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Granaten und TNTSanierung der Munitionsfabrik Espagit in Hallschlag

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Nach der Explosion lag das Werk  in Schutt und Asche. 2,5 Kilometer weit flogen 1920 Trümmer und Granaten. 

Hallschlag – „Mein erster Eindruck war: Hier hat der Krieg gestern erst aufgehört. Da standen total zerdepperte Gebäude, zwischen denen die Kühe grasten“, erinnert sich Franz Albert Heinen noch genau ans Frühjahr 1988. Vor 30 Jahren schrieb der Journalist erstmals über die Missstände um die ehemalige Munitionsfabrik Espagit AG, deren unerledigte Altlast sich in der Gemarkung „Auf dem Gericht“ nahe der Ortschaft Kehr befand. Auf dem Gelände schlummerten Granaten, Sprengstoffe, Zündladungen und Giftgas – von der Zeit vergessen – vor sich hin.

Angefangen hatte alles mit einer ominösen Pressemitteilung. „Ein mir nicht näher bekannter Gunther Heerwagen verschickte eine Pressemeldung, dass er wegen einer Altlast bei Hallschlag eine Anfrage an das Innenministerium gesandt habe.“ Die sei aber nicht beantwortet worden. „Dann habe ich Heerwagen angerufen und gefragt: »Gibt es da was zu knipsen?«“, sagt Heinen und lacht über die Harmlosigkeit, mit der die Geschichte begann. Was er gemeinsam mit Heerwagen an Ort und Stelle fand, elektrisierte Heinen.

Zeitzeugen bringen Erkenntnis

Er habe damals noch zwei Zeitzeugen sprechen können, und die hätten ihm bestätigt, dass sich in Kehr einst eine riesige Munitionsfabrik befunden habe, die 1920 in die Luft geflogen sei. Eine Zeitzeugin habe ihm berichtet, dass sie, als die Fabrik noch stand, als Kind öfter mit dem Pfarrer dorthin habe gehen müssen, weil Arbeiterinnen an der so genannten Papageienkrankheit gestorben seien. Es handelte sich jedoch nicht um die grippeähnliche schwere Krankheit, sondern in Wirklichkeit um Pikrinsäure-Vergiftungen. Dieser hochexplosive und giftige Sprengstoff wurde in der Espagit hergestellt.

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Gunther Heerwagen präsentiert zwei Granatenkörper.

Als Heinen die Ordnungsbehörden von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen kontaktierte, erhielt er zunächst die abwehrende Antwort, es gebe in dem betreffenden Bereich keine Altlast. Als es dann schließlich doch zu einem Ortstermin kam, bei dem der Presse die Ungefährlichkeit des Ortes demonstriert werden sollte, kam der Bauer Niko Quetsch vorbei und erzählte, hier gebe es „Steine“, mit denen die Bauern früher ihre Ofen angezündet hätten. Vor laufenden Kameras zündete er einen solchen Brocken an. Quetsch vermutete, es handele sich um Dynamit. Er irrte: Die amtliche Analyse lautete: TNT.

Aufwendige Sanierung

Danach rollte eine mehrere Jahre dauernde Sanierung an, bei der aber unter anderem aus Kostengründen nicht das gesamte Areal entsorgt wurde, sondern das Umfeld der Fabrik entmunitioniert wurde, während der Kernbereich lediglich an der Oberfläche abgedichtet wurde. 6316 Granaten, 5,1 Tonnen Sprengstoff und 37 Tonnen Zündladungen wurden geborgen, es entstanden Kosten von über 56 Millionen Euro. Auftretendes Sickerwasser wird derzeit noch in einer Ringleitung gesammelt und in eine Wasserreinigungsanlage geleitet. Man rechnet damit, dass dieses Verfahren noch ein Jahrhundert lang notwendig ist.

Hunderte von Artikeln über die Fortschritte bei der Sanierung und sein mittlerweile vergriffenes Buch „Die Todesfabrik“ hat Heinen über die Espagit-Munitionsfabrik im Laufe der Jahre geschrieben. Die Geschichte dieser Waffenschmiede ist ihm daher geläufig wie kaum jemand anderem: Mit Beginn des Ersten Weltkriegs sei dort eine Chemie- und Waffenfabrik etabliert worden, die teilweise bis zu 2100 Beschäftigte hatte. Insgesamt seien dort 7500 Tonnen TNT und der Sprengstoff DNB hergestellt worden. Außerdem seien dort 53,2 Millionen Pikrinsäure-Zünder gepresst worden. Bereits während des Krieges habe das Unternehmen überalterte Kriegsmunition recycelt. Anfang 1920 habe man dann 538 Güterwaggon-Ladungen mit Granaten dorthin transportiert, die zerlegt werden sollten.

