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Rund 300 TeilnehmerMontagsspaziergänger ziehen duch den Kreis Euskirchen

Lesezeit 8 Minuten

Beim Spaziergang in Euskirchen hielten sich die etwa 300 Teilnehmer grundsätzlich an die Verkehrsregeln. Hier kreuzen sie den Jülicher Ring am Kreishaus.

Kreis Euskirchen – Kein Kommando, keine Aufforderung, kein Hinweis, dass jetzt gestartet wird: Als ein Mann mit Hund zielstrebig losgeht, setzen sich knapp 300 Menschen, die sich auf dem Annaturmplatz eingefunden haben, schweigend in Bewegung und folgen dem Mann mit dem Hund. Zum wiederholten Mal haben sich Bürger in Euskirchen zum „Montagsspaziergang“ getroffen, um zu demonstrieren.

Gegen was? Dem Spaziergang ist das so nicht zu entnehmen. Es gibt keine Plakate und Spruchbänder. Es werden keine Parolen oder Botschaften skandiert. Auf ihrem Weg wandert die große Gruppe schweigend über die Bürgersteige und hält sich brav an alle Verkehrsregeln. An roten Fußgängerampeln wird gewartet, auch wenn es dadurch zu Lücken kommt. Masken trägt niemand.

„Manch einer sollte sich hinterfragen“

Aushalten müsse eine Demokratie derartige Spaziergänge, sagte Landrat Markus Ramers am Montagabend im Gespräch mit dieser Zeitung: „Ich glaube, dass man das ertragen muss, auch wenn mir an vielen Stellen das Verständnis dafür fehlt, dass es Menschen gibt, die Impfungen und Corona-Maßnahmen faktenfrei verteufeln.“ Deshalb gebe es „das hohe Gut von Meinungs- und Versammlungsfreiheit“. Und beides stehe auch Menschen zu, die die Pandemie anders einschätzten.

Was er schwierig finde, so Ramers, sei, dass die Teilnehmer zwar das Recht der Meinungsfreiheit einforderten, auf der anderen Seite den Pflichten, die das Versammlungsgesetz mit sich bringe, nicht nachkämen. „Die Polizei hat wieder die Versammlungen begleitet und die Teilnehmenden geschützt. Aber Pflicht der Veranstalter ist es eben auch, so etwas entsprechend anzumelden und beispielsweise Ordner zu stellen“, so Ramers: „Deshalb finde ich es nur richtig, dass gegen die Organisatoren, wenn sie denn identifizierbar sind, Strafanzeigen gestellt werden.“

Sorgen macht sich der Landrat auch. Etwa darüber, dass sich immer wieder Mitglieder der rechtsradikalen Szene oder Reichsbürger unter die Teilnehmer mischen. „Jeder, der Sorgen und Fragen hat, kann sich jederzeit melden. Noch nie ist ein Impfstoff so gut erforscht, so gut dokumentiert worden“, so der Landrat. Es sei der falsche Weg, sich in Gruppen zu mischen, in denen Rechtsradikale mitmarschierten: „So manch einer sollte sich hinterfragen, mit wem er da seinen Abendspaziergang macht.“ (tom)

Während auf dem Alten Markt die etwa 30 Teilnehmer einer Gegenkundgebung seit einer Stunde auf die Spazierer warten, ziehen diese diszipliniert über die Kolping-, Walram- und Mittelstraße in Richtung Kreishaus. An neuralgischen Punkten hat die Polizei Streifenwagen postiert, um für Sicherheit zu sorgen. Und die Teilnehmer im Blick zu haben. Angemeldet ist dieser Spaziergang zum Leidwesen der Polizei nicht. Eingreifen müssen die Ordnungshüter nicht. Mehrmals passiert ein Auto mit SLE-Kennzeichen die Kolonne. Der Fahrer hupt, um seine Sympathie mit den Spazierenden zu bekunden. „Liebe und Frieden“, schallt es aus dem Fahrzeug.

