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Bewegende BiografieKatholischer Priester aus Gemünd wird in einem Jahr Vater und Großvater

Lesezeit 5 Minuten
Dr. Herbert Kaefer, 86, sitzt mit seinem Adoptivsohn Tesfay auf dem Balkon seines Hauses am Gemünder Marienplatz.

Das Schicksal hat die Lebenswege von Dr. Herbert Kaefer und seinem Adoptivsohn Tesfay zusammengeführt. In diesem Jahr wurde der katholische Priester im Ruhestand sogar Großvater.

Dr. Herbert Kaefer engagiert sich seit Jahrzehnten für Geflüchtete. Dies brachte ihm Anfang der 1990er-Jahre sogar eine Morddrohung ein.

Mit seinem „Heimatstädtchen“ Gemünd fühlt Dr. Herbert Kaefer sich eng verbunden: Hier ist der heute 86-Jährige aufgewachsen, sein Vater war Richter am Amtsgericht. „Ich bin immer mit Gemünd in Verbindung geblieben“, sagt der katholische Geistliche, auch nach seinem Studium, das er in Frankfurt am Main und München absolvierte. Nach Gemünd zog er dann im Jahr 2003 nach seiner Pensionierung zurück, in die ehemalige Wohnung seiner Mutter am Marienplatz, in direkter Nachbarschaft zur früheren Wirkungsstätte seines Vaters.

Die Flutkatastrophe im Juli 2021 hätte er in seiner Wohnung im Obergeschoss des Hauses fast verschlafen. „Ich bin schwerhörig, ich hätte das gar nicht mitbekommen, wenn mein Sohn mich nicht geweckt hätte“, erzählt Kaefer. „Ich bin tatsächlich mit 85 Vater geworden – und bereits in diesem Jahr Großvater“, sagt Kaefer mit einem verschmitzten Lächeln. Tesfay (40) ist Kaefers Adoptivsohn.

Das Schicksal führte den Pfarrer und den Geflüchteten zusammen

Der gebürtige Eritreer kam mit der Flüchtlingswelle 2015 nach Deutschland. Damals stand die Wohnung im Erdgeschoss von Kaefers Haus leer. „Weil ich mich seit 45 Jahren in der Flüchtlingsarbeit engagiere, wollte ich helfen“, erinnert sich Kaefer: „Überall mangelte es an Unterbringungsmöglichkeiten, daher habe ich die Wohnung der Stadt Schleiden und der Caritas angeboten, um Geflüchtete einzuquartieren.“ Über den Schleidener Verein Regenbogen kam dann schließlich der Kontakt zu Tesfay zustande, der bereits als Geflüchteter anerkannt war und eine Bleibe suchte.

Ich habe dann rasch bemerkt, dass er ein gutes Herz hat, er hat anderen geholfen und er hat mir geholfen. Deswegen war er so eine Art Papa für mich.
Tesfay Kaefer, 2015 aus Eritrea geflüchtet

Das Schicksal führte die Lebenswege des Geistlichen und des Geflüchteten zusammen. „Ich habe dann rasch bemerkt, dass er ein gutes Herz hat, er hat anderen geholfen und er hat mir geholfen. Deswegen war er so eine Art Papa für mich“, sagt Tesfay. Für Kaefer, der nach seiner Pensionierung mit 65 eine neue Aufgabe jenseits der Gemeindearbeit suchte und sich viele Jahre intensiv im bischöflichen Hilfswerk Misereor engagierte, war die Arbeit mit Geflüchteten indes nicht neu.

Friedenspreis als späte Genugtuung für eine Morddrohung

In Aachen hatte Kaefer als Pfarrer bereits 1978 eine Beratungsstelle für Kriegsdienstverweigerer gegründet. Für seinen Einsatz für gesellschaftlich Schwache wie Obdachlose und Asylbewerber wurde Kaefer 1991 als nationaler Preisträger des Aachener Friedenspreises geehrt. „In gewisser Weise war diese Auszeichnung eine Art Genugtuung für mich, denn ich hatte sogar eine Morddrohung erhalten, weil ich mich für Asylbewerber einsetzte“, blickt Kaefer auf diese bewegte Zeit zurück.

Dr. Herbert Kaefer neben der Urkunde des Aachener Friedenspreises, die in einem Rahmen an der Wand seines Wohnzimmers hängt.

Im Wohnzimmer von Dr. Herbert Kaefer hängt die Urkunde, die er 1991 anlässlich der Verleihung des Aachener Friedenspreises erhielt. Bereits damals wurde er für sein Engagement für Kriegsdienstverweigerer, Obdachlose und Geflüchtete ausgezeichnet.

