilden lief die bundesdeutsche Staffel hinter den US-Läuferinnen auf den dritten Platz und holte Bronze.
Sechs Europameister-Titel
Im Lauf ihrer Karriere gewann Christel Frese-Gerber insgesamt neun deutsche und sechs Europameistertitel und lief 15 deutsche, vier Europa- und drei Weltrekorde. Sie gewann außerdem 26 Länderkämpfe. Nach ihrer in München erlittenen Verletzung kehrte sie schon bald auf die Bahn zurück. Im Oktober 1973 stellte sie in Bonn sogar ihre persönlichen Bestzeiten über 100 Meter (11,84 Sekunden) und 200 Meter (24,13 Sekunden) auf. „Meine Bestzeit über die 400 Meter bin ich im Mai 1972, ebenfalls in Bonn, gelaufen: 52,2 Sekunden“, weist Frese-Gerber noch einmal auf ihre herausragende Form im Olympiajahr hin.
Im Jahr 1975 beendete sie schließlich ihre Karriere als Leichtathletin und wurde Fußballspielerin – und auch bei dieser Sportart stand für die erfahrene Wettkämpferin der Leistungsgedanke im Mittelpunkt. Gleich mit ihrem ersten Verein, der SSG 09 Bergisch Gladbach, holte sie 1977 die deutsche Meisterschaft.
Karriereende in Euskirchen
Danach wechselte sie zu einem weiteren Spitzenverein des Frauenfußballs, dem SC 07 Bad Neuenahr, bevor sie ihre zweite aktive Karriere beim VfL Euskirchen ausklingen ließ. „Ich habe meistens in der Abwehr gespielt und war für meine schnellen Vorstöße bekannt“, lacht die ehemalige Sprinterin – gelernt ist eben gelernt.
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Als Lehrerin an der Marienschule gehörte eine Sportlerin, die eine große Karriere machen sollte, zu ihren Schülerinnen: Silke Rottenberg. Die Dürschevenerin, als Torfrau der deutschen Nationalmannschaft Rückhalt der Weltmeister-Teams von 2003 und 2007, spielte zunächst beim SC Enzen-Dürscheven und wechselte dann zum VfL Euskirchen, wo Christel Frese-Gerber Trainerin war.
Sportinteressierte Nachhilfelehrerin
Auch nach ihrem Umzug ins Sauerland war sie weiter als Trainerin im Mädchenfußball engagiert. „Sportlich interessiert bin ich auch heute noch. Mit den deutschen Frauen habe ich bei der EM in England natürlich bei jedem Spiel mitgefiebert“, sagt die 78-Jährige. Und auch ihr Beruf als Lehrerin wirkt noch nach: „Es gibt immer noch ein paar Nachhilfeschüler, die ich betreue. Jetzt gerade brütet zum Beispiel einer meiner Schützlinge über seinen angeblich viel zu schweren Matheaufgaben.“
Natürlich hätten wir auch gerne ein aktuelles Foto von Frese-Gerber in diesem Artikel veröffentlicht. „Aber Sie wollen doch nicht so eine alte Schachtel wie mich im Blatt haben“, lacht die Sauerländerin während des Telefonats mit der Redaktion.