Unterschiedliche Gründe

Am Jülicher Ring packt den Mann mit dem Hund die Neugier. „Für welches Pissblättchen fotografieren Sie?“, fragt er die Redakteure, die den Tross fotografieren. Als er hört, dass es sich um Kölnische Rundschau und Kölner Stadt-Anzeiger handelt, korrigiert er sich: „Das meine ich nicht so. Das ist in Ordnung. Sie berichten korrekt.“ Um etwas später aber nochmal massive Kritik an der Corona-Berichterstattung der „Mainstream-Medien“ zu üben.

Wie in Euskirchen spazierten in Mechernich etwa 300 Teilnehmer. Auch in Zülpich und Weilerswist gingen Menschen auf die Straßen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren.

Er sei seit mehreren Wochen bei den Montagsspaziergängen durch Euskirchen dabei, sagt er: „Am Anfang waren wir nur zu Fünft.“ Und gegen was er und die anderen konkret spazieren? „Da hat jeder seine Meinung“, sagt er. Ein Frau mit Laterne ist aufmerksam geworden. „Ich gehe mit, weil ich nicht damit einverstanden bin, wie das mit dem Impfen läuft“, sagt sie. Wobei sie nicht grundsätzlich eine Impfgegnerin sei. Aber mit der Art, wie die Pandemie in Deutschland bekämpft werde, sei sie nicht einverstanden. „Das bringt die Menschen auseinander. Das bringt sogar Familien auseinander.“ Der Mann mit dem Hund pflichtet ihr bei. Deshalb könne er seine Schwester nicht mehr besuchen. Weil ihr Mann das nicht wolle. „Aber wir sind keine Rechten“, sagt die Frau mit der Laterne: „Schauen Sie sich die Teilnehmer an. Da finden Sie keine rechten Parolen. Die wollen wir hier auch nicht haben.“ Ob sie keine Gefahr sieht, dass rechte Gruppierungen aufsatteln? Ja, durchaus. „Aber dann werde ich denen sagen, dass wir sie hier nicht dabei haben wollen.“ Die Frau und der Mann bleiben den Journalisten gegenüber anonym. Nicht, weil sie nicht namentlich ihre Meinung vertreten wollen. Aber die Polizei forscht nach den Organisatoren des Spaziergangs, der ja nicht angemeldet ist.

Polizeibilanz

280 Teilnehmer zählte die Polizei beim Montagsspaziergang in Euskirchen. Etwa 300, so Polizeisprecher Franz Küpper, seien es zeitgleich in Mechernich gewesen. Spaziergänge gab es außerdem in Zülpich (30 Teilnehmer) und in Weilerswist (15).

Keiner der vier Spaziergänge sei angemeldet gewesen. Da alle diese Spaziergänge nach Einschätzung der Polizei, die mit starken Kontingenten präsent war, unter das Versammlungsgesetz fallen, seien vier Anzeigen gegen Unbekannt wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz geschrieben worden.

Aus Sicht der Polizei hätte kein Anlass bestanden, diese Versammlungen nicht zu genehmigen. Auch der Ablauf der Spaziergänge sei nicht so gewesen, dass die Polizei hätte einschreiten müssen. Bei bis zu 750 Teilnehmern müsse im Freien keine Maske getragen, wenn Mindestabstände eingehalten werden können. Das sei bei den vier Spaziergängen der Fall gewesen.

Die Polizei appelliert an die Montagsspaziergänger, die Veranstaltungen im Vorfeld anzumelden. Das würde der Polizei auch den gesetzlichen Schutzauftrag für derartige Veranstaltungen erleichtern, da etwa Aufzugswege besprochen und mögliche Gefahrenpunkte vermieden werden könnten. Im Gegensatz zu den Montagsspaziergängen der vergangenen Woche konnte die Polizei diesmal keine Teilnehmer dem rechten Spektrum oder der Gruppe der Reichsbürger zuordnen. Das schließe aber nicht aus, dass Mitglieder dieser Gruppierungen unter den Teilnehmern gewesen seien, sagte Pressesprecher Franz Küpper. (ch)

Zwei weitere Teilnehmerinnen reden ebenfalls mit den Journalisten. „Ich bin zweimal geimpft, doch was bringt das? Die Maßnahmen werden schärfer statt schwächer. Ich lasse mich nicht mehr impfen, weil es nichts bringt“, sagt die eine. Die andere fügt hinzu: „Wenn ich verreise, lasse ich mich freiwillig impfen. Hier herrscht aber eine unterschwellige Impfpflicht. Deswegen gehe ich hier mit.“