Ein besonderes Ereignis vertiefte dann auch nochmal das Verhältnis von Kaefer und seinem Mieter im Erdgeschoss: die Nacht der Flutkatastrophe vom 14. auf den 15. Juli 2021. Als das Wasser kam, war Tesfay bereits zu Bett gegangen. Er wurde wach, als das Wasser sein Schlafzimmer flutete. Durch das Fenster gelang ihm die Flucht ins Freie. „Aber ich musste unbedingt zurück, um nach meinem Papa zu schauen. Ich konnte ihn doch nicht allein lassen“, sagt Tesfay.

Kaefer ist auch heute noch gerührt, wenn er daran denkt, wie wichtig er offensichtlich für den Mann aus Eritrea war, denn Tesfay kämpfte sich durch die Wassermassen zum Haus und in Kaefers Wohnung zurück, um nach ihm zu sehen. Als es dann Monate später um den Wiederaufbau geht, packt der handwerklich geschickte Mann ebenfalls kräftig mit an. Was nicht ohne Folgen bleibt. „Die Baufirma, die mit der Sanierung beauftragt war, war auch ganz begeistert von Tesfays Tatkraft und hat ihn sofort eingestellt“, berichtet Kaefer nicht ohne Stolz.

Inzwischen ist Tesfay selbst Familienvater geworden

Im Laufe der Jahre macht Kaefer sich Gedanken um die Zukunft seines Mieters im Erdgeschoss. „Ich merkte, Tesfay hat hier eine Heimat gefunden, nicht nur eine Wohnung“, sagt der 86-Jährige. Vor zwei Jahren ist Tesfays Ehefrau im Zuge des Ehegattennachzugs nach Gemünd gekommen. Kaefer will, dass Tesfay abgesichert ist, wenn er nicht mehr ist. „So sind wir auf die Idee der Adoption gekommen, denn ich wollte, dass Tesfay und seine Familie das Haus bekommen, wenn ich einmal sterbe“, erklärt Kaefer.

Tesfay überreicht seinem Adoptivvater Dr. Herbert Kaefer einen Einkaufskorb.

Für seinen Adoptivvater erledigt Tesfay Kaefer (r.) regelmäßig Einkäufe und Besorgungen.

Momentan ist Tesfay, der in Kall in einem Betrieb der Metall- und Kunststoffindustrie arbeitet, in Elternzeit. Im März ist seine erste Tochter zur Welt gekommen. „Und ich bin innerhalb eines Jahres erst Vater und nun Großvater geworden“, lacht Kaefer.

Die Forderungen nach mehr Abschiebungen finde ich unerträglich. Und ich bin auch empört, dass andere Parteien in dieser Frage der AfD hinterherlaufen.
Dr. Herbert Kaefer engagiert sich seit mehr als 45 Jahren für Geflüchtete

Ihm ist bewusst, dass das Thema Adoption in der Kirche eigentlich nicht so gerne gesehen wird: „Ein Pfarrer soll für die ganze Gemeinde da sein, das ist auch richtig so. Aber ich habe die Erlaubnis vom Bistum Aachen bekommen – wahrscheinlich auch, weil ich wegen meines Alters über jeden Zweifel erhaben bin.“

Pfarrer ist empört über Forderung nach mehr Abschiebungen

Gesundheitlich ist Kaefer, der in diesem Jahr sein diamantenes Priesterjubiläum feiern konnte, nicht mehr ganz so fit, wie er es gerne wäre. Gottesdienste kann er inzwischen nicht mehr feiern. „Meine Mutter ist 97 geworden. Von daher habe ich vielleicht noch ein paar Jahre“, sagt der 86-Jährige und lacht. Seit einer Corona-Infektion im vergangenen Jahr ist Kaefer auch im Haus auf Hilfe angewiesen. „Tesfay erledigt Einkäufe für mich oder fährt mich zu Arztterminen. Ich habe hier quasi betreutes Wohnen in meiner eigenen Wohnung. Ohne seine Hilfe müsste ich ins Heim ziehen“, sagt Kaefer.

An seinem Engagement für Geflüchtete will der Gemünder trotzdem so lange es geht weiter festhalten: „Ich helfe bei Post von Behörden oder einfach mit einem offenen Ohr.“ Entsetzt ist Kaefer vom Rechtsruck in der deutschen Gesellschaft: „Die Forderungen nach mehr Abschiebungen finde ich unerträglich. Und ich bin auch empört, dass andere Parteien in dieser Frage der AfD hinterherlaufen.“

Stattdessen will er zeigen, wie wertvoll jeder einzelne Mensch für die Gesellschaft sein kann. „Wir klagen doch überall über den Fachkräftemangel. Wir müssen den jungen Menschen, die zu uns kommen, eine Chance geben, sie fördern und ausbilden. Dann können sie eine Bereicherung für die Gesellschaft sein.“ Tesfay, der bei der Adoption auch den Nachnamen seines Adoptivvaters angenommen hat, hört aufmerksam zu, wenn Kaefer über Politik spricht. „Ich hab einfach nur Glück gehabt, dass ich ihn gefunden habe“, sagt er dankbar.