AboAbonnieren

Schiedsverfahren25 Jahre lang in Kall Streithähne besänftigt

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt

Nachbarschaftsstreitigkeiten aller Art werden oft von Schiedsleuten gelöst.

Schleiden-Gemünd/Kall – Es ist schon etwas Besonderes, wenn Franz Nocker in diesen Tagen von seinem Amt als Schiedsperson in der Gemeinde Kall Abschied nimmt. Denn ein Vierteljahrhundert hat er bereitgestanden, um bei Streitigkeiten zu vermitteln und damit ein kleines bisschen Friede und Eintracht zwischen den Menschen zu bringen. Von Amtsgerichtsdirektor Robert Plastrotmann hat er nun auch die Urkunde für seine 25-jährige Tätigkeit im Auftrag der Justiz erhalten.

Dabei ist eine Schiedsperson so etwas wie ein Zwitterwesen im Rechtssystem. Der Dienstherr ist nämlich das Amtsgericht und damit die Justiz. Bezahlt wird sie allerdings von der Kommune, in der sie tätig ist. „Deshalb werden die Schiedspersonen auch vom Rat der Gemeinde oder Stadt gewählt“, so Nocker.

Zuvor Fußballspiele gepfiffen

Er selbst ist über diese Tätigkeit vor 25 Jahren durch eine Annonce der Gemeinde Kall gestolpert, als er sich gerade von seinem Hobby als Fußballschiedsrichter verabschiedet hatte: „Durch die Wechselschicht als Rettungsassistent und feuerwehrtechnischer Beamter wurden die Anreisen zu den Spielen zu kompliziert.“ Allerdings habe ihm die Schiedsrichterei viel Spaß gemacht. Nicht nur die sportliche Betätigung habe den Reiz ausgemacht, sondern auch, Rivalen auf eine gemeinsame Linie zu bringen.

Also hat er sich auf die Annonce gemeldet. „Am Anfang war es schwer“, gibt er zu. Einführungslehrgänge habe er absolviert, um in die Materie eingearbeitet zu werden, auch immer wieder Fortbildungen. „Die Schiedspersonen sollen bewusst keine Berufsjuristen sein, sondern aus der Mitte der Bevölkerung kommen“, erläutert Plastrotmann.

Denn die Schiedsperson sei ein Mediator, sie spreche kein Recht, so Nocker: „Ich höre zu und versuche, die Streithähne in eine Richtung zu bringen.“ Dabei sei er ziemlich erfolgreich gewesen: Mehr als 70 Prozent der von ihm bearbeiteten Fälle seien gütlich ad acta gelegt worden.

Einigung ist rechtsgültig

„Die Einigungen sind rechtsgültig“, betont Sandra Mießeler, Sachbearbeiterin beim Amtsgericht. Dabei entscheide die Schiedsperson nicht, sie erarbeite mit den Parteien einen Vergleich. „Dann wird ein Protokoll geschrieben, gegengezeichnet und gesiegelt“, so Nocker. „Das ist ein richtiger Vergleich, der auch 30 Jahre lang vollstreckbar ist“, erklärt Plastrotmann.

Neuer Inhalt

Eine Urkunde für 25-jährige Tätigkeit als Schiedsperson erhielt Franz Nocker (r.) von Robert Plastrotmann.

Rund zehn Fälle habe er pro Jahr bearbeitet, doch einmal seien es auch 20 gewesen, berichtet Nocker. „Leider ist es rückläufig geworden“, bedauert er. Selbst bei Juristen sei das Schiedsverfahren oft nicht bekannt. „Ich hatte einen Juristen da, der sagte, das sei eine tolle Sache, davon habe er noch nie vorher gehört“, so Nocker.

Dabei sei es durchaus möglich, sich in zivilrechtlichen Angelegenheiten auch vor der Schiedsperson von einem Anwalt vertreten zu lassen. Doch Nockers Erfahrungen sind in dem Punkt nicht so gut. „Wenn Anwälte dabei sind, ist es ungleich schwieriger“, hat er festgestellt.