Der Tross überquert den Jülicher Ring, steht einige Minuten etwas unschlüssig vor dem Kreishausparkplatz und setzt sich wieder über die Kessenicher Straße in Bewegung Richtung Innenstadt. Es geht zum Alten Markt, den sie nach Darstellung des Mannes mit dem Hund eigentlich meiden wollen, weil da ja die Gegendemonstranten warten. Es geht nun aber trotzdem über den Alten Markt, doch die Zahl der ursprünglich 30 Gegendemonstranten ist auf Null geschrumpft, weil die Spaziergänger so spät dran sind. Auch auf dem Alten Markt muss die Polizei nicht eingreifen.

Die Gegendemo

Die Gegenkundgebung wurde bei der Polizei angemeldet. Unter den Teilnehmern sind bekannte Gesichter .„Wir sind erstaunt, dass nach den ersten Montagsspaziergängen keinerlei Gegenstimmen kamen. Wir waren entsetzt, dass es so viele Teilnehmer waren“, so Anne Bergmann: „Wir demonstrieren aus Solidarität mit den Pflegern und finden es nicht gut, dass Menschen laut propagieren können, sich nicht impfen zu lassen und keine Maske zu tragen.“ Thilo Waasem, Vorsitzender der Kreis-SPD, ist mit 15 Genossen aus Kall, Bad Münstereifel und Euskirchen dabei: „Wir wollen zeigen, dass die Mehrheit anders denkt. Und deutlich machen, dass man von Diktatur redet und hier demonstrieren kann, ohne im Gefängnis zu landen. Dann wären wir ja die schlechteste Diktatur der Welt.“ Unter den Gegendemonstranten ist auch Heinz Höver. Ihn plagt die Sorge, dass sich die Spaziergänge in eine gefährliche Richtung entwickeln können: „Ich sorge mich vor Zuständen wie 1933. Erst marschieren sie mit Fackeln, dann kommt die Gewalt.“

Auch Gegendemonstranten waren nach Mechernich gekommen.

Begegnung in Mechernich

Zeitgleich wird auch in Mechernich, Zülpich und Weilerswist spaziert. Der Aufzug in Mechernich ist ebenso groß wie der in der Kreisstadt. Manche hätten Angst um ihre Kinder, sagt einer der Teilnehmer in Mechernich. Andere finden ein Verbot von Spaziergängen, wie es das schon in München gebe, absurd. „Jeder ist aus einem anderen Grund hier.“ Es seien Familien mit Kindern dabei. Drei Polizisten begleiten den Spaziergang. Sie tragen FFP2-Masken. Die meisten Teilnehmer tun es nicht.

Auch eine Gegendemo ist angemeldet. Zu ihr aufgerufen hatte die SPD . Doch bevor der Spaziergang der Gegner der Corona-Politik losgeht, ist die Gegendemonstration bereits beendet. Wie in Euskirchen ist man zu früh dran. Eine Begegnung zwischen beiden Lagern gibt es nur kurz an der Dr.-Felix-Gerhardus-Straße: Die zwei SPD-Mitglieder Marvin Strick und Annegret Lewak halten Schilder hoch und diskutieren mit einer Spaziergängerin, die durch ihre orangefarbene Warnweste auffällt. „Egoismus tötet? Ich dachte, das Klima tötet uns. Oder die Autofahrer“, sagt die Spaziergängerin. Ein echtes Gespräch oder eine Konfrontation gibt es nicht.

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„Es kann nicht sein, dass wir uns als Gesellschaft von einer lautstarken Minderheit in Geiselhaft nehmen lassen“, sagt Lewak. Strick: „Natürlich sind wir dafür, miteinander zu sprechen. Aber wenn man nicht mehr mit Fakten argumentieren kann, kann man auch nicht mehr diskutieren.“ Für ihr Engagement werden die i SPD-Mitglieder von einem Schüler gelobt. Zwei andere – sie tragen wie die SPD-Mitglieder Masken – sorgen sich, dass auch bei der Gegendemonstration Corona verbreitet werden könne. Schließlich hätten sich ja viele Menschen mit wenig Abstand versammelt.