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Aufwendig wurde das Areal in den 1990er-Jahren saniert. Der Aufenthalt  im Arbeitszelt war nur mit Schutzanzug möglich. 

„Das Unternehmen hatte zwar Granaten produzieren können, verfügte jedoch über keine Erfahrung darin, Granaten zu verschrotten“, erläutert Heinen. Unter anderem habe man dazu ein Verfahren genutzt, bei dem der Sprengstoff mit heißem Dampf aus den Granaten herausgelöst wurde. Anschließend landete er dann auf dem Fußboden.Auf dem Gelände befanden sich außerdem 15 000 mit Flüssigkeit gefüllte Giftgas-Granaten. Befüllt waren die tödlichen C-Waffen mit Phosgen und Lost sowie dem festen chemischen Kampfstoff CLARK.

Nach 30 Jahren – Munitionsfabrik nicht mehr zu erkennen

Nachdem es kleinere Explosionen gegeben habe, sei am 29. Mai 1920 beim Versuch, eine Granate zu entleeren, der Sprengstoff in Brand geraten. „Es kam zu einer Kettenreaktion: Weil der ganze Hügel übersät war mit meterhohen Stapeln von Granaten aller Art, sprang die Explosion von einem Stapel zum anderen“, erläutert Heinen. Durch den Explosionsdruck seien Granaten bis zu einer Entfernung von 2,5 Kilometern in alle Himmelsrichtungen verteilt worden. „In Losheim steckte in der Gaststätte Balter sogar eine im Kamin. Und bis Kronenburg flogen Fensterscheiben, Dachziegel und Türrahmen durch die Gegend.“ Zeitzeugen hätten eine Situation apokalyptischen Ausmaßes erlebt, bei der es erstaunlicherweise nur einen Toten gegeben habe.

Heute, 30 Jahre nach der Wiederentdeckung der Altlast und über 90 Jahre nach der Explosion, macht man sich im Ort Hallschlag nicht mehr viele Gedanken über die ehemalige Rüstungsschmiede. „Dass es da mal eine Munitionsfabrik gab, nimmt man nicht wirklich wahr“, sagt Ortsbürgermeister Dirk Weicker. Er ergänzt: „Da ist eine Menge Gras drüber gewachsen. Die Sache kümmert die Leute nicht wirklich.“Er glaube allerdings, es wäre besser gewesen, man hätte das Gelände komplett entmunitioniert. Weicker: „Das wäre, über einen Zeitraum von hundert Jahren gesehen, wahrscheinlich billiger geworden.“

Der Entschärfer

20 Jahre, bis 2008, dauerte die Entmunitionierung, Sanierung und Räumung der 1920 explodierten Munitionsfabrik Espagit. Mehr als 56 Millionen Euro hat dies gekostet. Die Kernzone ist mit einer Schutzschicht bedeckt, bepflanzt und wird nicht mehr genutzt, das Regenwasser wird abgefangen und gereinigt.

Als „Entschärfer von Espagit“ wurde Willi Wehrhausen bekannt. Er war der Verantwortliche vom Kampfmittelräumdienst (KMRD) und im Auftrag der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier mit der Räumung beschäftigt. 1988 war der frühere Forstarbeiter zum KMRD gekommen. Zahlreiche Bomben und Munitionsfunde hatte er dem Dienst in seiner früheren Tätigkeit gemeldet, bis der KMRD-Leiter ihn ansprach, ob er nicht Interesse an einer freiwerdenden Stelle habe.

Verdienstkreuz für seine Leistungen

In den Jahren, in denen er in Hallschlag arbeitete, sah Wehrhausen sich nicht nur den Granaten gegenüber, sondern musste auch unpopuläre Behörden-Entscheidungen vertreten. Die Räumung wurde auch für die Anwohner zur Belastung, Grundstücke glichen zeitweise Mondlandschaften. Wehrhausen sah sich in dieser Zeit auch immer wieder mit der Aufgabe konfrontiert, menschliche Konflikte zu entschärfen.

Anwohner attestierten Wehrhausen, dass er immer um ein gutes Miteinander bemüht gewesen sei – obwohl er es auch nicht immer leicht hatte, da alle Beschwerden und Probleme beider Seiten bei ihm abgeladen wurden. Für seine Leistungen erhielt Wehrhausen 2012, als er schon in Altersteilzeit war, eine hohe Auszeichnung. Er wurde mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik geehrt. (rha)