Die Verfahren

Vom Rat gewählt

Nach 25 Jahren ist für Franz Nocker Schluss mit seiner Tätigkeit als Schiedsperson. So wurden in der vergangenen Woche zwei neue Schiedsleute vom Rat der Gemeinde Kall gewählt. Gewählt wurden für die Dauer von fünf Jahren Rolf Schneider aus Golbach zum Schiedsmann und Marc Kuckelkorn aus Kall zu seinem Stellvertreter.

Die Fälle

Laut Schiedsamtsgesetz sind die Schiedspersonen vor allem zuständig für Fälle, in denen eine obligatorische Schlichtung vorgeschrieben ist. Dies umfasst Fälle der Privatklage zum Beispiel bei Hausfriedensbruch, Beleidigung, Verletzung des Briefgeheimnisses, leichte und fahrlässige Körperverletzung, Bedrohung und Sachbeschädigung – und zwar in den Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft nur bei einem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung eine Anklage erhebt. Genauso müssen vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Wert von 600 Euro, nachbarschaftsrechtliche Verfahren oder Streitigkeiten wegen Verletzung der persönlichen Ehre vom Schiedsmann verhandelt werden.

Gütliche Einigung

Für Verfahren, die direkt vor Gericht verhandelt werden könnten, vielleicht aber auch gütlich beigelegt werden könnten, stehen die Schiedsämter ebenfalls offen.

Dabei ist das Schiedsverfahren gerade bei Privatklagen zwingend vorgeschrieben. So sei die Schiedsperson auch oft erste Anlaufstelle, wenn Menschen sich beim Ordnungsamt beschweren, sagt Pascal Dreßen, bei der Gemeinde Kall für Schiedsverfahren zuständig. Es werde versucht, Beschwerden über nicht geschnittene Hecken oder kläffende Hunde über die Schiedsperson abzuwickeln. „Im Wesentlichen sind es Nachbarschaftsstreitigkeiten“, so Plastrotmann. „Doch viele wollen gar nicht mehr reden“, ergänzte Mießeler.

„Der Vorteil des Schiedsverfahrens ist, das mindestens eine der Parteien bei einem Streit vor Gericht die Kosten zu tragen hat, die drei- bis vierstellig sein können“, betonte Pascal Dreßen. „Ich habe dagegen einen Vorschuss von 60 Euro genommen“, berichtet Nocker – und in der Regel sei das auch der Endpreis gewesen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wenn man im Rathaus beieinander gesessen habe, hätten die Parteien doch oft miteinander geredet – auch wenn sie es eigentlich gar nicht vorgehabt hätten. Doch das, so Nockers Erfahrung, könne dauern: „Die Schiedsperson muss Zeit haben. Wer keine Zeit hat ist falsch.“ Oft gehen Stunden ins Land, bis der eigentliche Grund für den Streit herauskommt – der zuweilen ein ganz anderer ist als der, weswegen man sich getroffen hat. „Das, was zur Verhandlung führt, ist oft nur die Spitze des Eisbergs“, so Nocker: „Wenn du das zum Ende kommen lässt, hast du Einigkeit.“

Streit um Höhe der Hecke

So wie bei dem Ortstermin, wo es zwischen zwei Nachbarn um die Höhe der Hecke gegangen sei. Er habe die Höhe der Hecke mit Biospray markieren wollen – doch die Parteien wollten sich partout nicht einigen. Bis plötzlich Nockers Telefon geklingelt habe und er die Verhandlung unterbrechen musste, weil sein Sohn einen Unfall gehabt habe und er ins Krankenhaus musste. „Als ich nach zwei Stunden noch einmal vorbeiguckte, war die Hecke geschnitten und die Nachbarn saßen beim Bier zusammen“, berichtet Nocker – immer noch erfreut über die gelungene Einigung.