Pandemie belastetEuskirchener Beratungsstellen verzeichnen stark gestiegenen Zulauf
Euskirchen – Die zurückliegenden 15 Monate in der Pandemie haben Auswirkungen auf alle Menschen, ganz gleich ob sie alleine leben, als Paar oder Familie. Deutlich wird dies unter anderem in der Beratungsarbeit. So auch in der katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle (EFL) in Euskirchen.
„Durch den intensiven Einsatz von Telefon- und Videoberatung war es uns möglich, die Beratungsarbeit ungemindert auch während des Lockdowns fortzusetzen“, erzählte Benedikt Kremp, Leiter der Beratungsstelle Euskirchen.
Große Belastung für Familien
2020 verzeichnete die EFL einen Zuwachs von neun Prozent bei den Beratungsstunden gegenüber 2019. Vor allem nach dem ersten Lockdown sei der Beratungsbedarf merklich angestiegen. „Nach den Sommerferien gab es eine zweite Phase, in der viele Neuanmeldungen eingingen“, so Kremp.
Die große Belastung von Familien mit kleinen Kindern und Schulkindern, die Kinderbetreuung, Home-Schooling und Berufstätigkeit unter einen Hut bringen mussten, fiel in den Beratungsgesprächen außergewöhnlich ins Gewicht. „Besonders hart wird die Situation in Familien erlebt, in denen Kinder einen verstärkten Förderbedarf haben“, erzählt Kremp.
In den zahlreichen Gesprächen, die die Mitarbeitenden mit Ratsuchenden führten, wurde auch deutlich, wie unterschiedlich Menschen in der Krise reagieren: Während der eine Mensch in stoischer Ruhe seinen Alltag fortsetze, beginne ein anderer höchst aktiv das Leben in den neuen Bedingungen zu organisieren.
Rückzug und Gereiztheit
Manche würden die Bedrohung durch das Virus eher als gering erleben, andere reagierten höchst alarmiert. „Die einen ziehen sich stärker in sich zurück und verspüren Lethargie, andere reagieren eher gereizt“, so der Beratungsstellenleiter. „Wir lernen in der Pandemie viel darüber, was unsere individuelle Reaktionsweise auf bedrohliche Situationen ist.“ Ungewissheit sei für die menschliche Psyche besonders schwer auszuhalten. Dass bisher alle zeitlichen Perspektiven im Verlauf der Krise korrigiert wurden, habe zunehmend zu Ermüdung geführt. „Jemand hat die Situation mit einem Marathonlauf verglichen, bei dem die Ziellinie immer wieder verlegt wird. Bei einem solchen Lauf können sich die Läufer ihre Kraft nicht einteilen.“
Religionszugehörigkeit spielt keine Rolle
Im vergangenen Jahr fanden in der Katholischen Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen (EFL) an der Euskirchener Neustraße 43 insgesamt 796 Paarsitzungen und 428 Einzelsitzungen statt. Hinzu kamen 84 Familienberatungsstunden. Rat und Unterstützung suchten insgesamt 181 Frauen und 145 Männer.
Die Religionszugehörigkeit spielt keine Rolle, die EFL-Beratungsstelle steht allen offen. 2020 waren 67 Prozent der Klienten katholisch, 13 Prozent evangelisch und 17 Prozent ohne Religionszugehörigkeit.
Angeboten werden Paar-, Einzel- und Familienberatung (für Familien mit erwachsenen Kindern). Termine können vereinbart werden unter der Telefonnummer 0 22 51/5 10 70. Auch Onlineberatungen sind möglich unter www.onlineberatung-efl.de. Außerdem können interessierte Paare Zugang zu einem onlinebasierten Paarcoaching unter www.efl-paarbalance.de erhalten. (hn)
In den Paarbeziehungen und in den Familien zeichnen sich verschiedene Tendenzen nach Monaten der Pandemie ab. Viele Paare und Familien würden sich unter dem Eindruck der Belastung stark um ein harmonisches Miteinander bemühen, so der Berater. „Das ist sinnvoll, führt aber häufig dazu, dass Konfliktthemen nicht besprochen, sondern verschoben werden.“
Gerade Eltern jüngerer Kinder hätten es in der Krise schwer, anstehende Themen in dem dicht getakteten Alltag in Ruhe zu besprechen. Werden Konflikt- und Klärungsgespräche jedoch immer wieder verschoben, steigt die Beziehungsunzufriedenheit.
Krisenbeschleuniger
Häufig, so Kremp, würden die Ratsuchenden berichten, dass Probleme in Partnerschaft oder Eltern-Kind-Beziehung unter den Lebensbedingungen der Pandemie wie unter einem Brennglas deutlicher hervortreten.
„Die Pandemie wirkt dann als Krisenbeschleuniger“, so der Fachberater. Beziehungsprobleme, die schon länger bestünden, ließen sich nun nicht mehr übersehen. „Gerade dieses Phänomen hat in der Beratungsarbeit zu einem merklichen Anstieg der Beratungsanfragen geführt“, erzählt Benedikt Kremp.
Wie immer im Leben hat alles zwei Seiten, und so kann man auch der Pandemie-Zeit etwas Schönes abgewinnen: Familien verbringen viel mehr Zeit miteinander, erleben sich intensiver und entwickeln oder reaktivieren gemeinsame Aktivitäten. „Paare und Familien merken in dieser Zeit, dass Sie sich aufeinander verlassen können. Und das kann sehr bestärkend sein“, so der Diplom-Theologe. Kremp weiter: „Es ist wichtig, sich gegenseitig auch mal auf die Schulter zu klopfen, weil man so viel gemeinsam hinbekommt.“
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Zeit zu zweit sollten Paare keinesfalls auf die Zeit nach der Pandemie verlegen, man könne trotz Beschränkungen kreativ werden: Ein gemeinsamer Spaziergang, eine Radtour oder ein schönes Picknick im Park böten schließlich Zeit für Nähe und Gespräche.
„Wenn die Kinder nun wieder in Kita und Schule gehen, rechnen wir mit einem erneuten starken Anstieg an Anfragen. Erst jetzt haben die Menschen wieder Luft, solche Beratungsangebote überhaupt wahrzunehmen“, so Benedikt Kremp.